„Angriff abgewehrt"
Der US-amerikanische Gangsterfilm hat mit Francis Ford Coppolas „Pate"-Duo (Teil 3 fällt dann doch etwas ab), Martin Scorseses De Niro-Duo „Good Fellas" und „Casino" sowie Brian de Palmas Pacino-Duo „Scarface" und „Carlito´s way" (nicht zu vergessen „The Untouchables") die Genremesslatte in solch schwindelerregende Höhen gelegt, dass jeder weitere Angriff auf diese Bestmarken als hoffnungsloses Unterfangen erscheinen muss. Mit Scott Cooper hat sich dennoch mal wieder ein Wagemutiger gefunden, sich ein Herz gefasst und ist die Herkulesaufgabe mit einer beeindruckenden Helferriege angegangen. Johnny Depp, Benedict Cumberbatch („Sherlock"), Joel Edgerton, Peter Sarsgaard und Kevin Bacon gehören zu der Sorte von Darstellern, die man für gewöhnlich mit Qualitätskino verbindet. Auch das gewählte Sujet genügt fraglos höheren Ansprüchen.
Der irischstämmige James „Whitey" Bulger ist einer der berüchtigsten Gangster der in dieser Hinsicht durchaus dicht bevölkerten US-Geschichte, ein Mann, der die Kollaboration mit dem FBI so geschickt nutzte, dass er sich binnen weniger Jahre in South Boston zuerst der lästigen Italo-Konkurrenz entledigen konnte um dann selbst zum gefürchteten Unterweltfürsten aufzusteigen. Für die einen ein eiskalter und unberechenbarer Psychopath, für die anderen ein geachteter und geschätzter Bundesgenosse. Als sein Netzwerk schließlich mit Kronzeugen aus den eigenen Reihen zerschlagen wurde, tauchte Bulger urplötzlich unter und narrte die Behörden 15 weitere Jahre als Nr. 1 der Fahndungsliste.
Eine Hauptfigur und ein Werdegang also, wie gemalt für das ganz große Gangsterdrama. Dass die so formidabel gerüsteten Herausforderer dann doch wieder recht deutlich an der anvisierten Wachablösung gescheitert sind, ist nicht nur angesichts der aufgewandten Mittel schade, sondern insbesondere auch für den geneigten Gangsterfreund bedauerlich, wartet er doch schon viel zu lange auf neue Glanzpunkte.
Jetzt ist es nicht so, dass Cooper einen schlechten Film gedreht hätte, oder sein Ensemble lustlos agieren würde. Das zentrale Problem liegt in dem permanenten Déjà-vu-Gefühl, das sich einfach nicht verflüchtigen will. Jede Station auf dem Weg Bulgers zum Gangsterboss hat man so oder ähnlich schon dutzendfach gesehen. Sei es die Rekrutierung der engsten Vertrauten, das Setzen brutaler Duftmarken gegenüber der Konkurrenz, die Infiltration der Gesetzeshüter, oder ein geschicktes wirtschaftliches sowie politisches Taktieren und Paktieren, alles schon da gewesen und in den oben erwähnten Filmen virtuos inszeniert.
Cooper wirkt hier mehr wie ein übereifriger Nacherzähler, als wie ein originärer Geschichtenerzähler. Die episodisch angelegte Struktur verstärkt dann nur noch den empfundenen Checklistencharakter. In diesem Zusammenhang ist der Einfall einer Rahmenhandlung rund um die Befragung wichtiger Belastungszeugen natürlich wenig hilfreich.
Eine dramatische Verdichtung, geschweige denn ein sogartiger Spannungsbogen kann so nicht gelingen. Das liegt aber auch an den auftretenden Figuren. Wie ihre Handlungen bleiben sie auch als Personen mehr sattsam bekannte Schlaglichter, die letztlich redundant und oberflächlich bleiben. Bei den schauspielerischen Fähigkeiten der Protagonisten fast schon frevelhaft. So bleibt Kevin Bacon nur der austauschbare Part als mürrischer FBI-Bürokrat Charles McGuire, Benedict Cumberbatch (William Bulger) darf als hochrangiger Politiker und Bruder Bulgers, die sich aus dieser Kombination fast schon aufdrängenden Abgründe bestenfalls andeuten und Joel Edgerton (John Connolly) gleitet so stromlinienförmig in die Verstrickung aus Loyalität, Pflichtgefühl und Faszination für die Annehmlichkeiten des Verbrechens, dass man seinen finalen Absturz achselzuckend zur Kenntnis nimmt.
Bleibt nur noch Bulger selbst und hier gelingt Johnny Depp zumindest ein Ausrufezeichen innerhalb des so umfangreichen wie namhaften Casts. Zwar wird auch seine Figur vom seltsam oberflächlich bleibenden Drehbuch nicht gerade begünstigt, aber Depp holt das Maximum aus den limitierten Möglichkeiten heraus. Mit einer beeindruckend authentisch wirkenden Maske, blauen Kontaktlinsen und eines intensiven Studiums von Gestik und Mimik des echten Bulgers schafft er einen in aller seiner Brutalität, Zielstrebigkeit und Cleverness ungemein lebensecht wirkenden Charakter. Zwar lernt man auch ihn nicht tiefergehend kennen, zumal er Gefühle kaum zeigt und ebenfalls in das Episodenkorsett gezwängt wird, aber definitiv ist er einer der furchterregendsten Gangster der Filmgeschichte, dem auch die Leinwandversionen von Don Corleone, Sam Rothstein oder Al Capone ihren Respekt zollen würden.
Für ein neues Gangsterepos aus der „Pate"-Liga reicht das aber natürlich nicht. Zumindest gelingt Regisseur Cooper ein atmosphärisch stimmiges Bild der 1970er und 1980er Jahre, die in „Black Mass" nie kulissenhaft oder ausstaffiert wirken. Die über allem schwebende Oberflächlichkeit und Redundanz kann er damit aber nicht übertünchen, geschweige denn wett machen. So bleibt nur ein überragender Johnny Depp in einem soliden Gangsterfilm, der sein Potential an schillerndem Personal und einer interessanten Historie zu wenig ausschöpft. Coppola, Scorsese und De Palma können sich vorerst wieder entspannt zurück lehnen, ihr Gangsterkino-Renommee wie ihre dort erfochtene Spitzenposition bleiben unangetastet.