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"Herrscher der Zeit" ist ein ungewöhnlicher Animationsfilm, ein göttlich gutes Abenteuer jenseits von Genre-Einschränkungen oder Limitationen aufgrund von Massen- und Zielgruppenkompatibilität. Allein schon die Anfangscredits zeigen uns, dass wir uns auf etwas einzigartiges gefasst machen müssen.

Denn um den Science-Fiction-Roman "L'Orphelin de Perdide" ("Der Waisenjunge von Perdide") von Stefan Wul zu realisieren, wurde hier nicht nur der mit Wul-Stoff vertraute Zeichentrickregisseur René Laloux beauftragt, dieser erhielt auch Unterstützung von dem großen Jean Giraud, besser bekannt als Moebius. Moebius, ein einzigartiger, visionärer Künstler, der Comics wie die "Blueberry"-Reihe in all ihren Variationen, den "Heavy Metal"-Comics oder auch die "Little Nemo"-Abenteuer erschuf. Wenn man auf der Leinwand umwerfende Optik brauchte, dann hat man ihn gerufen - sei es für Scotts "Alien", für Lisbergers "Tron", für Jodorowskys "Tusk" oder für Bessons "Das fünfte Element".

So sind besonders die Hintergrundzeichnungen eindrucksvoll und von stiller Schönheit. Die in in gelben Farbtönen gehaltene Oberfläche des Planeten Perdida macht einen quietschbunten Eindruck, wirkt nicht wie ein bedrohlicher, vernichtender Wüstenplanet, sondern scheint uns wirklich wie aus den Augen eines naiven Jungen gezeigt zu werden. Oder der mannigfaltig und exotisch bewachsene Heimplanet des Silbad ist ein Triumph des Ideenreichtums. Leider wirken nur die Charakterzeichnungen manchmal etwas statisch und unecht. Doch über dieses minimale Manko kann man leicht hinüber wegsehen, wenn man sich mit der einzigartigen Story beschäftigt:

Der junge Piel wird von seinem Vater Claude auf der Flucht vor einem Schwarm Riesenhornissen auf dem leben-unfreundlichen Planeten Perdida getrennt. Noch bevor Claude in dem Wrack seines Spinnengefährtes stirbt, kann er eine Nachricht an seinen alten Freund Jaffar absetzen, der gerade den kriminellen Prinz Matton und die gutgeistige Prinzessin Belle eskortiert. Durch ein Mikrophon können Belle und Jaffar mit dem verängstigten Jungen kommunizieren. Piel nennt seinen Kommunikator Mike und befolgt brav alle Ratschläge. Zusammen mit dem alten Weltraumbummler Silbad, der einzige Mensch, der sich wirklich auf Perdida auskennt, nehmen Jaffar, Belle, Matton und die telepathischen, gnom-artigen Sonderlinge Xul und Yula die Route nach Perdida. Doch bis sie dort ankommen, müssen sie einige Hindernisse überwinden.

Auf ihrem Weg wird die Situation immer bizarrer und bedeutender, erwachsener. Sind die ersten, sehr knuddeligen Szenen des Films eindeutig auf ein minderjähriges Publikum zugeschnitten, finden wir uns gegen Mitte des Filmes in einer allegorischen Höllenvision wieder. Jaffar und Matton werden von seelen- und charakterlosen Wesen, äußerlich engelsgleich, gefangengehalten. Diese bilden eine riesige namenlose Armee, deren Ziel ist, sämtliche Wesen, die anders sind, zu einem von ihnen zu machen. Wenn dann noch ihr körperloser Anführer schmetternde Parolen zum Besten gibt, haben wir es wohl mit einer offensichtlichen Parallele zu Hitlers angestrebten Herrenrasse zu tun. So böse und mit überwältigender Bildkraft, dass wir es kaum in einem Zeichentrickfilm erwartet hätten. Ebenso komplex und nicht-kinder-gerecht erweist sich auch das Ende, das hier allerdings nicht verraten werden soll. Nur so viel: Das philosophische Finale rundet den wunderbaren Film zu einem perfekten gezeichneten Kunstwerk ab, und legt letzten Endes die Maske "Kinderfilm" ab, streift sämtliche amerikanischen Disney-Klischees von sich, und wird zu einem handfesten Fantasyfilm mit traurig-schönem Ende.

Über all die Jahre entstand ein im Internet nachzulesener Kult um den wenig gezeigten, eher unbekannten Film. Eine ganze Generation hat "Herrscher der Zeit" im frühen Kindheitsalter Anfang der 80er gesehen. Mit Sicherheit damals noch nicht verstanden, aber dennoch überwältigt von Moebius' gewaltigem Bilderrausch. Auch ich gehöre zu dieser Generation, und werde wohl Erinnerungen mit diesem Filmereignis verknüpfen. "Herrscher der Zeit" ist mit Sicherheit eines der größten, besten Zeichentrickwerke der gesamten Filmgeschichte.

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