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Kaufmans entfremdeter Blick auf das menschliche Wesen dringt immer noch an die Oberfläche, selbst wenn er keinen Realfilm mit echten Menschen dreht, sondern einen Stop-Motion-Film auf der Grundlage von 3D-Drucker-Puppen. Tatsächlich unterstützt diese Technik sogar die Quintessenz im Schaffen des eigenwilligen Autorenfilmers, das Menschsein sei ein wirrer Fiebertraum und letzten Endes geprägt von robotischer Sinnlosigkeit.

Graue Tristesse zeichnet "Anomalisa" visuell aus, mit Regen, rußigen Hintergründen und fahlem Licht, aber mehr noch: In den Gesichtern aller Figuren verlaufen Nähte, die auf den ersten Blick aussehen wie Brillengestelle, sich letztlich aber als radikales Stilmittel entpuppen, mit dem etwas Cyborgartiges zum Vorschein gebracht werden soll. Die Animation selbst wirkt in einigen Momenten außerordentlich realistisch, in anderen wiederum betont hüftsteif; so, wie man es von einer Kreatur erwarten würde, die menschliches Verhalten zu imitieren versucht, im Inneren jedoch nur aus Hydraulik besteht.

Der eigentliche Clou allerdings ist die konkurrenzlos dünne Synchronsprecherkartei des Films. Abgesehen von der Hauptfigur teilen sich (fast) alle anderen Figuren ein und dieselbe (männliche) Stimme: Der Taxifahrer, der den Mann zum Hotel bringt, der Mann am Empfang, die Ehefrau sowie der Sohn am Telefon des Hotelzimmers, die Kellnerin im Hotelrestaurant. Das führt einerseits zu einigen humorigen Momenten (wenn der kleine Sohn trotz männlicher Stimme so agiert, wie kleine Söhne dies eben tun), andererseits verzerrt es die Stimmung ins Surreale, in erster Linie aber verdeutlicht es auf unvergleichliche Weise die Agnosie, in der sich die Hauptfigur wiederfindet, unfähig oder nicht Willens, die Individualität seiner Begegnungen wahrzunehmen.

Natürlich verweilt "Anomalisa" nicht eineinhalb Stunden in diesem fatalistischen Zustand, sondern lässt den Protagonisten eine persönliche Erleuchtung erleben. Gerade hier gelingt es Kaufman dann sehr wohl, unverfälschte Menschlichkeit darzustellen und die besonderen Merkmale eines einzigartigen Menschen treffgenau nachzuzeichnen. Es ist eben auch dieses Pendeln zwischen Leere und Erfüllung auf der Suche nach einem Lebenszweck, das "Anomalisa" so speziell macht.

Ein Blatt nimmt Kaufman dabei auf jeden Fall nicht vor den Mund. Nacktheit und Vulgärsprache stellt er unverblümt dar, auch der Humor ist von besonders bizarrer Sorte (die eine große Liebesbekundung im Film lässt einem die Haare zu Berge stehen). Das Animationswerk richtet sich explizit an ein erwachsenes Publikum, sowohl thematisch als auch in Bezug darauf, was gezeigt und was gesagt wird.

Nur ein bestimmter Schlag Mensch wird überhaupt Verständnis haben für eine Geschichte wie die von "Anomalisa", aber das war mit "Adaption" oder "Being John Malkovich" ja nicht anders. Es ist nach sieben Jahren jedenfalls eine kraftvolle Rückkehr auf den Regiestuhl / an die Schreibmaschine, die auf jeden Fall gesehen und gehört werden sollte.

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