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Wie schon sein US-Debüt „Prisoners“ ist auch Denis Villeneuves zweite amerikanische Arbeit „Sicario“ einer der seltener gewordenen Mid-Budget-Filme, der zudem auch noch auf Festivals für Furore sorgte.
Jedoch ist „Sicario“ auch ein Genrefilm wie bereits die Anfangssequenz klar macht, in der ein Team von der Geiselrettungsabteilung des FBI ein Haus in Arizona stürmt und die Anwesenden verhaftet oder in Notwehr erschießt. Statt lebender Entführter finden die Gesetzeshüter jedoch lediglich über 40 übel zugerichtete Leichen, was nicht nur Teamleiterin Kate Macer (Emily Blunt), sondern auch allen anderen Beteiligten den Magen umdreht. Denn Villeneue zeigt glaubwürdig wie deftig mit welch harten Bandagen der Drogenkrieg ausgetragen wird, ohne dabei jedoch ins reißerische Ausschlachten abzutauchen. Und nicht zum letzten Mal ist Kates Reaktion stellvertretend für die des Zuschauers zu sehen.
Obwohl nicht alles glatt lief, stilisiert die FBI-Einleitung den Einsatz zum Erfolg, worauf man Kate das Angebot macht an einer behördenübergreifenden Task Force unter der Leitung von Matt Graver (Josh Brolin) teilzunehmen. Zum Team gehört neben US Marshals, Delta-Force-Soldaten und Regierungsagenten wie Steve Forsing (Jeffrey Donovan) auch der lediglich als Berater geführte Alejandro (Benicio Del Toro), der aber ebenso einsilbig wie geheimnisvoll ist. In Kolumbien hat er bereits gearbeitet, das ist eine der wenigen Infos über ihn, doch man ahnt schnell, dass hier etwas faul ist. Er scheint einer der titelgebenden Sicarios zu sein, ein Auftragskiller, ein Söldner.

Das wird auch Kate schnell klar, denn die Task Force im Allgemeinen und Alejandro im Besonderen gehen auf ebenso unkonventionelle wie rabiate Weise gegen das Kartell vor. Bald kommen ihr Zweifel an der Richtigkeit des Vorgehens…
Hatte Kameramann Roger Deakins schon bei „Prisoners“ famos gearbeitet, so ist seine Arbeit bei „Sicario“ regelrecht zum Niederknien. Seien es die (vor allem von Dronen gefilmten) Luftaufnahmen der Wüstenlandschaften, ein durch Nachtsichtgeräte gefilmter Einsatz in einem Tunnel oder die wohl stärkste Sequenz des Films, in der die Task Force einen Gefangenen aus Juarez nach Amerika bringen will. Während Graver die Stadt nur „The Beast“ nennt und als Feindesland kennzeichnet, mexikanische Armee-Einheiten schwer bewaffnete Unterstützung geben und die Kamera jedes Detail, jeden Verdachtsmoment in Szene setzt, fragt man sich nicht ob, sondern wann etwas passieren wird, wann sich die Spannung entladen wird. Jene Entladung ist kurz und heftig, ganz im Sinne der wenigen, realistischen und kaum auf Schauwerte ausgelegten Actionsequenzen, die vor allem auf rohe und realistische Weise wie der Drogenkrieg geführt wird.
Leider zieht sich „Sicario“ zum Ende hinaus etwas, da er sich als handlungs- und figurentechnisch extrem statischer Film erweist, bei dem Kate als Zuschauersurrogat immer wieder fassungslos hinterherstolpert und zusieht wie Graver und Alejandro mit unsauberen Mitteln mehr oder minder zweifelhafte Resultate erzielen. Tatsächlich muss man sich fragen, ob das bereits von Werken wie „Savages“ und „Breaking Bad“ beackerte Thema des Drogenkriegs noch neue Erkenntnisse zulässt, denn die hier gewonnenen Einsichten, dass viele Handlanger arme Schweine sind, dass erst ein Stop des Drogenkonsums in Erste-Welt-Ländern wie den USA die Kartelle schwächen würde und dass man im Kampf gegen Kartelle riskiert nicht besser zu sein als diese, sind nun nicht gerade innovativ.

Dass der Film dennoch in seinen Bann zieht ist nicht zuletzt Emily Blunt zu verdanken, die den körperlichen wie seelischen Verfall ihrer Figur sicht- und fühlbar werden lässt. Ebenfalls ganz groß ist Benicio Del Toro in der Rolle des eiskalten Alejandro, während Josh Brolins Rolle dagegen wenig ausgearbeitet ist, eher der (durchaus kritische beleuchtete) coole Sprücheklopfer, den Brolin aber mit Verve verkörpert. In dankbaren Rollen setzen die vor allem aus TV-Serien bekannten Nebendarsteller Jeffrey Donovan und Jon Bernthal Akzente, während Victor Garber als Kates Vorgesetzter und Daniel Kaluuya als ihr Partner noch herausstechen.
In einer Nüchternheit, die an „Zero Dark Thirty“ erinnert, verrät „Sicario“ wenig über seine Figuren, gerade Graver bleibt eine Chiffre und auch bezüglich Kate kommt der Zuschauer nur ein paar Brocken hingeworfen. So entpuppt sich Alejandro als interessanteste Figur, zumal er (ähnlich wie Graver in geringerem Maße) unangenehme Gefühle beim Zuschauer hervorruft: Er erbringt Resultate, zeigt es den bösen Buben mit fiesen Mitteln und genau dann erwischt man sich dabei, dass man wider besseres Wissen mit ihm sympathisiert. Alejandro ist quasi das finstere Spiegelbild klassischer Action(anti)helden. *SPOILER* Dass noch schlussendlich das bereits erahnte Rachemotiv enthüllt wird, verstärkt den Bezug noch. Gegen Ende ziehen Villeneuve und sein Drehbuchautor Taylor Sheridan diese Schraube bis zu Ende an: Wenn Alejandro auch die Familie seines Widersachers nicht schont und damit nicht besser ist als er, genau zu dem geworden ist, was er eigentlich bekämpft, dann wird dem Zuschauer alles Verständnis oder gar Sympathie, das er Alejandro entgegenbrachte, besonders unangenehm. *SPOILER ENDE* Damit ist Alejandro allerdings nur die extremste Figur in einer entsprechend gelagerten Galerie, zu der etwa auch ein Delta-Force-Man, der Kate mit den Worten „Do you like fireworks? Wanna see something cool?“ via Fernglas entfernte Feuergefechte zwischen Kartellmitgliedern zeigt, zu erkennen an der benutzten Leuchtspurmunition, als wäre das tatsächlich einfaches Abendentertainment wie Feuerwerk und nicht todbringende Kampfhandlungen.

„Sicario“ ist ein guter bis sehr guter Film, auf seine ganze eigene, sehr karge und nüchterne Weise spannend, aber auch ein gelungenes Portrait des Drogenkriegs, das allerdings wenig neue Erkenntnisse zu dem Thema bringt und sich mit fortschreitender Dauer etwas wiederholt. Dank der famosen Inszenierung, gerade in Sachen Kameraarbeit, immer noch ein starkes Stück Thrillerkino, aber nicht ganz so ein Kaliber wie „Prisoners“. 7,5 Punkte meinerseits.

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