Ein Traum in einem Traum in einem Traum: Der Matrose Jan kehrt nach langer Schiffsreise in seine Heimatstadt zurück, erkennt jedoch nichts wieder. Sein Elternhaus ist verschwunden – angeblich eingestürzt, tatsächlich jedoch auf mystische Art und Weise in einen unzugänglichen Park außerhalb der Stadt verlegt – seine Familie nicht auffindbar. Bei einer Kneipenschlägerei sinkt er blutüberströmt nieder – und erwacht dann doch in seinem alten Haus, umgeben von allerhand skurriler Dienerschaft und einem sterbenden Patriarchen (Orson Welles), der für die Hinterbliebenen ein garstiges Testament vorbereitet hat...
Die belgische Romanverfilmung „Malpertuis“ (eine Anspielung auf den Fuchsbau in der alten Fabel „Reineke Fuchs“) glänzt als mal skurriles, mal unheimliches, immer surreales und verwirrendes Vexierspiel mit Traum und Wirklichkeit, Logik und Fantasie, Wunscherfüllung und Angstzuständen. Atmosphärisch irgendwo zwischen bizarrer Familiengroteske und subtilem Psycho-Horror angesiedelt, überrascht der Film immer wieder mit ausdrucksstarken Bildern, faszinierenden Charakteren und schwer verständlichen Storywendungen.
So bleibt die grundlegende Frage nach der Realität aller Ereignisse im alten Herrenhaus bis zum doppelbödigen Schlusstwist konsequent offen. Schon Jans Ankunft im Hafen (bzw. auf dem Deck des eingelaufenen Schiffs) scheint äußerst mysteriös und deutet eine übersinnliche Herkunft an. Überhaupt ist „Malpertuis“ ein Film der starken Andeutungen: Permanent wird das Verhalten der Agierenden als seltsam, mitunter bedrohlich dargestellt – so etwa ein Gespräch mit einem verkommenen Taxidermisten, der am Ende andeutet, das Tier, das er am liebsten einmal ausstopfen würde, wäre der Mensch – auch die positiv konnotierten Charaktere bleiben in ihrem Verhältnis zueinander ambivalent; so wirkt die emotionale und auch körperliche Nähe der beiden wiedergefundenen Geschwister im Elternhaus mitunter so, als könne hier von inzestuösen Verhältnissen ausgegangen werden. Auch eine recht plötzliche Sexszene in der Mitte des Films überzeugt mit exquisiter Ausstattung und eleganter Umsetzung, die mehr andeutet als plump zeigt.
Dank eines subtilen Scores, der nur punktuell leise bedrohlich einsetzt, einer entschleunigten Kamera, die nah an den Figuren bleibt, und des wirklich aufwendigen Settings, das das Herrenhaus als verwinkeltes und oft düsteres Labyrinth entwirft (allein der Blick das Treppenhaus hinauf kann einen schwindeln machen), in dem allerhand schräge Figuren herumirren und das in jedem neuen Raum Überraschungen parat hält, entwickelt sich „Malpertuis“ schnell zum faszinierenden Kaleidoskop bizarrer Ideen. Die dichte Atmosphäre aus Ungewissheit und latenter Bedrohung, die dadurch entwickelt wird, hält den Zuschauenden durchgehend bei der Stange.
Zugegeben: Insgesamt hätte es ein wenig mehr Sinn und Tiefe geben können. So packend das Spiel mit Schein und Wirklichkeit auch ist, fehlt ihm am Ende ein wenig der konkrete Zielpunkt, auf den das alles hinausläuft. Auch mäandert die Geschichte im letzten Drittel ein wenig zu sehr auseinander und findet keinen rechten Rhythmus mehr. Und die zentrale Schlussauflösung (die dann doch noch von zwei weiteren Wendungen überholt wird) wirkt bei aller intellektuellen Pointierung und passender Skurrilität doch ein wenig beliebig und unverständlich.
Aber andererseits ist „Malpertuis“ nun einmal ein Film, dem mit dem Verstand kaum beizukommen ist. Er funktioniert über seine exquisit-düsteren Bilder, seine verrückten, mitunter gruseligen Ideen und die starken Darstellenden, die allesamt ihren Platz in diesem Kuriositätenkabinett verteidigen. Als filmische Fieberfantasie aus der LSD-Phase des Kinos für aufgeschlossene Cineasten definitiv auch heute noch ein Geheimtipp.