Review

In den 1970er Jahren kreuzen sich im marokkanischen Casablanca erstmals die Wege der französischen Familie Bamberski und des deutschen Arztes Dieter Krombach (Sebastian Koch), deren Kinder dieselbe Schulklasse besuchen. Krombach macht sich an Bamberskis Ehefrau Dany (Marie-Josée Croze) heran, die sich auf eine Affäre einläßt. Als ihr Gatte dies bemerkt und sie zur Rede stellt, beendet sie die Liaison zunächst, doch Krombach läßt nicht locker, was schließlich zur Scheidung führt.
Das Sorgerecht für die Kinder erhält der Vater André Bamberski (Daniel Auteuil), nur in den Ferien besuchen Kalinka und ihr Bruder die Mutter, die inzwischen mit Krombach am Bodensee lebt. Im Sommer 1982 sind die beiden Kinder gerade wieder zu diesem Anlaß in Deutschland, als die 14-jährige Kalinka plötzlich stirbt. Krombach hatte sie tot aufgefunden und noch mit Spritzen zu reanimieren versucht, aber vergeblich. André Bamberski trifft fast der Schlag ob dieser Nachricht - er kann sich nicht erklären, wieso das völlig gesunde Mädchen plötzlich umgekommen ist. Für die Überführung der Leiche nach Frankreich ist ein Obduktionsbericht erforderlich, der in Kempten im Allgäu ausgestellt wird. Bamberski läßt sich diesen kommen und übersetzen - und stößt auf Ungereimtheiten. Einerseits erwähnt der Untersuchungsbericht eine Verletzung und ein Sekret im Intimbereich, andererseits wurde Kalinkas Leiche nicht explizit auf eine Vergewaltigung untersucht. Darüberhinaus vermerkt der Bericht, daß die Wiederbelebungsversuche Krombachs durch, sowie auch Art und Inhalt der Spritzen völlig sinnlos, ja befremdlich gewesen seien.
Ein schrecklicher Verdacht keimt in André Bamberski auf: Krombach hat seine Tochter vergewaltigt und wollte dies durch die Spritzen, die eine bestimmte körperliche, in diesem Fall tödliche Reaktion nach sich ziehen, vertuschen. Der schockierte Vater setzt alle Hebel in Bewegung, um Krombach vor Gericht zu bringen - doch das ist gar nicht so einfach: selbst eine Exhumierung der Leiche in Frankreich bringt keinen eindeutigen Beweis...

Der Fall Bamberski verursachte im Jahre 2009 ein Raunen in der Presse: ein Franzose hatte einen über 70-jährigen deutschen Arzt gewaltsam entführen und nach Frankreich bringen lassen, um diesen dort (erneut) verurteilen zu lassen, nachdem sich die Justizbehörden beider Länder offenbar jahrzehntelang desinteressiert gezeigt und weggeschaut hatten. Von der Thematik her ein gefundenes Fressen für Regenbogenpresse und Verschwörungstheoretiker, doch Regisseur Vincent Garenq versucht in seinem 2016er Spielfilm Im Namen meiner Tochter – Der Fall Kalinka den emotionalen Drive aus der Angelegenheit herauszuhalten und beschränkt sich weitgehend auf die Figur des zunehmend verzweifelter agierenden Vaters André, der jahrelang unter hohem persönlichen Einsatz gegen das Verdrängen und Vergessen des viel zu frühen Todes seiner Tochter ankämpft.

Während sich das Drehbuch viel Zeit für die Einführung der Charaktäre nimmt, stößt die Schilderung des jahrezehntelangen Engagements Bamberskis freilich an gewisse zeitliche Grenzen, da in der vorgegebenen Spielfilmzeit von ca. 90 Minuten die Teil- aber auch Mißerfolge des Vaters nur stichpunktartig abgearbeitet werden können. Das ist insofern schade, als einige durchaus interessante Gesichtspunkte einerseits zur Begründung der jahrelang mauernden Behörden, andererseits zur psychologischen Entwicklung der Beteiligten fast völlig unter den Tisch fallen.
Über Bamberskis Privatleben erfährt man nur soviel, daß seine neue Frau ihn irgendwann verläßt, als sie erkennt, daß André sein ganzes Leben der Überführung des Täters unterordnet, die - noch viel spannendere - Frage nach den Motiven von Kalinkas Mutter Dany, die Krombach sogar dann noch deckt, als sie von diesem längst geschieden ist, bleibt gänzlich unbeantwortet.

Und schließlich der Arzt selbst, dessen Persönlichkeitsprofil - analog zu jenen filmisch aufgearbeiteten eines Ted Bundy oder Jeffrey Dahmer - einer näheren Betrachtung wert gewesen wäre: war er tatsächlich ein Monster, hat der 1982 47-Jährige tatsächlich die 14-jährige Kalinka vergewaltigt und ermordet? Vieles spricht dafür, besonders eine Verurteilung in Deutschland 1997 wegen der erwiesenen Vergewaltigung einer 16-Jährigen in seiner Praxis. Ist damals ein Serientäter für eines von vielen ähnlichen Verbrechen seiner Laufbahn (zu einer übrigens verhältnismäßig milden Strafe) verurteilt worden? Der Film gibt darauf keine Antwort.
Bamberski jedenfalls fühlt sich bestätigt, sein Streben nach Gerechtigkeit erhält neue Nahrung, doch wieder reicht es nicht für eine Auslieferung nach Frankreich, wieder geschieht jahrelang nichts. Und überdies rückt der Zeitpunkt der Verjährung immer näher, und so engagiert André, der bei den Behörden inzwischen als Querulant und Spinner verschrien ist, einige osteuropäische Schläger. Die entführen Krombach im Kofferraum und legen den verletzten Arzt im Elsaß ab, nicht ohne die Polizei über dessen Personalie zu informieren. Der Rest ist bekannt - unter dem Druck der öffentlichen Meinung wird der 76-jährige mutmaßliche Mörder und Vergewaltiger Kalinkas 2011 ein zweites Mal in Frankreich verurteilt: diesmal ohne Formfehler rechtskräftig zu 15 Jahren. Doch dieser späte Triumph wird im Film, der mit einem Grabbesuch endet, nur noch in Form einer Schrifttafel vor dem Abspann erwähnt.

Während es an Kameraarbeit und der Leistung der Darsteller nichts auszusetzen gibt (Daniel Auteuil souverän in der alles dominierenden Hauptrolle als verzweifelter Gerechtigkeitskämpfer, Sebastian Koch fast schon unbeteiligt mit nur sehr wenig Screentime in der undankbaren Rolle des Dr. Krombach) vermisst der geneigte True-Crime-Freund an Im Namen meiner Tochter – Der Fall Kalinka vor allem faktenbasierte Ermittlungsergebnisse, besonders zu den teilweise hochmerkwürdigen Vorgängen um Tod, Obduktion und Exhumierung zwischen 1982 und 1985. Doch dafür bedarf es der eigenen Recherche im Internet: die Regie beläßt es - neben einigen Seitenhieben vor allem gegen die französischen Behörden - bei einem Persönlichkeitsbild eines um Gerechtigkeit ringenden Vaters. 6 Punkte.

Details
Ähnliche Filme