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Die Japaner sind schon ein komisches Volk. Auf der einen Seite handelt es sich um einen äußerst höflichen, zurückhaltenden Menschenschlag, der seine kulturelle Vergangenheit hochhält. Auf der anderen Seite kommen einige der kränksten und perversesten Comics und Filme aus eben diesem Land. Ist das kollektive Trauma Hiroshimas verantwortlich für eine Aufarbeitung dieser extremen Art? Muss die ewige Zurückhaltung und Höflichkeit gar dadurch kanalisiert werden? Es muss einen Grund haben das gerade in diesem Land Filme wie Ichi – The Killer oder die Guinea Pig-Reihe entstehen konnten. Hat Godzilla etwa die japanische Kultur soweit geprägt, dass sie nun in Form mutierter Tentakel ihre Perversion erlebt? Bewirkt eine Zensur primärer Geschlechtsorgane, wie in Japan üblich, gar das krasse Gegenteil? Hätte ein Film wie Kite auch in Amerika entstehen können?  

Zumindest bei letzter Frage kann man mit einem eindeutigen „Nein!“ antworten. Der Zeichentrickfilm über ein junges (minderjähriges?) Killermädchen ist vollgestopft mit heiklen Themen wie Selbstjustiz und Pädophilie und all das getränkt in Blut und angereichert mit expliziten HC-Szenen. Regisseur Yasuomi Umetsu versucht einen klassischen Racheplot mit derart vielen Tabubrüchen anzureichern, dass sich der Zuschauer teilweise etwas überfordert fühlt. Leider kommt zwischen all den Blutfontänen, den erigierten Gliedern und bebenden Brüsten die Charakterisierung der Personen zu kurz. Viel zu kurz.  

Sawa ist ein noch ein junges Mädchen als ihre Eltern brutal gemeuchelt werden. Der ermittelnde Polizist nimmt sie bei sich auf und bildet sie zur eiskalten Killerin aus. Fortan nimmt sie, im Auftrag ihres neuen Ziehvaters, das Gesetz in die eigenen Hände und tötet vornehmlich kindsmißbrauchende Dreckschweine. Doch auch sie selbst kann ein Lied davon singen. Denn ihr Pflegevater hat damals nicht nur ihre Eltern ermordet sondern auch sie mehrfach vergewaltigt, bis sie ihm wie ein Hund untertan wurde. Nun jedoch, vier Jahre nach dem grausamen Tod ihrer Erzieher ist die Zeit der Rache gekommen. Dabei steht ihr der ebenso junge Killer Oburi zu Seite. 

Wie gesagt, Kite ist klassischer Stoff. In etwas veränderter Form wird die gleiche Geschichte zum Beispiel im Jet Li-Vehikel Danny the dog erzählt (der sich mit Sicherheit auch ein wenig an Kite orientiert hat). Die Intention der kleinen Sawa ist durchaus nachzuvollziehen. Erst als sie durch Oburi eine neue Perspektive für „das Leben danach“ erhält, traut sie sich dem grausamen Polizisten entgegenzutreten. Der wiederum ahnt nicht, dass Sawa sein dunkles Geheimnis kennt. Doch während bei Danny the dog, die Ausgangssituation verständlich war – er bildet den kleinen Li zum emotionslosen Killer aus, um Schulden einzutreiben – will mir der Grund für Sawas Killereinsatz nicht ganz einleuchten. Warum will der Polizist Pädophile um die Ecke bringen, die dem Gesetz entschlüpft sind, wo er doch selbst einer ist? Wie kommt er darauf, Sawa könne einen Hass gegen Kinderschänder entwickeln und ausgerechnet ihn verschonen, der sich doch wohl täglich an ihr vergeht? Für solche Erklärungen ist in 50 Minuten leider keine Zeit. Stattdessen wird die Geschichte auf reine Schauwerte reduziert. Ganz ehrlich, die Pornoszenen wären größtenteils nicht nötig gewesen. Einzig ein Rückblick, in dem die junge Sawa von dem Polizisten vergewaltigt wird, hat dramaturgische Relevanz. So hangelt sich Kite von einer Sexszene zur nächsten Explosion von Körperteilen, und so toll manche Actionszenen inszeniert sind, man fragt sich schlussendlich doch, was soll das alle? Hinzu kommt, dass unsere Protagonistin fast immer wirkt als wäre sie auf Valium. Es mag zum Teil auch der etwas missglückten englischen Synchro geschuldet sein, aber sie ist einfach zu emotionslos um auch nur einen Hauch von Identifikation zu gestatten. Ebenso verhät es sich auch mit Oburi, über dessen Hintergründe wir eigentlich überhaupt nichts erfahren. Auf jeden Fall hätten es 20 bis 30 Minuten mehr geschafft aus Kite einen anspruchsvollen und eventuell sogar aufwühlenden Film zu machen.  

So jedoch bleibt ein brutaler Sex and Crime-Anime der in seinen Actionsequenzen zwar visuell nach wie vor zu beeindrucken weiß, für einen unterhaltsamen No-Brainer aber zu schwerfällig und zu depressiv ist. Für ein Drama jedoch viel zu wenig Tiefe aufweist. Nicht Fisch und nicht Fleisch.

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