Es benötigt nicht viel Fantasie, um sich die Schwierigkeiten vorzustellen, die sich vor einem jungen Produzenten auftürmten, als er unmittelbar nach dem Ende des 2.Weltkriegs im zerstörten Deutschland versuchte, ein Filmprojekt auf die Beine zu stellen. Doch mit einem derartig großen Widerstand hatte Arthur Brauner, ein überlebender polnischer Jude, nicht gerechnet, als er bei den Besatzungsmächten um eine Genehmigung nachsuchte. Sein selbst verfasstes Drehbuch trug autobiografische Züge in der Beschreibung von Flüchtigen und Untergetauchten, die sich unter lebensunwürdigen Umständen vor der SS und der Wehrmacht versteckten, aber trotz der kritischen Sichtweise auf die unmittelbare Vergangenheit brauchte er lange, um mit den Dreharbeiten beginnen zu können - zudem erst nach dem Erfolg mit der Komödie "Herzkönig" (1947), der ihm die notwendigen finanziellen Mittel einbrachte.
Für Brauner, einem der aktivsten und einflussreichsten Produzenten im deutschen Film nach dem Krieg bis in die Gegenwart, blieb die Mischung aus massenkompatiblen ("Die große Star-Parade" (1954)) und gesellschaftskritischen Themen ("Der 20.Juli" (1955)) stilprägend. Unabhängig davon bewies er immer auch ein Gefühl für angesagte, kassentaugliche Stoffe - nur sein Herzensprojekt "Morituri" (lateinisch „Die Todgeweihten“) erlitt völligen Schiffbruch und wurde nur in wenigen Kinos aufgeführt, die den Film nach der Premiere auf Grund heftiger Reaktionen des Publikums schnell wieder absetzten. Die reflektierte und ernsthafte Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Judenverfolgung kam für die Deutschen offensichtlich viel zu früh und erlitt das häufige Schicksal zeitnah erschienener gesellschaftskritischer Filme - erst wurde er abgelehnt, dann geriet er in Vergessenheit. Nur dem ersten Auftritt von Klaus Kinski verdankte der Film noch eine gelegentliche Erwähnung - bemerkenswert an dessen kleiner Rolle als KZ-Gefangener ist, wie sehr sie schon die psychopathischen Züge der Charaktere trägt, für die Kinski später berühmt werden sollte.
Dabei bemühte sich Brauner um das damalige Publikum und engagierte bekannte Filmschauspieler wie Winnie Markus („Sommerliebe“ 1942), Lotte Koch („Anschlag auf Baku“ 1942), Carl-Heinz Schroth („Krach im Vorderhaus“, 1941) und den Theater-Mimen Walter Richter für die Hauptrollen, die schon während der Zeit des Nationalsozialismus erfolgreich waren. Regisseur Eugen York drehte zwar seinen ersten Kinofilm, war aber viele Jahre bei der „Universum“ für Kulturfilme verantwortlich und an der Propaganda-Serie „Liese und Miese“ beteiligt, was im Widerspruch zu Brauners späterer Aussage stand, nicht mit Wolfgang Staudte und Hildegard Knef wegen ihrer Nazi-Vergangenheit zusammenarbeiten zu wollen. Insgesamt verharrte die Inszenierung noch in den damaligen Konventionen und erinnert, bedingt durch die schwierigen Produktionsbedingungen, die nur wenige Außenaufnahmen zuließen, mehr an ein Theaterstück.
Frühjahr 1945 im besetzten Polen - nachdem der polnische Arzt Dr.Leon Bronek (Walter Richter), ermüdet von dem Anblick ausgemergelter Körper, denen er Arbeitsfähigkeit bescheinigen sollte, einige Männer nahezu in Trance als „arbeitsuntauglich“ bezeichnete, warten diese in einem Trakt des KZ auf ihr Todesurteil – bis Dr.Bronek, der sich freier bewegen kann, ihnen zur Flucht verhilft. Angesichts der schwer bewachten Konzentrationslager, wirkt diese spontane Aktion etwas naiv, aber Brauner ging es nicht um einen Ausbruchfilm, sondern um die Zusammenkunft von Flüchtlingen unterschiedlicher Beweggründe und Nationen an einem Ort. Mitten im Wald treffen die wenigen Überlebenden der Flucht auf eine Not-Gemeinschaft, die versucht so lange durchzuhalten, bis die Front bis zu ihnen vorgerückt ist und sie befreit werden.
Der Verzicht auf bewusst zugespitzte Gefahrenmomente zugunsten einer ruhigen, sprachlastigen Auseinandersetzung unter den Flüchtlingen - erst in den letzten Minuten steigert „Morituri“ sein Spannungspotential – war dem Erfolg des Films sicherlich nicht dienlich, ist so kurz nach dem Krieg aber erstaunlich in dem Versuch einer ausgewogenen Betrachtung. Ein junger Wehrmachtssoldat gerät zufällig in das Versteck und wird gefangen genommen. Einige der psychisch und physisch misshandelten Opfer wollen sich zuerst an ihm rächen, aber in einer Art Gerichtsverhandlung, die an Fritz Langs „M“ (1931) erinnert, beschließen sie, sich nicht wie ihre Peiniger zu verhalten und Unrecht mit Unrecht zu vergelten. Indem Brauner die Menschen in ihrer jeweiligen Muttersprache reden ließ – konsequent ohne Untertitel, leider nicht immer überzeugend, da sich deutsche Darsteller polnisch, englisch und französisch ausdrücken mussten – betonte er noch den Zusammenhalt dieser zusammengewürfelten Gruppe, die die Utopie eines übergreifenden Friedens symbolisieren sollte.
Die klare Benennung der Nazi-Gräuel und das offensichtliche Leid der Opfer sind auch aus heutiger Sicht bemerkenswert, ebenso der Verzicht auf typische Nazi-Klischees oder Einzeltäter-Thesen, aber der verständliche Versuch Brauners, seinen engagierten Film dem damaligen Publikum schmackhaft zu machen, lässt diesen zu oft in Unterhaltungsfilm-Mechanismen verfallen mit einer netten Liebesgeschichte und komisch-herzig bis dramatisch angelegten Nebengeschichten. Geholfen hat es dem Film nicht – im Gegenteil. Die Mehrheit der westdeutschen Zuschauer lehnten „Morituri“ trotzdem als „deutschfeindlich“ ab, für einen kritischen Film blieb er dagegen zu oberflächlich und wirkte in seiner ideologiefreien Perspektive zu naiv. Erst mit dem zeitlichen Abstand wird die Leistung Brauners ersichtlich, der sich aus dem Blickwinkel eines unmittelbar Betroffenen ohne Ressentiments mit der nationalsozialistischen Vergangenheit als einer der Ersten im Rahmen eines Unterhaltungsfilms auseinandersetzte. (6/10)