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Eine Ballung von groß produzierten Katastrophenfilmen wie in den 1970ern und den 1990ern gab es im neuen Jahrtausend bisher nicht; alle paare Jahre gibt es aber wieder Projekte wie „The Day After Tomorrow“, „Poseidon“ oder nun „San Andreas“.
Der Held, Ray (Dwayne ‘The Rock‘ Johnson) ist natürlich der Beste in seinem Fach, sieht man schon an der Besetzung, im Irak ist er Rettungseinsätze geflogen, jetzt leitet eine Hubschraubercrew des Fire Department von Los Angeles. Dass seine Frau Emma (Carla Cugino) von ihm getrennt lebt und sich demnächst scheiden lassen will, um ihren Neuen, den Architekten Daniel Riddick (Ioan Gruffudd), zu ehelichen, trübt privat die Sonnigkeit, nicht aber die Fähigkeiten des Helden, die man in der Eingangssequenz zu sehen bekommt: Nach einem (nicht ungeschickt hinausgezögerten) Crash eines Autos in einer Felsspalte muss dessen Fahrerin vor dem Sturz in den Tod gerettet werden, und während das 3D wirklich atemberaubende Mittendrin-statt-nur-dabei-Bilder liefert, rettet man die Dame, auch wenn Ray bei Komplikationen den Steuerknüppel verlassen und selbst eingreifen muss – abstürzende Frauen zu Beginn wie bei „Cliffhanger“, das gibt es hier nicht.
Ray hat natürlich ein anderes Trauma, das alte Familienfotos andeuten, welches später erörtert und natürlich therapiert werden muss, doch vorerst geht es um Lawrence Hayes (Paul Giamatti) und seinen Kollegen Kim Park (Will Yun Lee) vom Zentrum für Erdbebenforschung, die an einem neuen System für Bebenvorhersagen arbeiten. Das funktioniert im Praxistest gut, suboptimal ist nur, dass es bei einem Beben nach Messungen nicht nur den Hoover-Damm, sondern auch Kim wegreißt, was aber wieder nur ein Teaser für das große Spektakel ist, das bald einsetzen soll.

Denn Hayes muss feststellen, dass ganz Kalifornien entlang des San-Andreas-Grabens von Erdbeben durchgeschüttelt werden wird. Die schlimmsten Auswirkungen stehen San Francisco bevor, wo Rays Tochter Blake (Alexandra Daddario) gerade mit ihrem Stiefvater in spe ist, zuvor rumpelt es aber in Los Angeles. Ray, der seinen Helikopter eigentlich zur Wartung fliegen soll, startet natürlich direkt durch um die wichtigsten Frauen in seinem Leben zu retten…
Vielleicht gab es in den letzten Jahren keine neue Katastrophenfilmschwemme, weil die Exemplare aus den 1990ern bereits fast alle tricktechnischen Möglichkeiten ausgeschöpft hatten, man das Ganze nur noch mit den globalen Katastrophen aus den Emmerich-Filmen „The Day After Tomorrow“ und „2012“ toppen konnte. „San Andreas“ verlässt sich dann auf ein (mehrstufiges) Ereignis, das immerhin halb Kalifornien als Spielfeld nimmt anstatt sich auf nur eine Stadt zu beschränken wie sein Vorgänger im Geiste, „Erdbeben“ von 1974. Also muss der Held hier die Strecke zwischen Los Angeles und San Francisco zurücklegen, mehrere Hindernisse überwinden, zwangsweise mehrfach die Vehikel wechseln und zwischendrin noch Leute retten, vor allem natürlich die Seinen. Das wirkt irgendwo egoistisch, auch wenn der Film betont, dass Ray ja gar nicht im aktiven Rettungseinsatz ist und nebenher jedes Leben rettet, das er kann.
Das bietet natürlich Raum für Action, wobei „San Andreas“ nicht nur auf digitale, meist berauschende Zerstörungsorgien setzt, sondern hin und wieder auch eine erfrischende Körperlichkeit in den Film bringt: Ray muss auch mal Fallschirmspringen oder tauchend eine Rettungsaktion vollbringen. Ansonsten stürzen hier die Hochhäuser reihenweise ein, San Francisco wird von einer kilometerhohen Tsunamiwelle (die Ray natürlich mittels Schlauchboot überwinden muss) geflutet und die moderne Tricktechnik macht die Verschiebung des Bodens sichtbar. Die digitalen Tricks sind meistens top, auch wenn es hin und wieder unschön in Richtung PC-Spiel geht, und inszenatorisch holt Brad Peyton, der seinen Hauptdarsteller schon durch „Die Reise zur geheimnisvollen Insel“ hetzte, das Maximum aus vielen Szenen heraus: In computergestützten Plansequenzen bewegt man sich mit Emma durch ein einstürzendes Restaurant in luftiger Höhe, das 3D versetzt den Zuschauer bei vielen Fluchtsequenzen mitten ins Geschehen und nur selten ist der Schnitt zu hektisch für das 3D-Verfahren (einmal allerdings unschön in einer Szene, in der Blake und Daniel aus einer Tiefgarage entkommen wollen).

Abseits von der Action und den Rettungsmissionen ist Drehbuchautor Carlton Cuse leider nur wenig eingefallen, weshalb der Film einerseits als bemühtes Four-Quadrant-Movie jede Alters- und Zielgruppe ansprechen will, andrerseits fast jedes nur denkbare Klischee des Katastrophenfilms bedient. Damit für jeden eine Identifikationsfigur dabei ist, finden nicht nur die toughen Eheleute zueinander, sondern auch Blake lernt ein aseptisches Boy-Toy namens Ben (Hugo Johnstone-Burt) kennen, der noch einen nasenweisen Bruder, Ollie (Art Parkinson), dabei hat, damit auch Teens und Kinder nicht ausgeschlossen werden. Als Erklärbär steht dann noch Lawrence zur Verfügung, der ähnlich wie Ray Erdbeben-Trivia in mehr oder minder gut geschriebenen Einwürfen preisgibt, aber dann vor allem als intellektueller Held im Gegensatz zu Körpertäter Ray bleibt – aber das ist schließlich genauso gut und wichtig, schließlich retten seine Warnungen ja Tausende von Leben, wie der Film nochmal extradick betont.
Extradick werden auch die Klischees aufs Brot geschmiert: Daniel entpuppt sich natürlich als feiger, opportunistischer Schmierlappen, seine Schwester Susan (Kylie Minogue) ist genetisch nicht besser dran, eine totale Bitch und muss deshalb gleich beim ersten L.A.-Beben dran glauben und sowieso: Sterben tun hier eh fast nur Arschkrampen und Unbekannte, kaum eine Hauptfigur scheint hier in Abnippelgefahr, nachdem man das selbstlose Opfer Kims schnell über die Bühne gebracht hat. Einzig und allein die Darstellung Blakes als patenter Anpackerin ist erfrischend, die mit von Daddy gelerntem Wissen die klugen Entscheidungen trifft, während die Jungs da nur staunend hinterherlaufen können. Die große Liebe mit Ben ist es natürlich trotzdem auf den ersten Blick, warum seine Zeit mit Charakterentwicklung oder Subtilitäten verschwenden.

Denn „San Andreas“ versucht sich nie in leisen Tönen. Wenn am Ende eine megagroße US-Flagge beschädigt, aber immer noch gut erkennbar an der zerstörten Golden Gate Bridge im Wind weht und Ray erklärt, man müsse jetzt wieder etwas Neues aufbauen, dann weiß man schon nicht mehr ob man da noch lachen oder weinen soll. Auch verunglückt ist mancher Oneliner, etwa wenn Emma dem feigen Daniel auf die Mailbox spricht, wenn er noch nicht tot sei, dann würde sie ihn umbringen, weil er Blake allein zurückgelassen hat, dann wirkt das nicht cool, sondern befremdlich inmitten als des Leids und der Zerstörung. Auch nicht ganz passend, aber schon etwas besser funktionieren da noch die Wortgefechte zwischen Emma und Ray, die im Laufe der Handlung wieder zusammenwachsen und dabei noch das Trauma therapieren, das die Familie dereinst zerriss.
Schauspielerisch ist da keiner groß gefordert und muss auch manchmal Dialoge zum Ohrenbluten aufsagen, doch die Besetzung schlägt sich in Anbetracht dessen überraschend gut. Dwayne ‘The Rock‘ Johnson beweist sich als verschmitzter Held der Arbeiterklasse, wobei ihm die dramatischen Momente hier nicht so gelingen wie in „Snitch“, Carla Cugino und Alexandra Daddario in den erfreulich starken Frauenrollen recht gute Performances hinzulegen. Morgan Freeman hatte für die typische Erklärbärrolle anscheinend keine Zeit, also übernimmt Paul Giamatti, punktet aber mit schluffigem Charme, während Will Yun Lee in seiner kleinen Rolle ebenfalls Akzente setzen kann. Schlecht sieht es dagegen bei Blassbacke Hugo Johnstone-Burt aus, der mit dem Charme eines Stück Totholzes spielt, und Nervkind Art Parkinson ist da kaum besser. Ioan Gruffudd spielt zum gefühlt fünfzigsten Mal innerhalb kurzer Zeit den arroganten Sack, aber das liegt ihm irgendwie, und Kylie Minogues kurz auftretende Superbitch ist zwar klischeehaft hoch drei, wird von ihr aber mit Freude verkörpert.

Tatsächlich ist es gut, dass sich „San Andreas“ auf das Wesentliche konzentriert und vor allem reichlich spektakuläre Katastrophenaction bietet, denn der aus den ältesten Klischees zusammengebaute Plot, manche einfältige Dialoge und ein paar schlappe Darstellerleistungen fallen in dem wenig feinsinnigen Spektakel unangenehm auf. Es kann halt nicht jeder Film um bildgewaltige Zerstörungen einen packenden Plot stricken, wie es etwa wie etwa „Flammendes Inferno“ oder „The Day After Tomorrow“ taten.

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