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Die 2006 von Disney aufgekauften Pixar-Studios meldeten sich 2015 mit einem wahrhaftig originellen Animationsfilm zurück: „Die Monster AG“- und „Oben“-Regisseur Pete Docter verfilmte zusammen mit Ronnie Del Carmen ein Drehbuch, das er zusammen mit Meg LeFauve und Josh Cooley verfasst hatte und das Publikum tief in die Gefühlswelt eines elfjährigen Mädchens führt – „Alles steht Kopf“.

Riley Anderson war ein glückliches, aufgewecktes Kind – bis zu ihrem Umzug von einer Kleinstadt in Minnesota nach San Francisco. Sie tut sich schwer damit, sich mit dem ungewohnten Leben in der Großstadt zu arrangieren, sich in der Schule einzufinden und sich im Eishockey-Team zu beweisen. Ihre Gefühle, bestehend aus Freude, Angst, Ekel, Wut und Kummer, geraten durcheinander und sind mit der neuen Situation überfordert. Als ausgerechnet Freude und Kummer versehentlich aus der Kommandozentrale in Rileys Hirn geschleudert werden, verfällt Riley zunehmend in Apathie. Doch Freude und Kummer versuchen, sich ihren abenteuerlichen Weg zurück in die Zentrale zu schlagen und bekommen unerwartete Hilfe von Rileys imaginärem Freund Bing Bong…

Es ist eine Kunst für sich, hochkomplexe Vorgänge derart abstrakt abzubilden, dass jeder sie versteht. Dies ist die Prämisse dieses Animationsfilms, der auf höchst amüsante Weise die Anpassungsprobleme der elfjährigen Riley an ihre neue Umgebung aufarbeitet. Dabei entfallen die Hauptemotionen auf verschiedenfarbige Figuren in Rileys Hirn, die neben den jeweiligen Gefühlen auch Klischeetypen, wie man ihnen im Alltag begegnet, repräsentieren und damit karikieren. Das ist hochgradig komisch und macht einen Großteil des Charmes dieses Films aus. Doch auch darüber hinaus waren der Fantasie der Autoren offenbar kaum Grenzen gesetzt: Metapherreich und allegorisch geht es in Rileys Hirn zu, nachdem die lebenslustige, agile Freude und der Trauerkloß Kummer die Kommandozentrale zu verlassen gezwungen waren. Dort sieht es stellenweise aus wie im Bällebad, denn Erinnerungen werden in Kugelform vergegenständlicht, die Traumproduktion erinnert an ein Filmstudio, der Zug der Gedanken tuckert auf Gleisen und auf dem Friedhof der Erinnerungen geht es gar düster zu. Irgendwo zwischen all diesen Stationen trifft man auch auf Bing Bong, Rileys herrlich absurden Fantasiefreund aus frühen Kindheitstagen, der zwar tatkräftig zur Seite steht, mit dem es zwischenzeitlich dann aber doch auch etwas zu rührselig wird.

Analog zu den Vorgängen in Rileys Hirn werden auch immer wieder ihre Probleme in der realen Außenwelt illustriert, inklusive der Auswirkungen des Emotionenkampfs. Der ganze Schlamassel mündet schließlich in einer unklugen und gefährlichen Entscheidung Rileys, die ihre letzten verbliebenen „Persönlichkeitsinseln“, also ihre individuellen Stützpfeiler, zum Einsturz zu bringen droht. In ihrem Inneren geht’s im aufregenden Finale drunter und drüber, „Alles steht Kopf“ wird zur Actionkomödie. Am Ende steht jedoch die wichtige, kluge Erkenntnis, dass alle Emotionen einander bedingen und benötigen, dass Traurigkeit genauso wichtig ist wie Freude, dass alle emotionalen Facetten letztlich die Persönlichkeit eines Menschen ausmachen.

Der zusammen mit dem wissenschaftlichen Experten Dacher Keltner entwickelte, angenehm brokkolifeindliche Film ist ein Volltreffer, der auch in Bezug auf sein Unterhaltungspotential für Erwachsene keinerlei Abstriche machen muss. Die Handlung ist nicht nur niedlich anzuschauen, sondern auch spannend und mitreißend gestaltet worden, wobei es im Actionanteil vielleicht sogar ein wenig zu hoch hergeht. Der Einfallsreichtum begeistert ebenso wie ein Gimmick à la „Rileys erstes Date?“ als Film im Film. Und ich bin mir absolut sicher, dass die meisten Eltern hier so ganz nebenbei tatsächlich noch etwas Lehrreiches mitnehmen. Pixar at its best, großes Animationskino! 8,5 von 10 Postkarten von der „Quatschmach“-Erinnerungsinsel dafür.

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