Was macht einen guten Schauspieler aus? Wann sagen wir, der und der Mime performt gut, nicht so gut, schlecht? Sind es die Augen, die Gefühle zum Zuschauer transportieren? Seine Bereitschaft zum hemmungslosen Weinen (die ja bekanntlich maßgeblich ist zum Gewinn eines Oscars)? Johnny Depp zum Beispiel. Johny Depp habe ich vor kurzem erst wieder in Lasse Hallströms CHOCOLAT gesehen. Dort ist er ein lebenslustiger und sinnlicher Vagabund mit einem hinreißenden Lachen und viel Liebe im Herzen. Hier, in BLACK MASS, spielt Depp das komplette Gegenteil. Depp ist Jimmy „Whitey“ Bulger, ein kleiner Krimineller mit psychopatischen Anwandlungen, der im South Boston der Mitt-70er eine kleine Gang anführt. Weil das FBI die Mafia aus der Stadt verjagen will, und weil der zuständige FBI-Agent zusammen mit Jimmy aufgewachsen ist, wird Jimmy als eine Art Gewährsmann verwendet, der den Polizisten Informationen über die Mafia zukommen lässt. Das sieht dann im Endeffekt so aus, dass Jimmy sein Tun immer mehr und immer brutaler ausweitet, bis er Anfang der 80er tatsächlich der Verbrechenskönig von ganz Boston ist, und als Gegenleistung lässt er eben seine Konkurrenz, die Mafia auffliegen, wenn auch erst nach gehörigem Druck seitens des Staates. Mitte der 80er kann Jimmy niemand mehr etwas. Die beiden zuständigen Agenten Conolly und Morris decken alle seine Verbrechen, während Jimmy selber immer unberechenbarer und brutaler wird. Er ist derjenige, der seinem kleinen Jungen beibringt, dass es nicht wichtig sei dass man zuschlägt, sondern dass man dann zuschlägt wenn keiner dabei ist. Denn dann ist es als sei es nie geschehen. Das gesamte Geschäft gehört Jimmy: Glücksspiel, Drogen, Prostitution, Schiebereien, … Einfach alles. Conolly behauptet seinen Vorgesetzten gegenüber immer noch, das Jimmy nur ein kleiner Fisch sei. Und der mächtigste Mann im Staate Massachusetts ist derweil – Jimmys Bruder Bill, Senator und aufstrebender Politiker …
Und das Beste: Die Geschichte ist so tatsächlich passiert! Das FBI organisiert den Aufstieg eines Verbrechers, ohne auch nur einen Hauch von Kontrolle über ihn zu haben. BLACK MASS vermeidet dabei sämtliche Fettnäpfchen, die es in den Geschichten über South Boston sonst so oft gibt. Weder laufen liebenswert-kauzige Kleinkriminelle durch die Straßen, noch werden markige Oneliner gezückt, und die Gewalt wird mitnichten drei Dialogzeilen vorher angekündigt. Die Stimmung ist ausnahmslos düster und ernst, und der Tod meistens schnell und grausam. Wobei, so schnell ist er nicht immer: Sowohl die Hure wie auch der letzte Informant sterben langsam und qualvoll, und wir müssen dabei in Großaufnahme zuschauen. Nicht schön!
Und Johnny Depp? Der spielt(?) einen so dermaßen kalten und skrupellosen Schweinehund, dass es einem selbst vor dem Bildschirm kalt den Rücken hinunterläuft. Sein Charisma ist eisenhart und böse böse böse. Was Jimmy mit der Frau von Conolly anstellt ist eine grauenerregende und tiefschwarze Szene, und dabei haben diese Minuten nicht einmal eine Spur von physischer Gewaltanwendung. Nur Worte. Worte und Blicke. Es ist die Ausstrahlung die einen tief in die Geschichte hineinzieht, und tatsächlich fast zwei Stunden gebannt zuschauen lässt. Erst in den letzten 20 Minuten zerfasert die ansonsten ruhig und gradlinig erzählte Geschichte ein wenig, aber es gibt hier kein unnützes Geschwafel, keine Treueschwüre, keine falsche Gangsterromantik und keine sozialen Ergüsse. Nur bitterböse und knüppelharte Gewalt in Form von Blicken, Worten und Fäusten. In dieser Reihenfolge. Und meines Erachtens ist es genau das, was einen Schauspieler ausmacht. Die Fähigkeit, mit einer anderen Person so zu verschmelzen, dass die eigene Persönlichkeit völlig ausgelöscht wird, und die Rolle im letzten Film gleich mit. Neben all dem hirnrissigen Karibik-Schwachsinn und den noch viel idiotischeren Eskapaden im Privatleben ist Johnny Depp auch und gerade geschminkt wie ein Albino und mit stahlblauen Kontaktlinsen eben immer noch einer der herausragendsten Schauspieler unserer Zeit. So man ihm die Möglichkeit dazu gibt.
BLACK MASS ist beeindruckend. Hochgradig beeindruckend. Ein böses und schwarzfunkelndes Juwel im weichgewaschenen und zerredeten US-Gangsterfilm der letzten 20 Jahre, der fast nur ein wenig darunter leidet, dass er nicht aus Großbritannien kommt, wo er nochmal ein paar Ecken geerdeter geworden wäre. Aber das sind persönliche Vorlieben, die nichts an der Qualität des Films ändern.