Nachdem Marvel seine Marke und sein Shared Universe fest auf dem Blockbustermarkt etablieren konnte, versucht das Studio auch seine weniger bekannten, aber nicht unwichtigen Figuren ins Filmgeschäft zu bringen, etwa 2014 mit „Guardians of the Galaxy“ oder aktuell mit „Ant-Man“.
„Ant-Man“ ist einer der Filme, die einen Erklärungsversuch wagen warum nicht bei jedem Abenteuer eines Marvel-Helden die Avengers zur Stelle sind. Dies begründet der Film mit einer Abneigung, die Dr. Hank Pym (Michael Douglas) gegen S.H.I.E.L.D. hegt, nachdem diese und Howard Stark (John Slattery) 1989 Hanks Erfindung, den Pym-Partikel, stehlen wollten. Danach zog sich der Millionär mehr und mehr ins Privatleben zurück, überließ seine Firma irgendwann seinem ehemaligen Assistenten Darren Cross (Corey Stoll), nachdem dieser Pyms Tochter Hope van Dyne (Evangeline Lilly) heraus drängten. Nicht, dass diese Erklärung für die Avengers-Abwesenheit in anderen Filmen wirklich notwendig gewesen wäre, ist sie in den Comicvorlagen ja auch nicht, aber es stellt eine nette Reaktion auf diese immer wieder gestellte Frage dar.
Held von „Ant-Man“ ist allerdings Scott Lang (Paul Rudd), ein idealistischer Meisterdieb, der nach einem Robin-Hood-mäßigen Coup allerdings erwischt und eingeknastet wurde. Ex-Frau Maggie (Judy Greer) und deren Neuer, Paxton (Bobby Cannavale) – der noch dazu ein Cop ist – wollen Scott den Umgang mit seiner Tochter Cassie (Abby Ryder Fortson) verwehren, solange er kein festes Einkommen hat, doch die Jobsuche wird für den Ex-Knacki schwer, der mit seinem früheren Zellenkumpan Luis (Michael Peña) zusammen wohnen muss. Dies etabliert schnell den komödiantischen Ton, der „Ant-Man“ von der relativen Ernsthaftigkeit von „Captain America: The Winter Soldier“ und „Avengers 2“ abhebt, auch wenn Marvels Filme immer ein gewisses Maß an Humor, Auflockerung und One-Linern bieten.
Die finanzielle Not ist es auch, die Scott zusammen mit Luis und zwei Komplizen zu einem Einbruch in Pyms Villa bewegt – ohne zu wissen, dass der den Coup angeleiert hat. Der braucht nämlich einen fähigen Meisterdieb, damit dieser die gefährliche Yellowjacket-Technologie aus Cross‘ Labor stiehlt. Also zwingt er Scott zur Mithilfe, der von da an zum Ant-Man werden und eine von Pym entwickelte Technologie nutzen muss, mit deren Hilfe er schrumpfen, aber seine Kraft vergrößern kann…
Auch wenn ein lockerer, ironischer Ton im Marvel-Universum vorherherrscht, so zeichnen sich die Filme dadurch aus, dass sie als Superheldenfilme Anleihen an verschiedene Genres haben: Von den High-Tech-Thrillern der „Iron Man“-Reihe über den Fantasy-Sci-Fi-Mix der „Thor“-Filme bis hin zur 1970er-Jahre-Politthriller-Inspiration von „Captain America 2“ reicht die Palette, die mit „Ant-Man“ nun um den Heist-Film erweitert wird. Denn der finale Einbruch ist das Ziel des Films und seiner Helden, die vorige Zeit ist der Vorbereitung gewidmet, die nebenher auch als eine Art Origin Story des Ameisenmannes fungiert. Nach und nach erfährt man mehr über Hank Pym, den ersten Ant-Man, über seine Vergangenheit und seine Familienverhältnisse, während man Scotts Reintegration live miterlebt. Während es schön ist, dass „Ant-Man“ auf eine kitschige Versöhnung von Scott und seiner Frau verzichtet, Paxton als verantwortungsvollen neuen Partner und nicht als unsympathischen Nebenbuhler darstellt, so kann Regisseur Peyton Reed die emotionalen Momente nur bedingt händeln: Gerade Hanks Geständnis gegenüber seiner Tochter, was wirklich mit ihrer Mutter geschah, hat kaum Nachhall und wird glücklicherweise kurz darauf mit einer ironischen Szene gebrochen, doch insgesamt bleiben die meisten Familienszenen, egal ob bei Hank oder Scott, durchschaubar und dringen kaum in die Tiefe vor.
Dafür zeigt sich das Gespür des vor allem für Komödien bekannten Reed in den zahlreichen Gags des Films – ungeschlagen sicher Luis‘ Angewohnheit Situationen mit allen unwichtigen Details nachzuerzählen, was nicht nur visualisiert wird, sondern es werden Luis‘ Worte jeder Figur in der Rückblende lippensynchron in den Mund gelegt. „Ant-Man“ dürfte der komödiantischste Marvel-Film seit dem ersten „Iron Man“ sein und kann durch seine Sprüche und seinen Slapstick punkten: Wenn Scott fragt, ob man den Namen Ant-Man noch ändern könne, wenn Luis und seine Spießgesellen sich austoben dürfen oder sich Scott und Hope in bester Screwball-Manier ärgern und umkreisen, dann ist gute Laune garantiert. Zwischendrin gönnt sich „Ant-Man“ ein paar überraschend fiese Momente, gerade was misslungene Experimente mit dem Schrumpfstrahler angeht, die jedoch vor allem im Zeichen einer sehr sanften Kritik an skrupellosem Big Business und unkontrollierter Forschung stehen.
Zudem kann man „Ant-Man“ auch als eine Reaktion auf die Abnutzungserscheinungen sehen, die im Blockbuster im Speziellen und im Superhelden- bzw. Marvelfilm im Speziellen zuletzt bemerkbar machen. Nicht nur aufgrund der Schrumpffähigkeiten seines Helden ist „Ant-Man“ kleiner skaliert, auch sonst ist der Film intimer und weniger gigantomanisch als etwa „Avengers 2“, zerstört im Finale keine Stadt, sondern konzentriert sich auf den Heist, der allerdings nicht ganz glatt läuft und in ein Actionfinale mündet. Man versucht nicht auf Teufel komm raus zig anderen Figuren aus den Marvel-Produktionen Cameos zu verschaffen und überlädt den Film dadurch nicht, auch wenn „Ant-Man“ ins Avengers-Universum eingebunden wird, eine Brücke zu weiteren Marvel-Filmen, vor allem dem kommenden „Captain America: Civil War“ geschlagen wird. Dabei sind eine längere Szene mit Falcon (Anthony Mackie) und die beiden Abspannszenen von zentraler Bedeutung.
Doch obwohl „Ant-Man“ organischer und frischer als manches Konkurrenzprodukt wird, so fehlt doch ein wenig der letzte Schliff, was auch an dem gewählten Heist-Genre liegt. Zwar bedient Peyton Reeds Film die übliche Struktur aus Vorbereitung und ungewöhnlichen Lösungswegen, bietet mit dem Schrumpfen und Ant-Mans Fähigkeit Ameisen für seine Zwecke einzuspannen ein Novum, doch es fehlt dem Coup die Nachvollziehbarkeit, die den Reiz der ganz großen Heist-Filme ausmacht. Man hat keinen Überblick über den Grundriss des Firmengebäudes, es werden Stationen und Hindernisse benannt, aber nur ganz kurz gezeigt, wodurch Langs Übungen immer etwas sehr abstrakt bleiben, was schade ist, denn so fehlt das waschechte Heist-Feeling.
In Sachen Schauwerte kann sich „Ant-Man“ freilich sehen lassen: Die Erkundung bekannter Lokalitäten aus der ungewohnten Zwergenperspektive des Ameisenmannes sorgt für eindrucksvolle, nicht alltägliche Bilder im Blockbusterkino, gerade beim ersten Ausprobieren des Anzugs. Die Actionszenen wirken des trotz des Größenunterschiedes von Held und Gegnern nie unglaubwürdig, sondern sehr dynamisch und wenn der Showdown dann in einem Kinderzimmer ausgetragen wird, dann blitzt auch eine angenehm ironische Note auf. Das 3D ist zwar nicht wirklich nötig, wird aber schon ziemlich gut genutzt (gerade bei Scotts Erkundungen im Schrumpfmodus) und die Action kann sich sehen lassen. Da verzeiht man selbst jene ca. zwei Minuten im Finale, wo es kurz ins Absurd-Metaphysische geht, doch bevor man sich „Interstellar“-artiger Lächerlichkeit und Langeweile preisgibt, kehren Film und Held aus dieser Dimension zurück.
Was den Film erdet, ist Paul Rudd als sympathischer Komiker, der mit schlitzohrigen Charme den netten Einbrecher gibt und auch in den zwischenmenschlichen Szenen die nötige Glaubwürdigkeit hat. Michael Peña, ebenso wie Rapper T.I. und David Dastmalchian, sind als ethisch-durchmischtes Kriminellentrio bloß Comedic Sidekicks, machen das aber so wunderbar, dass kein Anlass zur Klage besteht, während Michael Douglas mit Gravitas die Mentorenrolle ausfüllt. Corey Stoll macht das Beste aus seiner etwas limitieren Fieslingsrolle, Evangeline Lilly überzeugt als toughe Frau immer Männerkosmos, während Judy Greer, Bobby Cannavale und Wood Harris Edelsupport abliefern, aber wenig Screentime haben. An der Cameo-Front treten Haley Atwell, John Slattery, Anthony Mackie, Chris Evans und Sebastian Stan in ihren gewohnten Rollen auf und auf Stan Lee muss natürlich auch nicht verzichtet werden.
„Ant-Man“ ist kurzweiliger, launiger Sommerfilm, der trotzdem leicht gemischte Gefühle hinterlässt: Neben einer etwas anderen, kleiner skalierten und eher komödiantisch ausgerichteten Art bietet er tolle Schauwerte und steht für die durchaus nötige Neujustierung, gerade was Showdowns angeht, im Marvel-Kosmos, andrerseits könnte er als Heist-Film besser funktionieren und seine Figuren mehr ausarbeiten, da die emotionalen Parts hier wenig ziehen. Dennoch eine gelungene Sache, auch wenn es sich interessant wäre zu sehen, wie der ursprünglich von Edgar Wright entwickelte Film unter dessen Kontrolle ausgesehen hätte, hätten sich Marvel und Wright nicht über die Ausrichtung von „Ant-Man“ gestritten und den Regisseur durch Peyton Reed ersetzt. Seinen Geist merkt man dem Script von ihm und Joe Cornish noch deutlich an, das später durch Adam McKay und Paul Rudd überarbeitet wurde.