Blood, Sperm & Tears
Murphy (Karl Glusman) ist ein junger Erwachsener, mit sich und der Welt in Disharmonie. Murphy wohnt mit Frau und Kind in einer Schuhschachtel ähnlichen Wohnung. Die Frau keift. Das Baby brüllt. Eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter erweckt in ihm die Erinnerung an die verflossene Liebschaft Electra (Aomi Muyok), seine wahre, große Liebe, die er verloren hat, weil er fremdgegangen ist. Er kann sie nicht vergessen und trauert ihr nach. Auf Opium gibt sich der zerrüttete Liebesuchende dem Strom aus Erinnerungsfetzen hin…
LOVE 3D – der Neue von Skandalnudel Gaspar Noé (IRREVERSIBEL, ENTER THE VOID). Kaum einem Regisseur der Gegenwart gelingt es dermaßen zu polarisieren. Die Themen des Enfant terribles: Sex, Drogen und Gewalt. Was hat man also von einem Film namens LOVE zu erwarten, wenn er von einem Regisseur stammt, der Filme macht, in denen Leute detailgetreu vergewaltigt oder mit Feuerlöschern erschlagen werden? Die Antwort ist leicht: einen Porno.
Den Pressetexten zufolge soll es Gaspar Noés mutigstes, zärtlichstes und sensibelstes Werk sein. Dies sind zwar nicht unbedingt die ersten Attribute, die einem in den Sinn kommen, wenn der Film mit einer fünfminütiger Masturbationsszene startet. In einer schönen Totalen und mit Fokus auf das männliche Glied wird freudig drauf los gewichst. Die Darsteller haben Sex vor laufender Kamera und zwar in echt. Sex als Stilmittel im Film ist im Endeffekt nichts Neues und war bislang größtenteils dem Arthaus-KIno vorbehalten. Ich denke da an den Zeitlupen-Fick in ANTICHRIST, den Blowjob in BROWN BUNNY, den Wichser in KEN PARK. In LOVE 3D verhält es sich ähnlich. Pornographie wird als Stilmittel eingesetzt, was bei Noé aber hauptsächlich ein Mittel der Provokation bedeutet. So wird in LOVE 3D sehr viel Sex geboten. Mitunter mehr Sex als in einem „echten“ Porno. Vor allem aber sehr, sehr viele erigierte Pimmel.
Dennoch ist der Titel irreführend. Wo genau findet man Liebe in diesem Film? In der Tat muss man suchen. Es wirkt fast, als verwechsle Noé Liebe mit fleischlicher Lust. Zwischen all den spritzenden Zipfeln findet sich nämlich nur Geilheit. Eine der intensivsten Szenen des Films ist ein flotter Dreier. Hier spürt man, wie sich die Darsteller treiben lassen, und es werden glaubhaft jugendliche Neugier und Experimentierfreudigkeit vermittelt. Der Rest setzt leider ein zu großes Augenmerk auf die Befriedigung männlicher Gelüste, ganz konkret auf den Penis. Wo bleibt der weibliche Orgasmus und das klitorale Zucken... Gaspar Noes mutigstes, zärtlichstes und sensibelstes Werk? Ganz bestimmt nicht. Dafür fehlt es an Zärtlichkeit. Da wurde in Khavn De La Cruz' jüngstem Werk RUINED HEART ein eindringlicheres Gefühl des Liebestaumels vermittelt. Noes Film wirkt dagegen wie eine Abhandlung darüber, wie schwierig und beinahe unmöglich sich wahre Liebe in der Moderne darstellt.
Rein technisch hat Noé seinem Machwerk aber ganz klar wieder seinen ganz persönlichen Stempel aufgedrückt. Die Story wird von hinten aufgerollt und Stück für Stück anhand Rückblenden erzählt. Spannend ist das zwar nicht, durch die vielen Sexszenen aber auf seine ganz spezielle Art stimulierend. Die Kameraführung unter der Führung vom ENTER THE VOID- und SPRING BREAKERS-Kameramann ist genial. Das 3D ist weitestgehend für'n Arsch. Einziger Höhepunkt (im wahrsten Sinne des Wortes): ein Close-up eines Penisses, der in die Kamera ejakuliert. Geniale Szene, die sinnbildlich für den ganzen Film steht.
Noe verbeugt sich vor den großen Namen des Kunstkinos. Es hagelt Anspielungen. Es hängen Plakate im Hintergrund, so z.B. von M, TAXI DRIVER, 120 TAGE VON SODOM und 2001. Hier ein Score aus einem Argento- und Carpenter-Film, da ein Fassbinder-T-Shirt. Die Geschichte ist, Achtung: Fachausdruck, die einer „Amour fou“, sprich: einer problembehafteten Liebesbeziehung. Betrachtet man den Liebesfilm im Wandel der Zeit, beißt sich LOVE 3D arg mit klassischen Schonzetten wie CASABLANCA, TITANIC, PRETTY WOMAN oder NOTTING HILL. Auch der Vergleich zu Coming-Of-Age-Dramen und alternativen Liebesfilmen wie BEFORE SUNRISE, BROKEBACK MOUNTAIN und LOST IN TRANSLATION fällt schwer. Gewisse Ähnlichkeiten kann man zu Dumonts TWENTYNINE PALMS und Larry Clark erkennen. Insgesamt wirkt LOVE 3D wie eine Arthaus-Version von 9 ½ WOCHEN.
Was lernt man also von diesem Film, außer dass Männer schwanzgesteuerte Schweine sind und Liebe durch den Penis geht? Es ist gewiss nicht Noés bester oder eindringlichster Film. Wer die Bildsprache des Regisseurs mag, kommt aber auch hier auf seine Kosten.
Love: (+)(-)(-)(-)(-)
Sex: (+)(+)(+)(+)(-)
Fazit:
Gaspar Noé wichst uns in die Fresse. Dankeschön!