London 1912: Seit frühester Kindheit arbeitet Maud Watts (Carey Mulligan) unter lebensgefährlichen Bedingungen in einer industriellen Großwäscherei. Von ihrer Kollegin Violet (Anne-Marie Duff) erfährt sie von den Suffragetten, einer von Emmeline Pankhurst (Meryl Streep) angeführten Frauenbewegung, die sich für die Gleichberechtigung und das Wahlrecht von Frauen einsetzt…
Wer heute abfällig auf andere Kulturen herabblickt, bei denen keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau herrscht, sollte sich vor Augen führen, dass es noch vor rund 100 Jahren in Europa nicht viel besser aussah. Das allgemeine Wahlrecht erhielten Frauen in Deutschland erst im Jahr 1918. In Großbritannien sollte es sogar 10 Jahre länger dauern, bis der Jahrzehnte lange Kampf der Suffragetten um das Wahlrecht von Erfolg gekrönt war. Von einer echten Gleichberechtigung beider Geschlechter war in beiden Ländern seinerzeit aber noch keine Rede.
Während die britischen Frauenrechtlerinnen vorwiegend aus dem Bürgertum kamen, wählt Regisseurin Sarah Gavron („Brick Lane“ 2007) eine einfache Wäscherin als Hauptperson ihres Historiendramas und zeigt an ihrem Beispiel das ganze Elend der Unterschicht im England des frühen 20. Jahrhunderts. Maud wird als Tochter eines unbekannten Vaters schon in der Wäscherei geboren, liegt als Baby unter dem heißen Wäschetrog, die Mutter stirbt als sie vier ist, mit sieben arbeitet sie bereits stundenweise, mit 10 Jahren vollbeschäftigt. Schon früh wird sie vom fiesen und schmierigen Besitzer der Wäscherei vergewaltigt, später trennt sich ihr Ehemann von ihr, nachdem sie zum 2. Mal von der Polizei verhaftet wird, und gibt den gemeinsamen Sohn an ein unbekanntes Paar zur Adoption frei, Im Gefängnis versucht Maud verzweifelt einen Hungerstreik und wird zwangsernährt. Ganz schön viel für eine einzelne, bedauernswerte Person und in der Gesamtheit doch etwas plakativ. So rücken Mauds Schicksal und ihre Wandlung von der angepassten Arbeiterin und Mutter zur Frauenrechtlerin in den Vordergrund, während der politische Kampf nur am Rande gestreift wird. Trotzdem ist „Suffragette“ ein relevanter Film zum Thema, was neben der hervorragenden Ausstattung auch an den überzeugenden Darstellern liegt, allen voran Carey Mulligan („Der Große Gatsby“ 2013, „Am Grünen Rand der Welt“ 2015), die in Hollywood selbst als Feministin gilt, wie auch die große Meryl Streep („Manhattan“ 1979, „Im August in Osage County“ 2013), die hier nur einen kleinen Auftritt von 5 min. hat. Helena Bonham Carter („Wiedersehen in Howards End“ 1992, „The King’s Speech“ 2010) spielt gewohnt intensiv eine Apothekerin, die sich auch auf Sprengstoff versteht und einen ganz starken Eindruck hinterlässt auch Anne-Marie Duff („Die Unbarmherzigen Schwestern“ 2002, „Ich.Darf.Nicht.Schlafen“ 2014) als begeisterte Kämpferin mit katastrophalem familiären Hintergrund. (7,5/10)