Warum hast du so ein großes Maul?
Jin-Roh gehört mit Akira & Ghost In The Shell gemeinhin zu den Urvätern der modernen Animes & auf ewig zu den Besten & Wichtigsten des Genres. Und auch mir gefiel eine Menge an diesem dramatisch-futuristischen Polit-Thriller-Melodrama-Anime.
Der Film spielt in einer alternativen Welt, in der Deutschland den zweiten Weltkrieg nicht verloren hat & nun Japan besetzt hat. Dort hat sich eine für die Freiheit kämpfende Organisation gebildet, die das ebenso brutale Gegenstück zur Stadtpolizei bildet. Wir folgen nun einem dieser gepanzerten Elite-Polizisten in die Kanalisation, wo sich vor seinen Augen eine junge Frau & Mitglied der Freiheitskämpfer in die Luft sprengt. Er überlebt dank seiner Panzerung, muss aber mit den Folgen dieses Abends, seiner Entlassung & dem Kennenlernen der angeblichen Schwester des Opfers umgehen & durchlebt so einige schwerwiegende Entscheidungsmomente...
Jin-Roh ist keine leichte, actionreiche Kost, eher das Gegenteil. Dunkel, blass, fast depressiv, realistisch & dreckig gezeichnet (trotzdem ein Genuss auf Blu-ray!), voller komplizierter Monologe, Entscheidungen, entschleunigten Szenen, Träumen, Vergleiche & Metaphern. Die bedeutungsschwangerste ist natürlich der dauernde Rotkäppchen-Vergleich. Der Film hat eine greifbare, wunderschön surreale Atmosphäre, viele Anspielungen auf deutsche Historie (gute wie schlechte), einen (zu?) vielschichtigen Plot, Wendungen en Masse & ein radikales Finish. Ebenso ist die wenige Action, die da ist, blutig, grimmig & hart. Der Film behandelt Themen wie Wahrheit, Loyalität, Liebe, Charakterstärke & den Kampf für Gerechtigkeit & Freiheit, ebenso wie die Frage, was überhaupt Wahrheit & Freiheit bedeuten. Genug also, um noch lange darüber zu Grübeln...
... oder als tempoverwöhnter Filmgucker, Jin-roh schnell wieder zu vergessen, da einfach zu langatmig, lahm, schwer. Das ist oberflächliche Kritik & tut dem Film nicht recht, ebenso wenig wie es für die Kritiker spricht, die solche Aussagen treffen - aber aus der Luft gegriffen sind solche Vorwürfe nicht, eher sind es Fakten. Fakten die mir wenig ausmachten, auch wenn ich am ersten Abend fast eingeschlafen bin & später weiter schauen musste. Man braucht Geduld & Muse, sich näher mit dem Thema, der Atmosphäre & den verschachtelten Kernaussagen zu befassen, zu identifizieren. Das der Hauptcharakter aber trotz vielen Gefühlsproben blass & keine wirkliche Identifikationsfigur bleibt, ärgerte mich. Auch die Unübersichtlichkeit der vielen ähnlich aussehenden Charaktere, der verschiedene Organisationen & den unterschiedlichen Zielen, die oft im Verborgenen blieben. Ein Film, bei dem man sich extrem viel selbst erschließen muss & fast schon vergleichbar mit einem Solaris von Tarkovsky. Jeder der aber Animation nicht ernst nimmt, wird nach diesem Brocken seine Meinung nochmal überdenken!
Fazit: viel philosophischer & tiefsinniger kann ein Anime nicht sein... kann ein Film nicht sein! Einer der Besten seines Faches, wenn auch zum Teil zähe Kost!