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                            Wie war das nochmal mit den Hexen, der Bildung und der Einbildung?

Im Mittelalter gab es etwas, das sich „Inquisition" nannte, was so viel wie „Befragung" heißt. Und das bedeutete, dass man einem armen Teufel so lange unter Folter ein und dieselbe Frage stellte, bis sie richtig beantwortet wurde. Und gab es doch einmal jemanden, der es buchstäblich im Kreuz hatte, die erzwungene Antwort zu verweigern, war er nach der beendeten Fragerunde mit Streckbank und Kneifzangen in der Regel nicht mehr im Stande, ohne Krücken nach Hause zu humpeln. Also war das Mittelalter die Zeit der Hexenprozesse? Falsch. Das Mittelalter kannte das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen hauptsächlich als Beseitigen politisch unerwünschter Zeitgenossen, denen man etwas in die Schuhe schieben musste. Und da bot sich die Freundschaft zum Gehörnten eben an. So endeten etwa der unschuldige letzte Großmeister der Templer in Frankreich zu Beginn des 14. Jahrhunderts oder die protoprotestantischen Hussiten in Böhmen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Feuer. Zwar kamen auch im Spätmittelalter Frauen um im Wahn defekter Dorfgemeinschaften. Doch blieb das wider allgemeinen Wissens die Ausnahme und selbst in jenen Tagen beinahe Kuriosität. Den eigentlichen Boom der Verfolgung völlig Unschuldiger erlebte Europa paradoxerweise gerade in jener Zeit, als sich langsam die zaghaften Anfänge der Aufklärung Bahn brachen. Im 16. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Und hier vor allem während der Apokalypse des Dreißigjährigen Krieges. Man muss sich diese Zeit als uns vollkommen fremd vorstellen. Als eine Epoche, in der Menschen selten älter wurden als 35 Jahre und jedes zweite Kind im Wochenbett starb. Als eine Zeit, in der Seuchen grassierten und selbst harmlose Entzündungen den Tod bedeuten konnten. Eine furchtbare Welt, die besser zu ertragen war in der Hoffnung auf eine schönere im nächsten Leben. Man war also tief religiös. Und bereit dafür zu sterben.

Die Meinungen zu „The Witch", der Herzensangelegenheit des amerikanischen Regiedebütanten Robert Eggers, sind gespalten. Während Kritiker und Feuilletonisten überwiegend viel bis ungewöhnlich viel Lob aussprechen, ist die Zielgruppe des Films nicht unisono erbaut von dem, was ihr hier an mutig unkonventionellem cineastischem Schaffen vorgesetzt wird. Das mag daran liegen, dass dieser sperrige Film kaum Erwartungshaltungen bedient und Sehgewohnheiten bewusst konterkariert. „The Witch", und das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden, ist keiner der vielen massentauglichen Exorzismus Ableger der letzten Jahre. Er ist in gewisser Hinsicht kalkulierte Provokation. Und eine Geschichtsstunde.

Um das Jahr 1630: Eine puritanische Familie liegt, wenige Jahre nach ihrer Ankunft in der Neuen Welt, im Clinch mit den Dorfoberen und wird der Gemeinschaft verwiesen. Der Vater (Ralph Ineson, bekannt aus „Game of Thrones", „Harry Potter" und „The Office") gibt sein Bestes, die kleine Farm am Rande eines Waldes erfolgreich zu bewirtschaften und die Subsistenz seiner Angehörigen zu sichern. Fest im Glauben und im Vertrauen auf Gott arbeitet man hart und kämpft an gegen die Unbilden der Witterung und die Nachteile der Isolation. Doch bald häufen sich merkwürdige, später katastrophale Vorfälle, die darauf hindeuten, dass es in der Umgebung und auf dem Hof nicht mit rechten Dingen zugeht. Dann wird das jüngste Familienmitglied, ein Säugling, entführt. Und von einer nackten Alten im Dickicht des Forsts geschlachtet.

Was sich unappetitlich und blutrünstig anhört, ist bei „The Witch" weder selbstzweckhaft in Szene gesetzt, noch geschmacklos. Robert Eggers versucht, die für den modernen Zuschauer abstrakte, für den einfachen Menschen des 17. Jahrhunderts aber mitunter konkrete Angst vor dem Teufel zu vermitteln. Dabei bedient er sich der Sprache, den Denkmustern und gesellschaftlichen Mechanismen jener Zeit. Das wirkt abschreckend und ist schwer verdaulich, bietet aber unter Umständen die seltene Möglichkeit, authentischer in die Vergangenheit einzutauchen, als wir das von den Kostümfesten Hollywoods gewohnt sind. Dass sich „The Witch" dennoch als Horrorfilm gibt, mag der Grund für die Schelte seitens vieler Genrefreunde sein. Die könnten nämlich völlig zu Recht einwenden, dass natürlich auch dieser Film Versatzstücke aus dem Gruselfilm, wie ins Bild springende Monster, nutzt, um die Spannung voranzutreiben. Nur eben nicht in dem Maß, wie man das von glattgebügeltem Kitsch der Sorte „Sinister" (2012) oder „Insidious" (2010) gewohnt ist, und damit vielen nicht nachdrücklich genug. Herangehensweise und persönliche Zugriffsmöglichkeiten spielen in diesem Fall eine entscheidende Rolle. Wer sich einen konventionellen Horrorfilm erwartet, wird enttäuscht. Dass „The Witch" vor allem zum Ende hin einen Schlingerkurs fährt zwischen Grusel und Epochenschau wird ihm einen Großteil an potentiellem Zuspruch kosten. Und das ist nachvollziehbar.

„The Witch" ist rabenschwarz, hässlich, obszön und unbequem. Und zwar nicht, weil er ein Horrorfilm wäre, sondern indem er die Finsternis einer vergangenen Zeit illustriert. Dabei kümmert sich Robert Eggers nicht um die Gepflogenheiten des Genres oder die Routine des Filmfreunds, sondern schlüpft rücksichtslos in die Rolle des Zeitgenossen, durch dessen Augen wir den Alptraum erleben, der einst tausendfach geträumt wurde. Nackte Frauen, die Kinder töten und auf Besen reiten, schwarze Ziegenböcke, die Unheil bringen und von Dämonen verfluchte Ernten wurden als real empfunden. Dass sie doch nur ein Fantasieprodukt bigotter Bildungsferne waren, ist dem modernen Menschen klar; viele unserer Vorfahren tappten diesbezüglich jedoch im Dunklen. Und selbst heute, in der Zeit genetischer Manipulation und der Raumfahrt, richten manche ihr Leben nach dem Horoskop aus, gehen nur zum Friseur, wenn der Mond richtig steht oder glauben an die heilende Kraft von Steinen. Es hat sich einiges getan in den letzten dreihundertfünfzig Jahren. Ein bisschen Aberglaube existiert aber immer noch. Zum Beispiel derzeit im Kino.

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