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Eine Königin (Salma Hayek) wünscht sich sehnlichst ein Kind und ist dafür bereit, mehr als nur ein Opfer zu bringen; ein sexbesessener König (Vincent Cassel) verliebt sich in eine wunderschöne Fremde, in die sich eine zuvor hässliche Alte verwandelt hat; und ein so liebenswürdiger wie naiver König, dessen Lieblingshaustier ein monströs wachsender Floh ist, verspricht seine Tochter versehentlich einem primitiven Riesen und Menschenfresser.

Diese drei Storylines werden in der europäischen Co-Produktion „Das Märchen der Märchen" zu einem faszinierenden, vor Fantasie und Bildkraft sprühenden Gesamtwerk verwoben, und das auf so sensible und subtile Art, dass man die episodenhafte Grundstruktur trotz der nur marginal vorhandenen Berührungspunkte der einzelnen Geschichten kaum bemerkt. Viel zu sehr fühlt man sich als Zuschauer gefangen von den atemberaubenden Bildsequenzen, der opulenten Ausstattung und den immer wieder originell variierten Märchenerzählungen.

In Anlehnung an eine klassische italienische Märchenvorlage erfindet der Film quasi den Märchenstoff neu, indem er übliche Motive (unglückliche Königspaare, schicksalhafte Pakte mit düsteren Gestalten, mutige Prinzessinnen) auf immer wieder überraschende Weise neue erzählerische Wege gehen lässt. So gelingt es ihm immer wieder, den Zuschauer mit seinen Wendungen zu verblüffen und so durchgehend zu fesseln. Dabei bleibt die zugrunde liegende, fantastisch verträumte, auf beinahe ätherische Art elegante Atmosphäre selbst bei den ironischsten (und mitunter morbiden) Brüchen erhalten - etwa wenn sich eine arme alte Frau bei dem Versuch, sich zu verjüngen, komplett häuten lässt.

Die episodenhafte Struktur bedingt es, dass es mehrere Hauptfiguren gibt, von denen keine allein im Mittelpunkt steht - dadurch werden auch Stars wie Salma Hayek, Vincent Cassel oder John C. Reilly auf eine Stufe mit den durch die Bank talentierten und überzeugenden Nachwuchsdarstellern gestellt. Auch diese gleichberechtigte Inszenierung, die jeder Figur und ihren spezifischen Macken genügend Raum bietet, sorgt dafür, dass man sich nicht wirklich wie in einem Episodenfilm vorkommt, zumal die Übergänge zwischen den einzelnen Erzählsträngen elegant und unauffällig vonstatten gehen. Auch die üblichen übernatürlichen Elemente (Seeungeheuer, Hexerei, fliegende Monster) kommen mit einer Selbstverständlichkeit daher, die die fantastische Märchenwelt innerhalb kürzester Zeit zum Leben erweckt.

Dazu tragen auch die größtenteils überzeugenden Spezialeffekte bei (nur der computeranimierte Riesenfloh wirkt etwas unecht) sowie die aufwendige Ausstattung und die tollen Kostüme. Auch an sich bekannte Szenen wie etwa der Kampf mit dem Seeungeheuer werden hier dank einer originellen Kameraführung und einer ruhigen, aber keinesfalls langsamen Schnittfrequenz auf völlig neue Art erzählt.

So erweist sich „Das Märchen der Märchen" als bildgewaltige, inhaltlich originelle und mit kluger Metaphorik aufgeladene Variation bekannter Märchenstoffe, die nicht nur den Freunden klassischer Fantasieerzählungen gefallen dürfte. Mit erzählerischer Stringenz und einem feinen Gespür für clevere Brüche und Wendungen gehört dieser Film definitiv zu den besten modernen Märchen - und das ganz ohne moderne Bezüge.

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