René Laloux und der fantasievolle Künstler Jean Giraud alias Moebius, nach deren Vorgaben der Film maßgeblich in Ungarn angefertigt wurde, schufen mit „Les maîtres du temps“ eine Vision interplanetarischer Reisen, die verschiedene Welten mit ihren spezifischen Bewohnern vorstellt. Wer die titelgebenden „Herrscher der Zeit“ sind, stellt sich erst gegen Ende heraus. Zentrales Antriebsmoment der Geschichte ist der Versuch einer Mannschaft um Raumfahrer Jaffar, den kleinen Jungen Piel zu retten, der auf dem Planeten „Perdide“ gestrandet ist.
Bei den Figuren wird zunächst mal an Klischees nicht gespart. Jaffar wird als kraftvoller Anführertyp vermittelt, wie ihn ein Abenteuerfilm traditioneller Machart erfordert. Ihm gegenüber steht eine schöne Prinzessin, die eigentlich zu dem hinterhältigen Prinzen Matton gehört, jedoch liegt allein aufgrund der althergebrachten Anlegung der Figuren die Romanze schon in der Luft, die sich beispielsweise in einer keuschen, aber innigen Badeszene mit Blaue-Lagune-Flair ausdrückt. Durch Sanftheit und Liebenswürdigkeit zeichnet sich ihre Figur aus und vermag letztlich ebensowenig zu überraschen oder sich weiterzuentwickeln wie Jaffar. Allerdings über die Klischees einer derartigen Figurenkonstellation geht hinaus, dass sie in der Kommunikation mit dem kleinen Piel auch mütterliche Züge annimmt.
Auch die zeichnerische Gestaltung der Figuren lässt wenig Fragen offen: Der muskelbepackte Jaffar ist breit wie ein Schrank und die Prinzessin eine grazile Schönheit, deren sprechender Name „Belle“ lautet. Sogar Jaffars Gesichtszüge sind zeichnerisch maskulin bis zur Karikatur akzentuiert. Das Gesicht seines weiblichen Gegenübers ist derart glatt und makellos, dass es manchmal seltsam leer wirkt. Hier wäre man gut beraten gewesen, weniger dick aufzutragen und den Figuren mehr Individualität zu gönnen, nicht zuletzt da auch die Animation der Gesichter beim Sprechen zu wünschen übrig lässt.
Als alter Raumfahrt-Seebär, der einiges an Informationen und auch humoristischen Akzenten beiträgt, tritt der lustige Weltall-Vagabund Silbad hinzu, dessen Name wohl nicht zufällig an Seefahrer Sindbad aus den 1001-Nacht-Erzählungen erinnert. Um das Szenario noch mehr zu beleben, kommen zwei redselige kleine Gestalten mit telepathischer Begabung namens Jad und Yula hinzu, die sich unablässig über die anderen Figuren und den „Geruch“ von deren Gedanken unterhalten – in der Nähe böser Menschen können sie es vor „Gestank“ nicht aushalten. Diese beiden Wesen mit ihren manchmal etwas penetranten Stimmchen liefern einerseits humorvolle Einlagen, da sie auch ihre Äußerungen mit kleinen Gestaltwandlungen illustrieren können, andererseits könnten ernste bis düstere Stimmungen des Films wie zum Beispiel auf Gamma 10 ohne ihre quirligen Dialoge noch stärker wirken. Im Gesamtbild wirkt ihre Präsenz sich letztlich eher störend aus. Prinz Matton, der als Fahrgast Jaffars als eine Art Steuerflüchtling bestrebt ist, seine mit Gold und Juwelen gefüllte Schatztruhe vor einem ungünstig gesonnenen Regime in Sicherheit zu bringen - ob diese rechtlich nun ihm oder dem ebenso unseriös wirkenden Staat gehören, erfährt man nicht -, ist wie so viele Bösewichte eine vergleichsweise interessante Figur. Es ist dem Film hoch anzurechnen, dass er diesem eigentlich recht klassisch angelegten hinterhältigen Schurken noch einen großen Moment gönnt, in dem sich seine Charaktereigenschaften sogar als unerwartet hilfreich erweisen.
Die große Stärke des Films ist die Gestaltung der verschiedenen Planeten mit ihren landschaftlichen Spezifika. Während auf Perdide wunderschöne psychedelische Landschaften wie ein riesiger korallenartiger Wald das Auge fesseln und auf Gamma 10 nackter Fels bedrohlich im rötlichen Licht schimmert, strahlt Silbads zeitweilige Unterkunft idyllische Züge aus. Unter den Figuren ragen die gesichtslosen Engelsgestalten auf Gamma 10 eindeutig heraus, wie auch dieser Abschnitt der Erzählung einer der interessantesten ist und philosophische Züge aufweist. Die Vision einer völlig gleichgeschalteten Gesellschaft, die von einem einzigen gedanklichen Zentrum (entfernt vergleichbar mit dem „Brainbug“ in Verhoevens nach Heinlein inszeniertem fulminantem SF-Actionfilm „Starship Troopers“) organisiert wird, das anscheinend selbst ausschließlich aus dem Gedanken eben der totalen Gleichheit besteht, schafft Assoziationen zu ideologisch autoritären Gesellschaftsformen, zu der als Gegenvision die letztlich sehr bunt zusammengewürfelte Mannschaft dient, mit der Jaffar im Weltraum herumfährt, bevor dann schließlich die „Maîtres du temps“ der Geschichte eine letzte neue Wendung geben – auf die ich an dieser Stelle nicht eingehen will.
Eine weitere Episode des Films, die politische Anklänge zeigt, ist die Begegnung von Jaffar und seinen Leuten mit einem Raumschiff, das von einer karikaturartig auf böse getrimmten Fascho-Armee gefahren wird, die hinter dem Prinzen und dessen Geld her ist. Hier leistet der Film sich eine seltsame Irritation, indem ein Schlachtplan zur Übernahme des feindlichen Raumschiffs zwar vage vorbereitet, dann aber unerklärt fallengelassen wird; die Gegner verschwinden einfach aus der Handlung. Die folgende Episode über die „Maîtres“ jedoch bringt eine zum Weiterdenken anregende Pointe, die zwar bei näherer Betrachtung inhaltlich wenig überzeugt, jedoch die originelle Wirkung fertigbringt, die Mission Jaffars und seiner Begleiter in einer Hinsicht erfolgreich und anderer Hinsicht gescheitert erscheinen zu lassen. Ohne einen vielsagenden Händedruck Jaffars und der Prinzessin Belle schafft es Laloux nicht, sich zu verabschieden, hier wird dann doch wieder Abenteuerfilm-Standards gehuldigt.
„Les maîtres du temps“ ist ein ohne Zweifel sehenswertes Weltraum-Abenteuer, zeichnerisch im Bereich der Landschaften großartig und im Bereich der Figuren weniger befriedigend geraten. Sein Eintreten für Individualismus und eine pluralistische Toleranzgesellschaft vermittelt er unübersehbar. Dieser Forderung stehen jedoch die Anpassung an Zuschauererwartungen wie etwa die eindeutige Verteilung von „Gut“ und „Böse“ sowie die Installation einer etwas selbstzweckhaft scheinenden Romanze entgegen.