Viele Actionfans zocken gerne Ego-Shooter, manche Kritiker werfen Actionfilmen gerne vor sie seien wie Videospiele und Games werden gern als Actionreißer verfilmt. Etwa „Doom“, der mit seiner Ego-Shooter-Sequenz eine Wegmarke setzte, die (nicht-gamebasierte) Actionfilme wie „Im Fadenkreuz – Seal Team 8“, „Act of Valor“ und „Der Spion und sein Bruder“ in Einzelsequenzen aufgriffen. Produzent Timur Bekmambetov und Regisseur Ilya Naishuller haben mit „Hardcore“, auch als „Hardcore Henry“ bekannt, das Prinzip zur Spielfilmgrundlage erhoben.
So beginnt der Film auch wie ein Videospiel ohne Intro. Aus der Ohnmacht erwacht der Protagonist Henry, durch dessen Augen der Zuschauer sieht und dessen Antlitz man nur einmal kurz in einer Reflexion erahnen kann, in einem Labor auf, ohne Erinnerungen, ohne Erläuterungen. Seine Frau Estelle (Haley Bennett) erklärt ihm noch, dass Teile seines Körpers durch kybernetische Prothesen ersetzt werden müssen, da stürmt bereits der telepathisch begabte Oberschurke Akan (Danila Kozlovsky) mit seinen Leuten das Labor, tötet die Wissenschaftler und will sich auf Henry schnappen, doch der flieht mit Estelle aus dem Labor – das sich als an Bord eines Flugzeugs befindet. Damit stürzt der Zuschauer fast wortwörtlich in den Film, im Point of View seines Protagonisten und ähnlich planlos wie dieser, aber bereits mitten in der Action.
Am Boden angekommen wird Henry zwar bald von Estelle getrennt, bekommt dafür aber Unterstützung von Jimmy (Sharlto Copley), der augenscheinlich mehr über die Situation weiß. Aber das Wissen muss er erstmal vermitteln können, wenn alle paar Minuten irgendwelche schwerbewaffneten Schergen Akans angreifen, die der kybernetisch gepimpte Henry mit Jimmys Hilfe aufhalten muss…
Es gibt natürlich Vorbilder für „Hardcore“, nicht umsonst ist ein Plakat des wegweisenden Point-of-View-Detektivfilms „The Lady in the Lake“ kurz in einer Wohnung zu sehen. Besagter Film floppte zwar dereinst, gilt aber als erstes Point-of-View-Werk der Filmgeschichte. Also ist „Hardcore“ in erster Linie ein konsequentes Experiment und die Weiterentwicklung der sonst eher in stillen, weniger explosiv-actionreichen Genres wie Krimi und Horror eingesetzten POV-Perspektive über Spielfilmlänge. Das ist teilweise faszinierend gemacht und bietet bewusst alles, was man aus Ego-Shootern kennt: Waffen sammeln, Sprung- und Kletterpassagen, Sniper-Modus, Fahrzeuglevel usw. Tatsächlich ist „Hardcore“ auch dann am besten, wenn er sich tatsächlich als Ego-Shooter als im wahrsten Sinne des Wortes in Szene setzt – die Nahkampfaktionen sehen ähnlich hilflos aus wie in diversen Videospielen, worunter vor allem der Showdown leidet, der bald eher wie eine Fallstudie aussieht, was dem menschlichen Körper alles durch Fäuste, Messer, Ventilatoren usw. angetan werden kann, den Zuschauer aber bei der Action öfter die Außenperspektive wünschen lässt. Solche Momente gibt es schon vorher im Film, aber dort am stärksten.
Die Handlung ist leider gehaltärmer als diverse Zwischensequenzen in gängigen Nicht-High-End-Ballerspielen und macht sich gar nicht die Mühe manches zu erklären, etwa die Telekinese-Fähigkeiten der Oberschurken-Luftpumpe (da hilft kein Grimassieren über die schwache Performance Danila Kozlovskys weg), die genauen Hintergründe Henrys oder warum genau er manchmal von A nach B kommen muss. Figuren tauchen auf und verschwinden, etwa die beiden Kampf-Uschis, die wirken, als ob sie zu oft „Kill Bill“ gesehen haben.
Doch es gibt es definitiv Gutes, abseits des Stilwillens. Sharlto Copley gibt dem Affen in seiner vielseitigen Performance ordentlich Zucker, die Verfolgungsjagd mit Autos, Motorrädern und Miniguns sowie der Kampf um den Hotelkomplex lassen frohlocken und der Film hat einige durchgeknallte Ideen, die den Zuschauer öfter an „Crank“ denken lassen. Ein Kind von Traurigkeit ist das Teil in Sachen Gewalt nicht, auch wenn das Gesplatter manchmal etwas pubertär und gewollt wirkt. Die Schießerei im Puff und ähnliche Scherze hauen noch einen leichten Sleaze-Anteil rein, während bunt Motive aus verschiedenen Genres, filmischen Vorbildern und Videospielen eingeflochten wird – etwa das Respawnen einer bestimmten Figur, was irgendwann innerhalb der Handlung tatsächlich mal erklärt wird.
Nicht, dass die Erklärung groß etwas ausmachen würde, anderes wird ja eben auch nicht erläutert und so drückt Naishuller immer flink auf die Tube. Tarantino-Spezi Tim Roth schaut ultrakurz vorbei, damit man noch einen halbwegs großen Namen vor Neill-Blomkamp-Spezi Sharlto Copley und das bemühte, hier aber etwas verschenkte Jungtalent Haley Bennett auf die Besetzungsliste knallen kann. Die restlichen Namen und Gesichter der US-russischen Co-Produktion kennt eh kaum jemand, einprägen muss man sie sich eh nicht, denn sie sind sowieso nur Statisten für das filmische Experiment von Naishuller, der in zwei (oder drei, je nachdem wie man es sieht) Rollen selbst noch mitwirkt. Die kann allerdings auch nicht verbergen, dass sich das POV-Gimmick mit der Zeit etwas abnutzt und „Hardcore“ daher oft nur so gut wie sein jeweils aktuelles Set Piece ist.
So mag „Hardcore“ nicht gerade nach zig Fortsetzungen oder Nachahmern schreien, ein lobenswertes Experiment ist Naishullers Film aber schon, das man gerne noch weiter hätte denken dürfen (gerade in Sachen Plot). Aufgrund seines Alleinstellungswertes und seiner Konsequenz definitiv sehenswert für Actionfreunde, allen Schwächen zum Trotz.