"Ich habe Dinge gesehen..."
Durch diesen Film habe ich gelernt, Filme im Allgemeinen anders zu sehen und zu bewerten. Hatte ich vorher Filme als bloße Unterhaltungsware konsumiert, so fing ich durch „Blade Runner“ an, mich bewusster mit Filmen zu befassen und als vollwertige Kunstform anzuerkennen. Natürlich ist längst nicht jeder Film ein Kunstwerk, aber Ridley Scotts wohl tiefgründigster Film darf wohl mit Fug und Recht als solches bezeichnet werden.
„Blade Runner“ überzeugt auf der inhaltlichen wie auf der technischen Ebene vollkommen, was für Filme von Ridley Scott nicht unbedingt selbstverständlich ist, neigt Scott doch dazu, der technischen im Vergleich zur inhaltlichen Unsetzung mehr Aufmerksamkeit zu schenken (manchmal geht die technische Dominanz auf, siehe „Gladiator“, manchmal nicht, siehe „Hannibal“). Vor allem visuell - von Kamera, Schnitt und Beleuchtung über die Sets bis zu den Special Effects - ist „Blade Runner“ atemberaubend und absolut zeitlos. Scott erschafft eine völlig glaubwürdige Zukunft, z. B. indem er futuristische Architektur mit der des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kombiniert, die Innenräume oft museal ausstattet oder auch indem er die Hauptdarsteller Mode aus verschiedenen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts tragen lässt (abenteuerliche Kleidungstücke sind eigentlich nur den Statisten und wenigen Nebenrollen vorbehalten, z. B. Zhora). Bemerkenswert ist auch, dass Scott nur sehr sporadisch Actionszenen einbaut (nämlich nur dann, wenn es für die Story notwenig und unvermeidlich ist) und die ganze Geschichte fast schon als klassische Detektivgeschichte im Stil des Film Noir inszeniert. Die Handlung ist zwar schnell erzählt, dennoch ist der Film anspruchsvoll – vor allem philosophisch: so stellt er die anthropologische Frage nach dem Wesen des Menschen, die ontologische, wie religiöse Frage nach dem Anfang und dem Ende des Seins (die Suche der Replikanten nach ihrem Schöpfer/Vater gleicht der Suche des Menschen nach Gott), (bio-)ethische Fragen werden aufgeworfen (Variation der Homunkulus-, Golem- bzw. Frankenstein-Thematik; Ausbeutung als Ursprung von Gewalt), erkenntnistheoretisch-psychologische Themen wie die Frage nach der Realität von persönlicher Identität (Implantation von Erinnerungen und Träumen) werden angeschnitten, etc.
Der Reiz des Films liegt in seiner atmosphärischen Dichte bzw. Düsternis und in seiner intellektuellen Vielschichtigkeit, weniger in seinem Unterhaltungsaspekt: er ist weder allzu abwechslungsreich noch richtig spannend, allerdings auch nicht halb so dialoglastig, wie oft behauptet, sondern eher voll von symbolischer Bildsprache (z. B. Dauerregen, immerwährende Dunkelheit oder die weiße Taube).
Ein kleiner Wermutstropfen sind jedoch die schauspielerischen Leistungen, die eher durchwachsen sind. Harrison Ford ist als Schauspieler ein routinierter Handwerker und kein Vertreter hoher Schauspielkunst. Sean Young ist dröge und eigentlich untalentiert. Einzig Rutger Hauer, der hier die beste Leistung seiner Karriere zeigt, ragt heraus: bei seiner letzte Szene treibt es mir immer noch die Tränen in die Augen und ich bekomme einen Kloß im Hals. Dieser Augenblick wird niemals verloren sein, so wie Tränen im Regen es sind. Kino für die Ewigkeit.