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Ob Liebe auf den ersten Blick wirklich existiert, kann eigentlich nicht eindeutig beantwortet werden, wohl aber, dass es so etwas wie Anziehungskraft auf den ersten Blick gibt, egal welche sexuelle Ausrichtung vorherrscht. Regisseur Tor Iben, bereits erfahren mit Streifen über Probleme Homosexueller, siedelt seine Tragikomödie in Berlin an, wo es um Freundschaft, Loyalität, vermeintlich harte Kerle und Überwindung von Vorurteilen geht.

Ibo (Cem Alkan) erhielt gerade seinen Bachelor in Immobilienmanagement, als er über Umwege den Kleinganoven und Show-Wrestler Alexander, genannt Ali (Martin Walde) kennen lernt und sich spontan in ihn verliebt. Als Ali zusammengeschlagen wird und mit zwei gebrochenen Armen im Krankenhaus landet, wittert Ibo eine minimale Chance bei dem heterosexuellen Ali…

Die Erzählung kommt zwar fast gänzlich ohne Kitsch aus, jedoch nicht ohne einige Klischees, welche teils recht oberflächlich behandelt werden. Etwa Ibos Vater, der seinen Sohn nach dem Coming Out verstößt oder der aufgeschlossene Onkel Mehmet (Neil Malik Abdullah), der als freier Theaterregisseur ganz anders als ein Bruder tickt. Manche Figuren, wie Ibos zickige Schwester kommen ein wenig zu stereotyp daher, etwaige Hintergründe werden ausgeklammert und manches Erzählelement, wie die Ausgrenzung von türkischstämmigen Berufsanwärtern wird nur in Ansätzen angerissen.

Demgegenüber entfaltet sich die Entwicklung der beiden Hauptfiguren phasenweise recht spannend, zumal die Typen unterschiedlicher kaum ticken könnten. Ibo ist der Schüchterne, fast schon etwas devote Junge, der zuweilen etwas naiv an einige Dinge herangeht, während Ali den Draufgänger mit frecher Schnauze verkörpert, der ab der zweiten Hälfte eine interessante Entwicklung durchmacht und auch mal Emotionen offenbart, die man ihm anfangs nicht zugetraut hätte.

Zunächst kommt die Erzählung etwas schwerfällig daher, die wesentlichen Eckdaten in Ibos Umfeld werden allzu hastig abgeklappert, während es im letzten Drittel etwas zu rund und versöhnlich abläuft. Den sympathischen Figuren ist es zu verdanken, dass das Interesse dennoch nicht weicht. Peinlichkeiten werden geschickt umgangen, wogegen das Bodenständige, Menschliche, jedoch nie übertrieben Emotionale eine charmante Mischung ergibt. Letztlich ist der Aspekt der Freundschaft weitaus stärker ausgeprägt als die sexuelle Komponente und besonders in diesen Momenten performen die beiden Hauptdarsteller sehr überzeugend und liefern neben dem sympathischen Abdullah darstellerische Glanzpunkte ab.

Zwar fallen dagegen einige Nebendarsteller merklich ab, der Score plätschert phasenweise etwas zu sehr vor sich hin und Berlin bleibt als Hauptschauplatz beinahe austauschbar, doch die Geschichte gewinnt im Verlauf mehr und mehr, obgleich nie deutlich wird, worauf die Pointe hinausläuft, sofern es denn überhaupt eine gibt.

Mit etwas mehr Tiefe und entsprechend längerer Laufzeit (79 Minuten mit recht langem Abspann) wäre durchaus mehr drin gewesen, doch zumindest gelingt es endlich wieder einem deutschen Film, beim Betrachter eine Art Wohlfühlmodus zu aktivieren, ohne mit unangemessenem Pathos aufzutreten.
6,5 von 10

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