„Vergessen verboten!"
Innig geliebt, kultisch verehrt, bestimmt 20 Jahre nicht mehr gesehen. Das kann doch nur ein böses Erwachen, oder wenigstens ein verschämtes Stirnrunzeln geben. Würde man meinen, ist aber nicht so. Warum? Abseits vernebelnder Nostalgiegefühle geht das Gebotene immer noch ans Herz, bringt einen immer wieder zum Lachen und gibt einen klugen, Kitsch befreiten Einblick was Jugend ausmacht und womit sie zu kämpfen hat. Eine verblüffende, beeindruckende Leistung für einen Film, der so dermaßen mit seiner Entstehungszeit verknüpft ist, der sie regelrecht repräsentiert. Die Titel- und Endhymne der Simple Minds ist Programm: „Don´you, (Forget about me)!" Klar, „The Breakfast Club".
Wir schreiben das Jahr 1984, genauer gesagt den 24. März. Fünf Schüler kommen an einem sehr frühen Samstagmorgen in die menschenleere Shermer High School (Illinois). Zum Nachsitzen. Erwartet werden sie von Konrektor Richard Vernon (Paul Gleason), dessen Instruktionen für die kommenden 9 Stunden wenig Anlass zur Freude geben: Nicht Sprechen, nicht aufstehen, nicht schlafen, dafür aber einen 1000-Wörter umfassenden Aufsatz zum Thema "Wer bin ich?" verfassen.
Die fünf Delinquenten - Andrew Clark (Emilio Estevez), Brian Johnson (Anthony Michael Hall), Allison Reynolds (Ally Sheedy) und John Bender (Judd Nelson) - könnten unterschiedlicher nicht sein. Da haben wir die zielstrebige Sportskanone (Andrew,) den besserwisserischen Streber (Brian), die eingebildete „Tussy" (Claire), die verschrobene Außenseiterin (Alison) und den aufmüpfigen Rebellen (John). Das riecht verdächtig nach Klischee-Schubladen und klar verteilten Sympathien. Und genau diese Erwartung wird in den folgenden 90 Minuten mal brüllend komisch, mal derb witzig, mal laut dröhnend, mal subtil, mal schockierend, mal nachdenklich in ihre Einzelteile zerlegt und ganz neu zusammen gefügt.
Zunächst stehen alle im Schatten von John. Alles an ihm ist provokant unangepasst. Klamotten, Frisur, Auftreten schreien laut heraus: „Ihr könnt mich alle mal!" Und daran lässt er auch von Beginn an keinen Zweifel. In kurzen, sarkastischen Salven nimmt er jeden der Anwesenden ins Visier und trifft dabei mehrfach ins Schwarze. Neue Freunde mach man sich so nicht, aber das ist ihm scheißegal. Auch mit Vernon legt er sich an und landet prompt in einer Abstellkammer. John ist direkt, böse und verdammt cool. Die anderen vier schwanken zwischen Hass und Bewunderung.
Die erste halbe Stunde gehört ganz John Bender, keine Frage. Judd Nelson holt alles aus sich heraus und schafft eine Jugendikone, wie sie seither nicht mehr über die Leinwand flegelte. (Bis heute wird er mit der Rolle identifiziert, was er inzwischen mit Humor sieht.) Dass der Film dann aber nach dem fulminanten, röhrenden Auftakt immer mehr in ein tiefsinniges Charakterportrait der ganzen Gruppe, ja beinahe kippt, ist nur vordergründig überraschend und wurde von Regisseur John Hughes kaum merklich vorbereitet.
Die kurzen Szenen, wenn die Nachsitzer von ihren Eltern vorgefahren werden, geben bereits schlaglichtartige Einblicke in die Abgründe bzw. Verwerfungen zwischen Eltern und Kindern. Hughes deutet hier nur an, legt die Saat für später. Auch dass John als einziger alleine kommt, fällt zunächst nicht weiter auf, bekommt aber im Verlauf eine enorme Relevanz.
John Hughes hat nicht einfach irgendeinen Teenie-Film gedreht, bei dem die Zielgruppe sich 90 Minuten schlapp lacht, nach Hause geht und schon vor der nächsten Party wieder alles vergessen hat. Er hat wirkliches Interesse am Seelenleben der Jugendlichen, an ihren Problemen und Sorgen, die für sie eine ungeheure Relevanz haben. Dieses besondere Talent deutete sich bereits in seinem Regiedebut „Sixteen Candles" (1984) an und setzte sich mit den Drehbüchern zu „Ferris macht blau", Pretty in Pink" (beide 1986), sowie „Ist sie nicht wunderbar" (1987) fort. Nie sollte er allerdings mehr einen solch gleichermaßen sensiblen, humorvollen, klugen und - trotz allen Unterhaltungswerts - auch tiefsinnigen Blick auf jugendliches Fühlen und Denken werfen wie in „The Breakfast Club".
Zentral ist die bei vielen sehr konfliktträchtige Beziehung zu den Eltern, wo ein Minenfeld aus Erwartungen, Enttäuschungen, Missverständnissen und gegenseitigen Schuldzuweisungen wartet. Zentral ist aber auch das Gefangen sein in bestimmten Rollen, die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppierungen und damit die bewusste Abgrenzung von anderen. Beides verursacht enormen seelischen Stress und Druck, der sich in „The Breakfast Club" sukzessive entlädt. Jeder der fünf hat einen Panzer, trägt eine Maske und erst das durch Bender initiierte Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Hintergründe und Lebensumfelder führt zur Erkenntnis, dass sie genau dies verbindet.
Mehr und mehr wird dabei deutlich, dass die vermeintlichen Stereotypen deutlich vielschichtiger angelegt sind, als es zunächst den Anschein hatte. Claire ist nicht die klassische eingebildete, etwas dümmliche High-School-Prinzessin im Püppchen-Look. Brian ist nicht der klassische nerdige, humorlose und verklemmte Streber mit eingeschränkter Sozialkompetenz. Andrew ist nicht der übliche muskelbepackte, arrogante Sportheld für den alles nur eine große Sause ist und Allison ist nicht die freakige, depressive zu spät gekommene Hippie mit Hang zum Alternativen. Die Schablonen sind natürlich da, aber eben nur an der Oberfläche.
Neben Judd Nelson, sind es vor allem Molly Ringwald und Anthony Michael Hall, die ihren Charakteren mit enorm viel Einfühlungsvermögen und einer entwaffnenden Natürlichkeit und Authentizität zu Leibe rücken und damit erst den emotionalen Siegeszug ermöglichen. Emilio Estevez und Ally Sheedy fallen da ein wenig ab, bleiben aber auch stets authentisch. Skript und Dialogen sei Dank.
Alle fünf wurden von John Hughes mit einem enormen Gespür für jugendliche Gefühlswelten und Verhaltensweisen geschrieben. Immer wenn das Abdriften in seichte Emotionsgewässer droht, reißt er das Ruder herum und kratzt die Kurve mit einem Witz, einem Schock, oder einer Überraschung. Nichts wirkt gekünstelt, aufgesetzt, oder belehrend. Das gilt auch für die beiden Erwachsenen. Lehrer Vernon und Hausmeister Carl (John Kapelos) sind nicht einfach Antagonisten an denen sich die Jugendlichen reiben. Sie öffnen auch den Blick für die „andere Seite" und deren Sicht auf die Problematik. Am Ende empfindet man sogar so etwas wie Sympathie für Vernon, dem von Carl bei einem zufälligen Gespräch der Spiegel vorgehalten wird.
„The Breakfast Club" gilt als DER Jugendkultfilm der 1980er Jahre, was schade ist, denn er ist heute genauso gültig und wahr wie damals. Zumal die Folgejahrzehnte nichts annähernd Vergleichbares aufzuweisen haben. Eine wunderschöne Dramödie über das Erwachsen Werden, die aufgrund ihres reduzierten Personals und Settings die Chance auf Zeitlosigkeit bewahrt. Famos gespielt, wunderbar geschrieben und mit viel Liebe inszeniert. Das eingangs Zitat von David Bowie bring es auf den Punkt: „ ... And these children that you spit on as they try to change their worlds are immune to your consultations. They´re quite aware of what they´re going through ..."
Das Ende ist dann zugleich tragisch, schön, deprimierend und erwartungsvoll. Die fünf sind Freunde geworden, manche vielleicht auch mehr als das, zumindest hat sie der Tag zusammen geschweißt. Aber ob das dem nächsten Montag stand halten wird? Alles scheint möglich, oder eben auch nicht. Und John reckt die Faust zu den hymnischen Klängen von „Don´t you (Forget about me)" in den Himmel. Ein Schrei der Befreiung, der Hoffnung, der Zuversicht. Mehr Gänsehaut geht nicht.