Review

Ein japanisches Kriegsgefangenenlager irgendwo im Dschungel Südostasiens. Während in der unsichtbaren Ferne der Zweite Weltkrieg tobt, bemüht sich Colonel Nicholson (grandios british: Alec Guinness) um die gerechte Behandlung seiner Truppe gemäß der Genfer Konvention. Als der brutale Lagerkommandant Saito (Sessue Hayakawa) mit dem ihm befohlenen Bau einer Brücke nicht vorankommt, bietet Nicholson ihm seine Hilfe an. Erst die britische Bauleitung bringt Fortschritte. Mehr und mehr wird der Psychokrieg zwischen Nicholson und Saito übertönt durch den Wahn Nicholsons, die Brücke fertig zu stellen, die er allmählich als beträchtlichen Teil seines Lebenswerks betrachtet. Währenddessen bekommt ein dem Lager entflohener amerikanischer Offizier (William Holden) den Befehl, die Brücke zu sprengen.

David Lean wird heute v.a. durch sein Erfolgstriptychon The Bridge on the River Kwai, Lawrence of Arabia und Doctor Zhivago in Erinnerung bleiben. Besonders seine frühen Arbeiten mit Noel Coward (gerade der Höhepunkt dieser Phase: Brief Encounter), sowie seine Dickens-Bearbeitungen bilden im direkten Vergleich mit diesem ein Kontrastprogramm, welches in einem solchen Ausmaß wohl bei nur wenigen anderen "großen" Regisseuren zu finden sein wird. Man nehme z.B. das Zweipersonenstück Brief Encounter und sehe sich unmittelbar danach den Lawrence an. Beschauliche englische Kleinstadt vs. gewaltige, unermessliche Wüste. Erzählung aus Sicht einer Frau vs. all-male Cast usw. Was typisch "Lean" ist in diesen beiden Werken und sich auch in The Bridge on the River Kwai auffinden lässt, ist das offenkundige Interesse des Regisseurs für die psychologisch genaue Charakterzeichnung.

Unser David seziert gern. Ob es sich nun um zwei Liebende handelt, die verzweifelt gegen gesellschaftliche Normen ankämpfen, um sich letzten Endes diesen zu ergeben oder um einen englischen Wüstenkämpfer, dessen Ego alle gesellschaftlichen Konventionen sprengt: Lean vergrößert oder verkleinert nur den Hintergrund, nicht aber sein Augenmerk auf die Charaktere.

Eine andere Konstante in Leans Werk ist ein viel und gern beackertes Feld: die Briten und ihre Eigenarten und Konflikte. Wirft man einen Blick auf seine Filmografie, so erkennt man: Leans erster Film handelte von einem britischen Kriegsschiff, sein letzter von den Spannungen zwischen Briten und Indern in der Kolonialzeit.
The Bridge on the River Kwai ist wohl Leans kritischste Auseinandersetzung mit der (Upper-Class-) Britishness und besonders deren Auftreten unter Offizieren, wo sie gerade zu Zeiten der beiden Weltkriege vom einfachen Soldaten eher als Epidemie angesehen wurde. Lean stellt "das Britische" - verkörpert durch Nicholson - zuerst "dem Japanischen" (Saito) gegenüber, um dann den Schritt zum Vergleich mit "dem Amerikanischen" (Shears alias William Holden) zu wagen.

Die japanische Fraktion bleibt trotz der eindrucksvollen Leistung von Hayakawa eher stereotyp (wussten wir nicht schon immer, dass die Japaner keine Brücken bauen können?). Dagegen fällt der Vergleich Shears-Nicholson interessanter aus. Hier stehen sich Opportunismus/Modernität und verbohrte Prinzipientreue/Wahn gegenüber und bilden ein Gemisch, dass jedoch erst einige Filmminuten benötigt, um zu zünden.

Die leichtlebige Szenerie des Stützpunktes auf Ceylon, den Shears nach seiner Flucht erreicht, wirkt eher deplaziert. Erst wenn Shears' Truppe sich per Fallschirm auf den Weg zur Brücke macht, gewinnt der Film das nötige Gleichgewicht zwischen den beiden parallel verlaufenden Handlungssträngen. Die brütende Dschungelhitze steht wieder auf beiden Seiten. Zwar ist es offenkundig, dass die weiblichen Trägerinnen nur in die Story eingebaut wurden, um überhaupt Frauen zeigen zu können (Lean würde im Lawrence noch einen Schritt weiter gehen), doch wird dieser Gedanke bald durch die aufkommende Spannung davon geweht. Auch kommt William Holden schauspielerisch gesehen kaum gegen die Präsenz von Alec Guinness oder Jack Hawkins an. Er kann als Amerikaner Shears, der den Sinn des Krieges längst aus den Augen verloren hat, durchaus überzeugen, aber dass er aus kommerziellen Gründen angeheuert wurde, ist kaum zu verbergen.

Eindeutige Sympathiezuweisungen vermeidet Lean glücklicherweise. Man hat Verständnis für Nicholsons Traum, der Nachwelt etwas zu hinterlassen (und damit die Erinnerung an sein Dasein zu sichern), gleichzeitig hilft er damit den Japanern und man wünscht auch Shears das Scheitern nicht. Ihre Erziehung, Herkunft und Stellung zwingt die beiden Protagonisten jedoch zur Konfrontation.

Dank Leans den großen Bildern durchaus nicht abgeneigter Regie muss gerade Alec Guinness nicht gegen seinen Hintergrund ankämpfen, sondern darf seinen Charakter vor unseren Augen entfalten und bringt die vielleicht beste Leistung seiner Laufbahn auf die Leinwand (mal abgesehen von den Ealing comedies).

The Bridge on the River Kwai ist sicher nicht Leans bestes Werk, doch der mit einem beeindruckend konsequenten Ende versehene Film (mit einer der einprägsamsten last lines der Filmgeschichte) macht eine nicht zu unterschätzende Aussage über Sinn und Unsinn des Krieges und ist nur wenige Schritte vom Lawrence entfernt.

Details
Ähnliche Filme