Es ist schwer, schöne Erinnerungen an einen Film 20 Jahre lang so zu konservieren, daß man bei der Wiederentdeckung dann nicht höllisch enttäuscht wird.
Rene Lalouxs „Herrscher der Zeit“ kam nicht in einem Stück in mein filmisches Oeuvre, sondern in sechs mundgerechten Happen von gut 12 Minuten Länge, nämlich zum Jahreswechsel 1987/88 in Form der Sonntagmittagserie „Fürchterliche Freunde“.
Präsentiert von Lisa Fitz (was dem Namen Rechnung trägt...) wurden in dieser halbstündigen Sendung eine Reihe abgedrehter, surrealer oder futuristischer Filme gezeigt, eingerahmt von komischen Einschüben rund um „Ernest, den Vampir“ mit den überlangen Szenen, der stets an noch fürchterlichen Alpträumen litt.
Kernpunkt der Serie war stets eine weitere Episode aus „Maitres du Temps“ und wer in diesem Alter (so kurz vor der Volljährigkeit und kurz nach der schulischen Durchsetzung einer Ehrenrunde) noch nicht mit französischen Zeichen- und Comic-Künstlern wie Moebius und seinen abstrakten fernen Welten in Kontakt gekommen war, der war, wie ich, rechtschaffend fasziniert.
Der Film ging (wie so viele) dank des seeehr übersichtlichen Archivs der Öffentlich-Rechtlichen verschütt und war anderthalb Jahrzehnte ein vielgesuchtes „guilty pleasure“ von Fans rund um den Erdball, speziell aber in Deutschland – und kann jetzt endlich wiederentdeckt werden.
Die Geschichte an sich, eine interplanetare Rettungsmission, ist auf den ersten Blick nicht so wahnsinnig interessant, der Clou am Schluß ist es durchaus. Im Zentrum steht der Junge Piel, der nach einem Angriff von Rieseninsekten Mutter und Vater verloren hat und nun allein auf dem Planeten Perdida festsitzt, nur mittels eines eiförmigen Mikrophons verbunden mit dem Raumschiff Jaffars, einem Freund seines Vaters, der jedoch das Problem hat, an Bord mit einem flüchtigen Prinzen (samt Staatsschatz), dessen Holder und (nach Zwischenaufenthalt) einem lustigen Weltraumveteranen unterwegs zu sein. Nach einigen Halts und Abenteuern erreichen die Heroen dann endlich den Planeten...und...das darf man natürlich nicht verraten...
Der ungeheure Einfluß, den dieser Film ausübt (oder zumindest vor Einführung von CGI und der Verbreitung von Animes ausübte), ist auf die Zeichnungen und die Stimmung, die er transportiert, zurückzuführen.
Jean Giraud alias „Moebius“, der Erschaffer von „Blueberry“ und „Johnny Difool“ und zahlreichen gefeierten SF-Comics, entwarf die Grundzeichnungen, auf denen der Film basiert und seine fernen Welten haben den Vorteil gegenüber unserer Star-Trek-orientierten Fremdweltvorstellung, daß sie wirklich FERN und vor allem FREMD wirken.
Karg, ja fast kahl kommen die Impressionen von fremden Planeten herüber, aber stets als etwas, was eben nicht irdisch vergleichbar und vor allem vorsichtseinflößend sind. Eine geschickt montierte und komponierte Tonspur und ein hervorragend arrangierter Soundtrack sorgen dafür, daß sich diese Eindrück zusätzlich noch verstärken.
Besonders spürbar ist das bei den Szenen mit Piel auf Perdida, wo sich der Junge durch einen organisch verschlungenen Wald schlägt, mit sehr fremdartig geformten Lebewesen und ungeahnten Gefahren wie Hornissen oder tödlichen Schlinglianen. Aber auch eine Zwischenepisode auf einem höllenähnlichen Planeten, bei dem Jaffar und der Prinz auf gesichtslose Engel stoßen, die sie einer protoplasmischen Masse opfern wollen, ist zugleich monströs, sakral und abgründig.
Natürlich ist auch an „Herrscher der Zeit“ nicht alles perfekt, vor allem die Figurenzeichnung läßt zu wünschen übrig und die Gesichter sehen sehr steif und unbewegt, ja unemotional aus, was teilweise nicht zu den Sprechern paßt. Auch wirken die beiden telepathischen Sporen, die sich an Bord befinden und als comic relief fungieren, manchmal als erklärende Füllsel.
Was aber den Plot zusätzlich behindert (aber die episodische Ausstrahlung möglich machte), ist die wenig runde Erzählstruktur, die recht abgehackt Episode an Episode reiht. Daß sich das Kind in höchster Gefahr befindet, scheint lange Strecken über niemand so recht zu stören oder zur Eile zu drängen und vor allem bei der Einsammlung des Weltraumkenners Silbad läßt man sich endlos Zeit, ohne das oft irgendwas im Film passiert.
Anstatt ständig den Jungen aufzumuntern oder bei Laune zu halten, passiert das nur alle paar Stunden mal und bisweilen wirken die Abenteuer ein wenig gestreckt oder nicht so visuell umgesetzt, wie sie es verdient hätten.
Auch der Plot-Twist am Ende ist eher etwas antiklimatisch, wirkt aber dennoch recht frisch, auch wenn man so ein Thema sicher schon anderswo mal gesehen, behandelt oder gehört hat.
Dennoch ist die Optik von Moebius Entwürfen derart deluxe und das Filmerlebnis so intensiv gleichzeitig SF und Comic, daß man die vielen erdähnlichen Planeten und Aliens, die man sonst zu sehen bekommt, als furchtbar langweilig empfindet, mögen sie auch noch so viele uns bekannte Probleme reflektieren.
Das hier ist pure Abenteuer-SF und extrem mitreißend, zumindest wenn man noch Kind oder Jugendlicher ist oder die Umsetzung der Kunst- in die Filmform genießen kann.
Deswegen bleibt der Film ein zeitloser Höhepunkt des phantastischen Zeichentricks, der für viele sicherlich den Weg in ihr vorherrschendes Interessengebiet für Jahre wies. (8,5/10)