Review

17 Jahre nach dem völlig misslungenen, unfreiwillig komischen „Kurt & Courtney“ des britischen Dokumentarfilmers Nick Broomfield griff der US-Amerikaner Benjamin Statler in seiner bisher einzigen Regiearbeit die Verschwörungstheorie, der Tod des Nirvana-Frontmanns Kurt Cobain sei kein Suizid gewesen, sondern Kurts Witwe, die Musikerin und Schauspielerin Courtney Love, habe ihn umgebracht bzw. umbringen lassen, für einen abendfüllenden Dokumentarfilm erneut auf.

Privatdetektiv Tom Grant, der seinerzeit von Courtney Love damit beauftragt wurde, ihren Ehemann zu finden, als sie noch nichts von dessen Tod wusste, ist seither besessen von seiner Theorie, die er bereits in „Kurt & Courtney“ kundtat. „Kurt Cobain – Tod einer Ikone“ ist ganz auf Grant und seine Perspektive auf die Ereignisse im April 1994 zugeschnitten (worüber eine Texttafel zu Beginn auch informiert), wirkt dabei aber ungleich professioneller. Angereichert mit Bildern und Aufnahmen Kurts und Nirvanas werden im Dokudrama-Stil einzelne Szenen nachgespielt, die aber zum Teil mit Original-Tonquellen versehen werden. Wann immer solche Originalquellen zum Einsatz kommen, wird darauf hingewiesen. Dies vermittelt einen Eindruck von akribischer, seriöser Arbeit. Zudem kommen Freund(inn)e(n) und Bekannte Kurts zu Wort, die aus Kurts Zeit in Aberdeen erzählen, sowie das ehemalige Bandmitglied Aaron. Auch Kurts ehemaliger Lehrer, ebenfalls bekannt aus „Kurt & Courtney“, ist wieder dabei, ebenso Dylan Carlson, der Kurt die tödliche Waffe besorgte. Ferner geben einige Zeitzeug(inn)en und Expert(inn)en ihre Statements ab. Und es gibt Texttafeln – viele, viele Texttafeln.

Über allem thront aber Grant, der sich zu Beginn wenig bescheiden als höchst integre Person vor- und darstellt und im weiteren Verlauf die fünf Tage vor Kurts Tod einsetzenden Spielszenen kommentiert. Inhaltlich verfällt der Film schnell in die alte Litanei: Grant lässt erwartungsgemäß kein gutes Haar an Courtney Love, die eine drogensüchtige notorische Lügnerin gewesen sei, es wird fabuliert, Kurt sei gar nicht suizidal gewesen, auch habe es entgegen anderslautenden Behauptungen gar keine Suizide in dessen Familie gegeben, und Aussagen Courtneys werden haarklein auseinandergenommen und auf Widersprüche abgeklopft. Kurt habe sich scheiden lassen wollen, er habe zu viel Heroin intus gehabt, um überhaupt die Flinte abdrücken zu können, bla bla bla – alles schon gehört, zum Teil widerlegt worden, zum Teil schlichte Spekulation. Die Expert(inn)en sorgen für einen seriösen Anstrich, und dies teils unfreiwillig. NYPD-Detective Vernon J. Geberth beispielsweise gab hinterher bekannt, nicht am Suizid Cobains zu zweifeln, auch wenn seine im Film wie Statements wirkenden Interview-Antworten dergestalt zusammengeschnitten und implementiert geworden seien, dass sie Eindruck erwecken, dem sei doch so.

Interessant wird der Film, wenn die Polizeiarbeit näher beleuchtet wird und der damalige Chef der Polizei Seattle, Norm Stamper, Fehler einräumt. Auf diese Weise erfährt man einiges darüber, wie einfach es anscheinend zumindest seinerzeit gewesen wäre, einen Mord als Suizid zu tarnen. Offenbar wurde damals geschludert. Grant nutzt diesen Umstand jedoch einseitig, um seine Theorie zu untermauern, ebenso wie er völlig einseitig Courtney Love als Unperson darstellt, überhaupt keine anderen Theorien in Betracht zieht und schlicht alles, was er als Indizien für seine Thesen verwenden könnte, anführt, alles andere aber weglässt. Von Kurts manischer Depression beispielsweise hört man hier nichts. So verwundert es denn kaum, dass auch in dieser Doku Kurts Bandkollegen Krist Novoselic und Dave Grohl, mit denen er bis zum Schluss bei Nirvana spielte, ebenso wenig zu Wort kommen wie andere Personen, die Grants Erzählungen entkräften könnten. Sicherlich, einige Argumente haben Hand und Fuß; aus dem Vorhandensein eines potenziellen Motivs Courtneys aber derart schwere Anschuldigungen als Schlussfolgerung zu suggerieren, ist starker Tobak. In Sachen Zuschauermanipulation ist „Kurt Cobain – Tod einer Ikone“ aber ein Lehrstück.

Leider ist die deutsche Bearbeitung, die ich sah, unter aller Kanone, da sie nur Teile des Gesprochenen in Untertiteln übersetzt und ausgerechnet bei eher Schwerverständlichem aus Originalquellen darauf verzichtet.

Details
Ähnliche Filme