Review

Ich muss ja zugeben, dass ich ausgesprochen skeptisch war, bot der Film doch im Vorfeld alle Parameter, denen ich Qualität per se abspreche: Entstanden in den 10-er Jahren dieses Jahrhunderts, moderner Thriller mit Sci-Fi-Elementen, und ein Hauptdarsteller den ich noch nie gesehen habe (OK, SMOKIN‘ ACES war mal vor weit über 10 Jahren ein Durchlaufposten). Ben Kingsley? Ist gerade mal runde 15 Minuten zu sehen, läuft also nicht wirklich als Qualitätsmerkmal. Auf der Aktivseite dann Regisseur Tarsem Singh, dessen THE FALL mich vor ebenfalls mehr als 10 Jahren sehr begeistert hat, aber sonst? Die Geschichte klingt zumindest attraktiv: Der Immobilien-Tycoon Damien Hale wird vom Krebs zunehmend aufgefressen, und um sein Genie am Leben zu erhalten wendet er sich an eine geheime Organisation, die sein Gehirn in einen schönen, jungen und gesunden Körper transferiert. Also nicht FACE/OFF, sondern eher Brain/Off … Der Vorgang klappt sehr gut, und Damien lernt neu zu leben. Neue Freunde, neuer Wohnort, unbegrenzter Reichtum, und jede Nacht eine andere Frau, die er mit seinem Luxuskörper beglückt. Aber wehe er nimmt seine Medikamente nicht, dann wird er von Erinnerungen überwältigt die nicht die seinen sind. Er wird neugierig und recherchiert, dass sein Körper einem Ex-Soldaten namens Marc gehört hat. Er forscht weiter, und lernt die frühere Frau von Marc und dessen kleine Tochter kennen. Damien erfährt, dass Marc sich hat töten lassen, um seiner Tochter eine teure Operation zu ermöglichen. Und er muss lernen, dass dieses Geschäftsprinzip, sich nämlich einen gesunden und jungen Körper nicht aus dem Abfalleimer des Krankenhauses zu holen, sondern direkt von der Straße, dass dieses Geschäftsprinzip von seinen „Ärzten“ mit Zähnen und Klauen verteidigt wird, damit das bloß nicht publik wird.
Nun ja, Damien hat das funktionierende Gehirn eines milliardenschweren Geschäftsmannes, und die Reflexe und das Kampfvermögen eines Elitesoldaten. So quasi eine Mischung aus Bill Gates und Dolph Lundgren, und diese Fähigkeiten muss er einsetzen, um am Leben zu bleiben.

Was soll ich sagen? Selten so überrascht worden! Ryan Reynolds gibt eine gute Vorstellung, auch wenn er erwartungsgemäß ein wenig blass wirkt, aber die Story, mein lieber Herr Gesangsverein, die Story drückt gewaltig nach vorne und macht Druck ohne Ende. Ein paar Verschnaufpausen hat es freilich um Hintergründe zu klären, was bei so einem Film auch nie ganz schlecht ist, damit die eigenen Gedanken der Geschichte mal wieder hinterherhecheln können. Aber im Wesentlichen wird die nicht immer einfache und oft verschachtelte Geschichte gut und klar erzählt und genauso gut und klar bebildert. Die Bilder, völlig schnörkellos und ohne unnötiges Brimborium, beeindrucken sehr, ohne aber von der Story abzulenken. Der Zuschauer kann sich voll und ganz auf den komplizierten Ablauf des Mannes mit den zwei Gehirnen konzentrieren (ach nee, das war ja ein ganz anderer) und die furiosen und knackigen Actionszenen genießen. Die Zweikämpfe sind zeitgemäß hart, schnell und trocken, aber gerade dadurch machen sie ordentlich Stimmung, was dann auf der anderen Seite von der Familienstory wieder sanft aufgefangen wird.

SELF/LESS ist allen Ernstes ein hervorragend gemachter, moderner Thriller mit leichten SF-Elementen, und funktioniert auf allen Ebenen ganz erstklassig. Und das Beste daran ist, dass das erwähnte Brain/Off seitens des Zuschauers nicht stattfinden darf, damit dieser den Überblick über die Geschichte nicht verliert. Ein Film aus dem neuen Jahrtausend, der seinen Zuschauern nicht alles fünfmal erklärt, sondern darauf vertraut, dass auch mal ein wenig mitgedacht wird. Eine schöne Überraschung!

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