Ein Stück deutscher und italienischer Geschichte.
Wenn es eine Kultur gibt, die sich subtil und still in so wirklich jeden Bereich der Welt festgesetzt hat, dann ist es wohl die italienische. Komisch, da von Italien nie eine direkte Expansion ihres Lebensstils ausging (wie etwa aus den USA, wenn man nur die Firmen COCA oder McDonalds betrachtet). Aber in fast allen Teilen der Welt, zumindest in der westlichen Welt findet man Pizza und Spaghetti. Fatih Akins "Solino" erzählt in kleinem Rahmen die Geschichte von einer italienischen Gastarbeiterfamilie, die auf der Suche nach Erfolg und Glück nach Deutschland umsiedelt und eine der ersten Pizzerien dort errichtet.
Romano, seine Frau und seine zwei Söhne fahren in die unsichere Zukunft ins Ruhrgebiet, wie es viele andere Italiener in den 60ern auch taten. Als Romano es leid wird, die schmutzige Arbeit unter Tage zu verrichten kommt seine Frau auf die Idee, eine Pizzeria aufzumachen. Zwar stößt das anfangs noch auf Unverständnis ("Pizza, das ist doch Brot mit Tomate, oder?"), doch schnell kommen viele Kunden und das Geschäft floriert, zumal die Pizzeria "Solino" eben vorerst die einzige in der Stadt ist.
Ab hier schwenkt die liebevoll erzählte Geschichte eher in die Richtung der Söhne und zeigt das Leben von Einwandererskindern, ihre Probleme und ihren Weg in einem Land, das so ganz anders ist, als das aus früher Kindheit noch bekannte Zuhause. Während Gigi, ein introvertierter, schüchterner, aber sehr ehrlicher und hilfsbereiter Mensch, seine Leidenschaft für das Fotografieren und Filmemachen entdeckt, steuert Giancarlo eher ziellos einem typischen Proll-Leben entgegen, ohne Ausbildung aber trotzdem arrogant. Der sture Vater und will seine Kinder natürlich als Nachfolger sehen und so kommt es zu Streit. Die Familie scheint zu zerbröckeln.
Als der Vater bei einem Seitensprung erwischt wird, die Trennung droht und die müde gewordene Mutter zurück nach Italien will, kommt es zur Bewährungsprobe für die Lebenswege der beiden Brüder. Gigi kommt mit nach Italien und gibt seine künstlerischen Erfolge und seine Freundin auf, während sein Bruder bequem dessen Erfolg ausnutzt und ihn hängen lässt, wie schon zuvor.
Knapp 20 Jahre aus dem Leben einer Gastarbeiterfamilie laufen so in etwa 2 Stunden über die Leinwand. Akins Stil, den er auch schon in "Im Juli" preisgab, bleibt dabei immer lebhaft, authentisch und nahegehend. Sensibel porträtiert er einen nicht unbeachtlichen Teil der deutschen Bevölkerung, zeigt ihre Eigenheiten und ihre Schwierigkeiten mit einem lange noch nicht weltoffenen Westdeutschland der 60er und 70er. Wie die Familie durch die anfängliche Armut zusammenwächst, aber durch das Einleben in die andere, sehr gegensätzliche Kultur dann doch zerbricht. Akin trifft es genau auf den Punkt und verpackt ein wesentliches Stück deutscher (und auch italienischer) Geschichte in einen offenen, nie eindimensionalen Multikulti-Film voll Toleranz und Menschlichkeit. Die beiden Protagonisten wachsen einem richtig ans Herz, auch der egoistische Nichtsnutz Giancarlo (gespielt von Moritz Bleibtreu), dessen Leben es einfach an Perspektive mangelt.
Schließlich finden die Brüder fast zwangsweise zu ihren Wurzeln zurück. Sie leben zwar auf deutsch, aber sie sind Italiener. Versöhnlich, bewegend und für Giancarlo positiv offen endet "Solino" dann nicht in Deutschland, sondern in Italien, vereint (bis auf den Vater) und zu Hause. Trotz "Eindeutschung" haben Gigi und Giancarlo ihre Wurzeln, ihre Identität nicht verloren. Das ist vielleicht, um auf die Einleitung zurückzukommen, genau der Grund, warum sich italienisches Lebensgefühl wie kein anderes so durchgesetzt hat.
Spannend und mitreißend driften also die 2 Stunden Film dahin, ohne langweilig zu werden. Trotzdem ist es "nur" die Biografie einiger unbedeutender Immigrantenschicksale. Allerdings wird durch die zutiefst sympathische Darstellung das erreicht, was viele Zeitgeistfilme neben der oberflächlichen Darstellung des damaligen Lebensstils in den Hintergrund stellen: Ein moderner, sozialer, kritischer und einfach ehrlicher Beitrag zur Entwicklung unserer gemeinsamen Gesellschaft zu sein. Was wären wir Deutsche (nein, Europäer) denn auch ohne die vielen kulturellen Ecken und Kanten, wo eine Linie auf die andere trifft?
Man möchte es gar nicht glauben, aber so viel steckt in diesem netten Filmchen von Fatih Akin, der die Nische des Multikulturellen, Weltoffenen im jungen deutschen Kino wie kaum ein anderer ausfüllt. 9/10.