Ja, der Titel des Films ist provokant. besonders gegenüber der Fangemeinde des Splatterfilms. Denn jene erwartet hinter solch einem Filmtitel Splatter, Splatter und nochmals Splatter. Oder vielleicht sogar das deutsche Pendant zum texanischen Kettensägenmassaker? Vermutlich ja, wenn man sich die eine oder andere Kritik hier durchgelesen hat. Damit möchte ich jetzt auf gar keinen Fall sagen: Jungs, ihr schreibt scheiße, ihr habt keine Ahnung oder ihr seid einfach nur blöd. Nein, auf keinen Fall, denn sie alle haben Recht. Egal ob sie dem Film einen Punkt oder Acht gegeben haben. Denn dieser Film spaltet nun einmal einfach die Gemüter. Die Erwartungshaltungen sind sicher extrem hoch. Wenn da auf dem Cover steht, „Sie kamen als Ossis und wurden zu Wurst“, darf man gern einen fiesen Typen mit Kettensäge erwarten, welcher ostdeutsche Westtouristen, ausgestattet mit 100 Mark Begrüßungsgeld, alles was sie über die BRD Wissen stammt aus dem Westfernsehen, dahinschlachtet um anschließend in Leverkusen* seine Produkte an den Mann bzw. Die Frau zu bringen. Ja, man könnte Schlingensief schon Etikettenschwindel vorwerfen. Eine eindeutige Irreführung des Publikums könnte man rufen. Vor allem jene, die immer wieder nach Splatter schreien und leider nicht bemerken, dass ihre zwar in einer Demokratie zulässige Forderung durchaus gestellt werden darf, dass sie sich aber für ihren Protest den völlig falschen Film ausgesucht haben. Niemand sollte sich von mir auf den Schlips getreten fühlen, wie gesagt, man kann zu diesem Film eigentlich jede Meinung akzeptieren, aber, Schlingensief wollte keinen Splatterfilm drehen! Das nun DdK als jener angesehen wird, liegt sicher nicht zuletzt an den scheinbar arg begrenzten Möglichkeiten vieler Betrachter, Filme außerhalb eines fest umzäunten Genres, mit klaren Grenzen und Abgrenzungen, zu bewerten. Zu fest gefahren sind die Sehgewohnheiten, zu klar definiert die Erwartungen an einen Film, der leider viel zu oft dem Genre des Splatterfilms oder noch schlimmer, dem des Horrorfilms zugeordnet wird.
Nun kann man aber auch auf keinen Fall erwarten, dass dieser Film von jedem als gut, sehr gut, oder sogar erstklassig befunden wird. Nein, denn wie Erdbeeren oder Chilli, ist auch dies Geschmackssache. Und in diesem Fall mag die Grenze des guten Geschmackes weit überschritten worden sein. Sicher so weit, dass man den Film als völlig unsehbar einstufen könnte. Das ist das gute Recht des Betrachters. Denn DdK hat nichts, was den üblichen Sehgewohnheiten des Filmfreundes, im Falle dieses Filmes, sicher meist auch noch des Splatterfans, entgegenkommt. Nein! Schlingsief lässt sich seinen Film gegen alle Konventionen des Films sträuben und rennt damit gegen Mauern, die man längst nicht mehr einreißen kann. Zu verwöhnt sind die Augen von geglätteten Produkten aus Hollywood. Denn DdK ist reiner Populismus und vor allem ist er gegen jede weitere Form der unendlichen Möglichkeiten von "ismen", welche Mensch zur Definition seiner Normen und Werte benötig. Dieser Film ist ein Versuch, auch in Deutschland eine Kunstform zu präsentieren, welche es hier nicht immer leicht hat, dem puren Aktionismus. Es fällt dagegen aber sehr leicht, auf Schlingensief den Begriff „entartet“ anzuwenden. Was natürlich wieder sehr provokant ist. Aber auch Schlingensief selber spielt in diesem Film mit vielen Arten der Provokation. Alles an und in diesem Film ist pure Provokation, deren Ziel nicht immer klar ersichtlich ist.
So agieren die Darsteller sicher hart an der Grenze des Verträglichen, ausgegangen von den allgemeinen Sehgewohnheiten des Publikums. Hart an der Grenze deswegen, weil hier nicht einfach nur überagiert wird. Nein, die Darsteller spielen sich quasi in einen hysterischen Rausch, welchem anscheinend von Schlingensief einfach freier Lauf gelassen wurde. Das ist nicht unbedingt schön anzusehen. Doch um Schönheit geht es auch nicht. Man kann sogar sagen, dass die Darsteller ausgesucht hässlich sind. Sicher nicht ohne Grund. Hier werden keine Hochglanzjugendlichen gezeigt und auch keine gelifteten Menschen im reiferen Alter. In DdK wird die Hässlichkeit des Menschen zelebriert. Bis zur höchsten Vollendung. Niemand ist sexy, aber trotzdem haben diese Menschen Sex. Keinen Leinwandsex, keine Choreographie, kein Weichzeichner, nein, pur, widerwärtig und abstoßend. Und wenn sich nicht den körperlichen, sehr oft erzwungenen, Bedürfnissen hingegeben wird, wird wild schreiend, kreischend, pöbelnd und wild gestikulierend, anscheinend ohne rechten Plan, durch die Gegend gerannt. Scheinbar ohne Plan. Denn alles macht Sinn und auch wieder nicht. Der Betrachter wird auf die Probe gestellt. Wo liegen deine Grenzen des Erträglichen? Gibt es in diesem Film überhaupt eine Grenze? Objektiv betrachtet nicht, subjektiv gesehen, war für mich die Grenze noch nicht erreicht. Aber mit dem Wissen, dass es sich bei den Darstellern zum größten Teil um Theaterdarsteller, deren schauspielerische Ausbildung eher eine andere Richtung als die des Darstellers im Film einschlägt, kann ich die gebotenen Leistungen nur honorieren. Solche kaputten Charaktere muss man erst einmal darstellen können. Bisher ist mir das nur in einem weiteren Schlingensief Film – Terror 2000 – untergekommen. Vergleiche mit weiteren Filmen hinsichtlich der darstellerischen Leistungen schließen sich in meinen Augen aus. Es gibt nichts Vergleichbares. Weder im positiven noch im negativem Sinne. Ich weigere mich auch beharrlich, einen Vergleich, auf welcher Ebene auch immer, zuzulassen. Obwohl man dies sicher tun könnte.
Natürlich wäre es einfach, sich irgendeine Splattergurke aus den 80er Jahren, wenn möglich noch aus amerikanischer Produktion heranzuziehen und die meist unterirdischen Darsteller mit dem schauspielerischen Talent der Akteure in DdK zu vergleichen. Aber dies würde der Sache nicht gerecht werden. Auf der einen Seite, als Beispiel eben der amerikanische Durchschnittssplatterfilm mit seinen Teenagerbesetzungen und dem ewig gleichen Schlitzermythos, in dem man wohl eher von Darstellern reden muss, die den Versuch unternehmen, eine Figur darzustellen. In diesem Fall wird dann meist auf eine tiefere Charakterisierung der Figur verzichtet. Meist wird dies zum großen Manko eben jener Filme. Auf der anderen Seite haben wie die Schauspieler in DdK, welche die Aufgabe haben, wirklich extreme Charaktere in einer ebenso extremen Umwelt zu spielen. Dies gelingt ihnen auf jeden Fall. Denn hier werden Charaktere ausgearbeitet, die dank ihrer absolut widerlichen Darstellung, nur Antipathien beim Zuschauer hinterlassen können. Eine Antipathie, die sicher bei vielen Betrachtern bis zur völligen Ablehnung des gesamten Films reicht.
Die Handlung des Films ist schwer nachvollziehbar. Ein Punkt, in dem die meisten Betrachter übereinstimmen, zu Recht. Denn ein schlüssiges Gesamtbild des Films wird sich bis zum Ende nicht ergeben. Im Gegenteil. Mit fortlaufender Spielzeit versinkt der Film immer mehr im Chaos. Die Gefühlswelten der Charaktere überschlagen sich, die Ereignisse im Film ebenfalls. Auf dem Bildschirm herrscht Krieg. Dem zu folgen wird zur Herausforderung an den Zuschauer. Der gibt aber lieber entnervt auf und verpasst dem Film die seiner Meinung nach verdiente Schelte. Beschäftigt man sich aber intensiver mit dem Film, schaut ihn sich mehrmals an (ich selber habe ihn etwa ein dutzend Mal gesehen), kann sich dem Betrachter eine wunderbar abstruse Welt erschließen. Eine Welt, die völlig zerstört ist. Genauso zerstört, wie die Charaktere dieses Films, der ja eigentlich so etwas wie eine politische Satire sein möchte.
Ist er das denn? Meine Antwort lautet ganz klar ja. Frank Trebbin schrieb im dritten Teil seines Lexikon „Die Angst sitzt neben dir“ „Der Horrorfilm war doch schon immer das ungeeignetste Mittel, um politische Satire zu betreiben.“ zu diesem Film. Da hatte er sicher Recht. Aber auch er begeht meiner Meinung nach den Fehler, DdK in das Genre des Horrorfilms ein zu ordnen und eigentlich hat der Film in diesem Lexikon gar nichts zu suchen. Eher ist er eine ähnliche Randerscheinung wie der ebenfalls nur schwer genießbare „El Topo“. Zwar bedient sich DdK einigen Elementen des Horrorfilms, oder um genauer zu sein, des Splatterfilms, da ich für mich hier stringente Unterschiede sehe. Aber wie gesagt, er bedient sich diesen Stilmitteln nur, er setzt sie auf keinen Fall vordergründig als tragendes Element des Films ein, obwohl sie natürlich unübersehbar vorhanden sind. Betrachtet man jene Elemente aber als Mittel der Satire im Film, als unterstützendes Element, um die politische Aussage ins Extrem zu treiben, könnte sich ein anderes Bild ergeben. Betrachtet man die Kettensäge im Film nicht als bloßes unterstützendes Werkzeug zur Zubereitung von Ossis, sondern als politisches Symbol, welches zur Trennung – Zertrennung – von deutschen Bürgern dient, kann man wirklich von politischer Satire sprechen.
Der Film wurde 1990 gedreht, die deutsche Einheit war auf dem Papier noch Druckfrisch, und es sollte schnellst möglichst zusammenwachsen was angeblich zusammengehört. Und so kann man Schlingensief sogar anrechnen, dass er hier ein Stück realer deutscher Zukunft vorweggenommen hat. Er lässt die Ossis als Menschen kommen und als Wurst gehen. Ein Symbol der Verwurstung Ostdeutschlands?! (Es ist Satire, immer daran denken.) Denn war es letztendlich nicht so, das Ostdeutschland in Teilen verwurstet wurde? Wurde durch die Treuhand nicht der Osten zu Grunde verwaltet? Politische Ansichten, die jeder für sich selber definieren kann. Hat Schlingensief es so sehen und zeigen wollen? Mit etwas böser Absicht könnte man die Interpretation sogar noch weiter in ihrer Aussage treiben. Zum Beispiel das in DdK gezeigt wird, wie der Ossi, hier in Person von Clara aus Leipzig, welche am Tag der Wiedervereinigung ihren Mann ermordet und in Richtung Westen flüchtet, in die Klauen des Kapitalismus, hier in Gestallt der Wurstfabrikanten aus dem Westen, gerät. Das unerbittliche Werkzeug des Kapitalismus, die Kettensäge, zerfetzt alles und jeden, der freudestrahlend ins goldene Sägeblatt läuft. Dazu gesellt sich die stets geile Lesbe Margit, welche sich in Clara verliebt. Margit gibt hier die Person des Vermittlers. Sie möchte verhindern, dass Clara sich an der (Menschen-) Fleisch verarbeitenden Gang aus dem Westen rächt. Sie ist der Meinung, dass alles und niemand so schlimm bzw. so böse ist, wie es den Anscheint hat. Somit könnte sie auch gleichzeitig die Scheinheiligkeit, das doppelte Gesicht des Kapitalismus, verkörpern. Ihr Ziel erreicht sie nicht. Stattdessen gerät sie selber unter die Räder. Sie ist zu weich, zu nachsichtig, zu Gefühlvoll für diese Gesellschaft. Gleichzeitig ist sie aber genauso degeneriert, wie alle anderen Protagonisten in DdK. Der brennende Trabant am Ende des Films, ist dann nur noch die Zuspitzung und Finale des Gezeigten. Ein Symbol für eine ausgebrannte Republik, welche dem Untergang geweiht ist.
Natürlich spritzt bei all diesem Gemetzel auch Blut und natürlich gibt es auch „Splattereffekte“. Wobei ich wiederum den Begriff „Splatter“ vermeiden möchte, steht er doch eigentlich in einem ganz anderen Zusammenhang, als es dieser Film wirklich zulässt. In DdK geht es nicht darum zu splattern um des splattern willens. Die bluttriefenden Effekte sollen eher nur die Abartigkeit der Vorgänge unterstützen. Es geht also nicht vordergründig um das Zelebrieren von Gewalt oder sogar den Einsatz von Gewalt als zweifelhaft ästhetisches Mittel im Film um diesem Inhalt zu verleihen. Da spielt es dann eigentlich auch gar keine Rolle mehr, dass die Effekte rudimentär auf das wesentliche des Zeigens und Sehens beschränkt sind. Denn nur so passen sie sich wirklich in das schmutzige und fiese Gesamtbild des Films wirklich ein. Wer also auf die plakative Einordnung des Films in das Genre des Splatterfilms hereingefallen ist, kann nur enttäuscht werden. Was den Film wohl noch am nächsten in die Nähe des klassischen Splatterfilms rückt, und somit eine Brücke zum Titelgebenden Film „The Texas Chainsaw Massacre“ schlägt, ist eine Reminiszenz an jene Szene, als Leatherface eines seiner vermeintlichen Opfer, die Kettensäge schwingend, durchs dunkle Unterholz jagt. Doch daran sollte man diesen Film keinesfalls messen.
Mit dieser Einordnung wird der Film aber trotzdem einem völlig falschen Publikum schmackhaft gemacht. Nicht das ich damit die Fans des Splatterfilms als dumm, filmische Legastheniker oder ähnliches darstellen möchte, mitnichten. Aber wer sich eher mit Filmen wie Freitag der 13., Braindead oder Saw auseinandersetzt, wird kaum wirkliche Freude an DdK haben. Ausnahmen bestätigen die Regel. Doch die Regel ist eher das, was ich eben beschrieben habe. Wo dieser Film nun wirklich sein Publikum sucht und findet, ich weiß es nicht. Ich habe diesen Film auf jeden Fall ins Herz geschlossen, auch wenn Schlingensief erst mit „Terror 2000“ sein Meisterstück abliefern wird, denn da wird die Geschichte des deutschen Kettensägenmassaker weitergeführt - die Geschichte an sich, wird aber noch längst nicht zu Ende erzählt.
*nein, im Film ist es nicht Leverkusen… ;-)