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Ein normaler Teenager im Kreise der Familie: Das Mädchen, Thomasin, wächst allmählich zu einer jungen Frau heran, ist nur von kleineren Geschwistern umgegeben, auf die sie auch noch aufpassen muss, und wird zwischen Arbeit und Verantwortung allmählich aufgerieben. Der Vater bevorzugt den erstgeborenen Sohn Caleb, die Mutter gibt Thomasin die Schuld an allem und jedem, die beiden jüngeren Zwillinge Mercy und Jonas hassen Thomasin aus tiefster Seele, und der kleine Sam ist erst frisch geschlüpft und ist der Augapfel von Mama und ältester Tochter. Alles in allem keine gesunde Umgebung um unbeschwert aufzuwachsen …

Wir schreiben das Jahr 16hundertundschnee. Die puritanische Familie ist erst vor kurzem aus England gekommen und wegen individuell ausgelegter Religiosität bereits aus der lokalen Gemeinde hinausgeworfen worden. An einem kleinen und gottverlassenen Fleckchen Erde hat der Vater nun ein Haus gebaut, doch der Mais verdorrt, die Fallen bleiben leer, und so langsam kommt der Hunger immer näher. Mit dem rechten Glauben an Gott mag das ja alles noch bewältigt werden können, aber wie geht man damit um, dass der kleine Sam beim Spielen von einer Sekunde auf die nächste spurlos verschwindet? Dass offensichtlich etwas da draußen im Wald ist, was das Blut eines Säuglings benötigt? Und das der gesamten Familie nicht wohlgesonnen ist …

Eine ruhige und ungesunde Stimmung liegt auf dem kleinen Stück Erde, das so öde und grausam wirkt, als wäre es direkt aus H.P. Lovecrafts Erzählung Die Farbe aus dem All entnommen worden. Die Sonne hat das letzte Mal geschienen als die Siedlung verlassen werden musste, seitdem ist alles grau. Der Morgen ist grau. Der Tag ist grau. Das ganze Leben ist grau, bestehend aus Arbeit und Gebet, Gebet und Arbeit. Nur die Nacht ist nicht grau – Die Nacht ist finster. Die Nacht, und der Wald. Denn im Wald lebt etwas, und das was da lebt ist nicht gottgefällig. Es muss der Teufel sein der die Familie versucht, und nur der Zuschauer weiß, dass dort WIRKLICH etwas existiert. Etwas Böses und Unheimliches. Das den Glauben an den Teufel in der Realität beweist. Und das sich vermeintlich einen Spaß daraus macht, die Familie in ihrem Glauben an Gott zu testen.

VVITCH ist kein Horrorfilm im landläufigen Sinne, dafür ist er erheblich zu ruhig und zu langsam. Der Soundtrack besteht aus Anrufungen der griechischen Nekromantiegöttin Hekate genauso wie aus kurzen symphonischen Momenten. Die Kamera saugt sich geradezu an den Gesichtern der Schauspieler fest und erforscht ihre Regungen. Ihre Ängste. Ihre Sorgen. Minutenlange Szenen werden ohne Schnitt mit der Kamera auf einem einzigen Gesicht gespielt, ja geradezu erlebt, und die dadurch entstehende Intensität zieht den Zuschauer tief in die Handlung hinein. Er fühlt die wenigen kleinen Freuden und den häufigen Ärger von Thomasin hautnah mit, er kann ihre Wut nachempfinden, wenn die Mutter sie ausschimpft für etwas, was der Vater getan hat, der das vor der Mutter aber nicht zugeben mag. Er spürt ihren Zorn, wenn die Zwillinge sie auslachen und als Hexe beschimpfen, und der Zorn zu tiefer Angst wird. Der Zuschauer erfährt aber auch das zwiespältige Verhältnis zum Wald. Der Wald bietet Nahrung, und er bietet Holz für Feuer. Aber tief in seinem Inneren beschützt er auch das Böse. Beim Anblick dieses Waldes kann man verstehen, warum unsere Vorfahren so eine Angst hatten und den Wald mystifizierten. Dies ist kein fröhlicher Laubwald mit Sonnenschein, Vögelchen und Wanderwegen. Dies ist ein dunkler, trister und böser Ort. Ein Ort, an dem der Tod regiert, und alles in der Umgebung wird von ihm beherrscht.

Die Schauspieler sind begnadete Mimen, denen jede Regung der Seele anzusehen ist, und die Totenstille und die gelegentlichen Soundcollagen untermalen diese Regungen perfekt. Die Stimmung pendelt zwischen Verlorenheit und Trotz, zwischen unendlicher Furcht und der Liebe zu Gott. Erst zum Ende wird erkannt, dass Gott vielleicht zwischen den Menschen im Gelobten Land wandelte, aber nicht unbedingt auch in Neu-England. VVITCH erinnert in manchen Momenten an HÖRE DIE STILLE, der zwar ein ganz anderes Sujet beinhaltet, aber die gleichen verlorenen und ängstlichen Menschen in einer Begegnung mit dem Tod zeigt. VVITCH ist gleich und doch anders, er nährt die Urangst vor dem Unaussprechlichen und dem Unbekannten. Ein ruhiger und langsamer Film, der in einer lauten und schnellen Zeit von bedrohlichen und düsteren Dingen erzählt. Ein grauer Film in einer bunten Zeit. Ein beeindruckender und nachdrücklicher Film.

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