Review

Nicht nur für Atheisten 

Der Trailer war witzig & die Idee schien absurd wie genial. Aber so richtig überzeugt für einen Kinobesuch war ich lange nicht. Erst als er auch bei den Globes & den Oscars (zumindest als belgische Einreichung) für Furore sorgte, führten mich meine Füße doch noch ins Kino. Und auch wenn "Das brandneue Testament" trotz ein paar poetischer & wunderschöner Bilder genauso zu Hause in ein paar Monaten funktioniert hätte, lohnte sich der späte Kinobesuch. Was für ein charmanter & abwechslungsreicher Film - nicht rein Arthouse, aber sicher noch weit genug vom Mainstream entfernt um unverbraucht zu erscheinen. Ein kleiner, mutiger & melancholischer Geheimtipp für jeden mit Lebens- oder Glaubenskrise, mit Depressionen oder einfach jemanden, der eine süßen Film sehen will, in dem sich die Bibel, "Magnolia", "Dogma" & "Amelie" treffen. Das aber nur als grobe Richtung - ehrlich gesagt hätte ich mir eine solche Fabel über besondere Menschen, den Tod und das Leben Gottes samt seiner Family nichtmal im Traum so ausmalen können.

Gott wohnt in Brüssel, ist nicht nur mies in seiner Tätigkeit als eben dieser, sondern auch ein sadistischer Vater & ein ziemlicher Looser-Ehemann. Die Frau ist eingeschüchtert, der Sohn schon vor Jahren geflüchtet (dessen Geschichte kennt man) & natürlich hält es auch seine süße & ganz unähnliche Tochter Ea nicht mehr lange aus. Wer lässt sich schon gerne mit einem Gürtel verprügeln & sieht dabei zu, wie unser aller Vater seine eigene Schöpfung mit Tragödien & Katastrophen quält. Da nimmt sich die Kleine, etwas angestachelt durch den großen Bruder J.C., ein Herz, simst allen Menschen ihre genauen Sterbemomente & nimmt Reissaus. Chaos ist vorprogrammiert, aber das Ziel: die Menschheit kennenlernen & eigene Apostel überzeugen, sodass vielleicht eine neue heilige Schrift entsteht.

Klingt abgedreht & spaßig, ist dies auch zum Teil. Allerdings kann der Film auch bitterböse, traurig & sehr dramatisch werden, ist weit mehr als nur das funny One-Trick-Pony was uns der Trailer vielleicht verkaufen möchte. Sowohl durch den "Deathleak" als auch durch die Familiengeschichte bzw. die Interaktion der Göttlichen mit den Menschen, entstehen verdammt gelungene Denkanstöße. Wie nutzt man seine letzten Tage & Wochen? Wird Religion bei diesem Bewusstsein vom Todeszeitpunkt obsolet? Ist die wahre Liebe alles besiegend? Lohnt es sich zu leben? Wann ist ein Leben verspielt? Was würdest du machen? Und nicht nur ein paar der Fragen werden strengen Christen wohl weniger gefallen bzw. müssten zumindest mit ungewohnt viel Humor gesehen werden, der gesamte Film ist zwar verrückt, überzogen & charmant, kann aber auch gehörig anecken. Der vielleicht zukünftige Kultfilm bietet einen fluchenden, absolut furchtbaren Gott, dafür aber eine bezaubernde & grandios schüchtern aber auch stark verkörperte Tochter. Und dazwischen tummeln sich sexsüchtige Versager, eine in Würde gealterte Catherine Deneuve die es mit einem Gorilla treibt & wunderbare Blasphemie an allen Ecken & Enden.

Kein Film bei dem ich viel laut gelacht habe, der mich aber trotzdem hat Strahlen lassen. Nach innen & weit über den Abspann hinaus. Viele kleine Einfälle, Respektlosigkeit & unangenehme Wahrheiten in kreative Watte gepackt. Genauso so will man es, genau so bietet es Hollywood schon lange nicht mehr. Da haben unsere Nachbarn wirklich einen stimmigen & feinen Film abgeliefert. Denn nicht nur die sonderbare Familiengeschichte über Gott & seine besseren Nachfahren trägt den Film, auch die abgespaceten Nebencharakter bzw. neuen Aposteln lösen Staunen, Liebe, Tränen & Trauer aus. Manche dieser außergewöhnlichen Menschen gehen etwas unter im wilden Gedrängel (Transgender-Part, Vögel-Folger) oder haben fast schon zu komische Handlungsstränge, aber meist schafft der Regisseur ein Gleichgewicht. Kein göttliches, aber ein sehr angenehmes & abwechslungsreiches. Gegen Ende überdreht der Film dann noch etwas, hat aber schon längst die meisten Herzen gewonnen. Und auch wenn Gott es wahrscheinlich nicht zugeben würde, wissen Ea, Jesus & nun auch wir: ist unser Herz erstmal gewonnen, ist das eh die halbe Miete.

Fazit: europäisch, schwarzhumorig, berührend - der schlechteste Gott aller Zeiten aber eine der originellsten Geschichten über ihn & die Eigenarten seiner Schöpfung!

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