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Michael Jordan als Plakat an der Wand, Michael Jackson als Platte in der Hand. Donatello schwebt als Ninja-Turtle-Figur im Weltall wie eine verlorene Sprachbotschaft der Menschen an die Aliens, sein Namensgeber, der italienische Bildhauer, scheint bereits von den Felsbrocken der Apokalypse begraben und vergessen. Max Steels Schwert-Replika aus dem Hause Mattel wird als wertvolles Relikt gehandelt. Schließlich habe man davon in der alten Zeit nur etwa eine halbe Million Exemplare angefertigt. Die Widerstandsfähigkeit von Plastik gegenüber dem Zerfall lässt es auch jetzt noch neuwertig erscheinen. Die Dinosaurier haben wohl als einzige Spezies gleich zwei Apokalypsen überlebt; wenn eben auch nur in Hartgummiform, aufgereiht auf alten, rostigen Eisenbahnschienen, ironischerweise dazu verdammt, kein Stück mehr vorwärts zu kommen.

Auch die Menschheit ist im Langfilmdebüt des spanischstämmigen Freidenkers Miguel Llansó verkocht zu einigen wenigen Repräsentanten für jeden Kontinent. Demografisch gesehen hätte sich vor allem Asien als Schauplatz aufgedrängt, stellt es doch aktuell fast 60 Prozent der Gesamtbevölkerung, aus der mit Sicherheit der ein oder andere Chinese oder Inder den Abgesang der Zivilisation überlebt hat. Nun liegt der Fokus stattdessen auf dem zweitstärksten Kontinent und zugleich der Herzenswahl des Regisseurs, Afrika. Den Wundern der äthiopischen Natur gehören die ersten Aufnahmen. Sie bebildern mit ihren blubbernden, dampfenden Prozessen einen Organismus, der auch und gerade ohne menschliches Zutun funktioniert. Die Erde, so machen bereits die ersten Minuten deutlich, fährt einfach fort mit ihren kleinen Aufgaben, wenn die letzten Fragmente kultureller Bedeutung endgültig in der Stratosphäre verdampft sind.

Der Anthropozentrismus ist es also, aus dessen Klammergriff Llansó sich selbst und sein Publikum zu lösen versucht. „Crumbs“ soll eben nicht den modernen Menschen in den Äther heben, anders als es praktisch das gesamte zeitgenössische Kino zu tun pflegt. Ist der Homo-Sapiens-Kuchen einmal gegessen, so die These, bleiben nur die Krumen übrig auf dem überdimensionalen Teller, der das Universum symbolisiert. Widerspruchsfrei kann dieses Ziel selbstverständlich nicht erreicht werden. So wie der Antikriegsfilm nicht zu verhindern weiß, dass sich durch seine Bilder eine gewisse Faszination für das Phänomen des Krieges entwickelt, so bleibt der Mensch auch immer im Mittelpunkt, wenn es darum geht, seine Wir-Bezogenheit in den Fokus zu rücken. Nicht nur die Götter sind nach menschlichem Abbild entstanden und von ihnen mit Namen versehen; auch dieser Film ist es.

Eingangs fast dialogfrei, später dann mit amharischen Sprachfetzen versehen, fädelt Llansó die Odyssee seines kleinwüchsigen Hauptdarstellers Daniel Tadesse wie einen spirituellen Seelenwaschgang ein. Spürbar wandelt der Dirigent auf den Spuren Tarkovskis, wenn er mit einem Ausdruck von monochromem Naturalismus durch Wüsten und über Wiesen mit kleinen Bächen führt, diverse Lost Places vom Vergnügungspark bis zur Bahnstation fotografiert und dabei nur wenige, aber dafür um so skurrilere Gestalten die Kapitel einleiten oder abschließen lässt. Überhaupt ist ein starker Einfluss durch das sowjetische Science-Fiction-Kino der 70er und 80er Jahre zu erkennen, auch Georgi Danelijas „Kin-dza-dza!“ erweist sich als maßgebend in Hinblick auf Produktionsdesign und als Kommentarfunktion auf den aktuellen Zustand der Gesellschaft. Zumal ein gewisser Humor hinter dem surreal-melancholischen Ton durchaus gegeben ist. Schließlich hat sich Justin Bieber offenbar über mehrere Generationen reproduziert, sein Name wird nun mit römischen Zahlen weitervererbt. Wenn die Menschen zum Himmel blicken, murmeln sie fortan seinen Namen neben dem anderer Götter.

Abseits der teils märchenhaften Impressionen einsamer Orte erachtet Llansó nicht viel als nötig, um dem Abenteuer seinen finalen Schliff zu geben. In der ein oder anderen Szene schwebt mal ein skurriles Raumschiff am Himmel und verströmt Schwingungen wie der Steinkopf in „Zardoz“, ansonsten besteht die Ausstattung hauptsächlich aus Plastikspielzeug, Bowlingkugeln und anderem Tinnef, so dass man beinahe glauben könnte, dies sei die Verfilmung eines Kunstwerks von Ron English. Da sind dann auch die „American Gods“ von Neil Gaiman nicht mehr fern, wenn der tapfere Held ein Superman-Shirt trägt und sich todesmutig auf einen Weg macht, der zu keinem Geringeren als dem Weihnachtsmann führt. Zumal Llansó wie der Brite Gaiman nicht aus der Mitte des amerikanischen Sturms mit zentrifugalen Kräften arbeitet, sondern am Rande des Zeitgeists mit nüchternem Blick auf den sich selbst verschlingenden Wahnsinn.

Die paar Logos, berühmten Gesichter und vergleichbaren Trigger für Popkultur reichen bereits aus, um weiterführende Gedanken über die knappen siebzig Minuten Laufzeit hinaus in Gang zu setzen. Es ist ein Film, der nicht auf der Leinwand stattfindet, sondern im eigenen Kopf. Wer auf die Waffe des tollkühnen Reisenden schaut und darin bloß billiges Spielzeug sieht, wird wohl eine schwere Zeit haben mit „Crumbs“. Fehlende Schauwerte gilt es mit der eigenen Vorstellungskraft zu kompensieren und Symbole mit der zugrundeliegenden Bedeutung. Mehr als das gibt es nicht zu entdecken. Keine Spannung, keine Aufregung, keinerlei Konflikte, die über fehlende Einigung beim Feilschen um Sammlerstücke hinausginge. Problematisch ist allenfalls ist die gleichförmige Dramaturgie des „einmal hin und zurück“, das viele Märchen groß gemacht hat, im Gegenzug jedoch viele Filme als Hohlkörper zurückließ. Man hat das Gefühl, einem Star-Wars-Gegenentwurf beizuwohnen, ohne die spektakulären Spezialeffekte, aber mit derselben linearen Struktur. Anstatt eines motivierenden Lauftextes mit Fanfaren, die das Adrenalin in den Körper schießen, gibt es zur Einführung eben bloß ein desillusionierendes Zitat, das über den schwindenden Überlebensdrang der Gattung Mensch sinniert. Eine tote Welt ohne sichtbare Ziellinie eben, die Erinnerung an eine Vergangenheit voller Lebenserfüllung in weite Ferne gerückt. Wie in einer neunten oder zehnten Staffel von „The Walking Dead“.

Dabei liegt der sinnstiftende rote Faden direkt vor unserer Nase. Dass es am Ende einmal mehr die Liebe ist, die alles miteinander verbindet, bleibt ein ausgeleiertes Klischee, das die Ziele dieser Arbeit nicht eben weniger ambivalent geraten lässt, auch wenn der Regisseur sie angenehm kitschfrei über die Ziellinie rettet. Andererseits: Wir können eben nicht aus unserer Haut. Und für einen Liebesfilm könnte kaum ein Ambiente erfüllender sein als die Suche nach den menschlichen Brotkrumen in einer zum Sterben schönen Postapokalypse.

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