Karren und Knarren
„Was für ein schöner Tag!“
Für „Mad Max“-Fans erfüllte sich im Mai 2015 eine Hoffnung, an die viele schon lange Zeit nicht mehr zu glauben gewagt hatten: Der lange angekündigte und immer wieder verzögerte vierte Teil der Endzeit-Action-Reihe George Millers, die zuletzt 1985 fortgesetzt worden war, kam tatsächlich in die Kinos. Das Budget hatte sich gegenüber „Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel“ mehr als verzehnfacht: Rund 150.000.000 US-Dollar standen Regisseur und Autor Miller für seinen in australisch-US-amerikanischer Koproduktion realisierten Film zur Verfügung. Anstelle Mel Gibsons schlüpfte nun Tom Hardy („Inception“) in die Rolle des ehemaligen Polizisten Max Rockatansky.
„In Glanz und Chrom!“
Max schlägt sich einmal mehr einsam durch die postapokalyptische Ödnis Australiens in der Mitte des 21. Jahrhunderts, als er von den Schergen des Imperators Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne – der Toecutter aus dem ersten „Mad Max“) entführt und als lebende Blutkonserve für den „Warboy“ Nux (Nicholas Hoult, „Streets of London – Kidulthood“) eingesetzt wird. Immortan Joe steht in der Tradition von Kriegsherrn wie Lord Humungus und herrscht über seine gleichgeschaltete, antiindividualistische Armee glatzköpfiger Warboys, die sich ihm zu bedingungslosem Gehorsam verpflichtet haben und sich mit ins Gesicht gesprühter Silberfarbe vom Tod im Kampf den Einzug nach Walhalla versprechen. Ferner hält er sich einen Harem an „Gebärmaschinen“, hat jedoch die Rechnung ohne seine Komplizin Furiosa (Charlize Theron, „Monster“) gemacht, die sich eines Tages von ihm emanzipiert und mit fünf seiner Frauen in ihrem Truck flieht. Immortan Joe nimmt unversehens die Verfolgung mitsamt seiner Warboys auf, was für Max bedeutet, dass er sich als menschliche Gallionsfigur an Nux‘ Vehikel geschnallt wiederfindet. Doch während der Kampfhandlungen kann er sich befreien und bildet nach anfänglichem Misstrauen eine Allianz mit Furiosa, weiterhin unerbittlich von Immortan Joe und dessen Truppen verfolgt…
„Hoffnung ist ein Fehler!“
Diesmal hauptsächlich in Namibia gedreht, knüpft „Mad Max: Fury Road“ konzeptionell glücklicherweise an „Mad Max II – Der Vollstrecker“ und nicht etwa an den misslungenen, auf familientauglichen Mainstream getrimmten dritten Teil an. Zu Beginn stellt sich Max aus dem Off heraus als von schmerzhaften Erinnerungen und seinen Traumata nach den Ölkriegen geplagter Einzelkämpfer vor, was jedoch als Hintergrundinformation auch in diesem Teil der an Hintergrundinformationen armen Filmreihe genügen muss. Er verspeist eine lebendige Eidechse und sucht einen kombinierten Tattoo- und Friseurtermin auf. Dort kommt es zum Eklat, als er ein Gratis-Branding obendrein dankend ablehnt. Zeit verschwendet Miller keine und schubst Max sowie sein Publikum schon sehr bald in eine postapokalyptische Freakshow aus Mutanten und Artverwandten, angefangen bei ihrem eigentlich schon mehr tot als lebendig aussehendem, künstlich beatmeten Anführer Joe über den obligatorischen Kleinwüchsigen bis hin zum eine doppelläufige, flammenwerfende E-Gitarren/-Bass-Kombination spielenden Entstellten (Iota, „Der große Gatsby“), der Joes Feldzüge vor einer riesigen Lautsprecherwand auf dessen imposanten Panzer musikalisch begleitet. Aus all diesen Gestalten in abgefahrener Maskerade könnte man prima eine Actionfigurenreihe machen. Die attraktiven, leichtbeschürzten Damen, die Furiosa und Max zu retten gedenken, wirken da inmitten dieser Ansammlung Irrer wie eine Fata Morgana. Furiosa fehlt zwar ein Arm, ist mit ihrer schnieken Kurzhaarfrisur aber ein echter Hingucker. Damit bedient man allerdings auch das Stereotyp der hässlichen Bösen und der hübschen Guten. Eine gewissermaßen neutrale Position nehmen dabei die Warboys ein, die im Prinzip keines von beiden sind, als manipulierte, fremdgesteuerte Soldaten sozusagen von der Hässlichkeit verschont blieben. Mit Nux freundet man sich schließlich auch an und er gewinnt auch fürs Publikum an Individualität.
Kernstück des Films ist die rasch beginnende, ausufernde Verfolgungsjagd, die fast die gesamte Handlung einnimmt. In Anlehnung an „Mad Max II – Der Vollstrecker“ floss viel Detailarbeit in die bizarre Gestaltung der Vehikel, von stacheligen Igelmobilen über aufgemotzte Streitwägen bis hin zu panzerartiger Artillerie mit Flammenwerfern. Damit wird auch klar, wo die letzten Treibstoffvorräte hin sind… Dieser Fuhrpark wird zur Plattform für eine Mischung aus Jump & Run und Beat/Shoot ‘em Up, irrwitzige Action und Stunts reichen temporeichen Kettenreaktionen die Hand, penibel durchchoreographiert und stets dem Wahnsinn nahe. Mehr noch als die vorausgegangenen Teile atmet die Ausstattung den Steampunk-Geist, der jedoch bisher selten für ein solch PS-starkes Gemetzel herhalten musste. Wirklich blutige Szenen werden jeweils lediglich in fast schon schamerfüllter Kürze angerissen, Miller & Co. wollten sich offenbar deutlich von Action-Splatter-Symbiosen à la „John Rambo“ abgrenzen.
Seine gelbbläuliche Farbgebung und Ausleuchtung wird ikonographisch, weist einen hohen Wiedererkennungseffekt auf. Für nur spärlichen CGI-Einsatz wurde „Mad Max: Fury Road“ gelobt, obwohl dann doch verstärkt auf zeitgenössische Computertechnik zurückgegriffen wurde, wie sie heutzutage offenbar kaum noch wegzudenken ist: Neben einigen Explosionen und Animationen betrifft dies vor allem die Landschaft, die zu größeren Anteilen am Computer modelliert wurde. Nun springt dieser Umstand einen zwar nicht förmlich an, lässt den Film aber im Vergleich zu echten Sandwüstenabenteuern wie alten Italo-Western oder eben der ursprünglichen „Mad Max“-Trilogie in dieser Hinsicht an Realismus einbüßen, auch wenn sich das möglicherweise lediglich unterbewusst bemerkbar macht. Hier spielt auch die Wahl des neuen Hauptdarstellers eine gewisse Rolle: So passabel Tom Hardy auch in Gibsons Fußstapfen tritt, so kann er doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Jugendlichkeit einen Bruch mit der Kontinuität der Reihe darstellt – will sagen: Eigentlich hätte er älter sein müssen. Dies wiederum fällt zumindest im Zuge der Erstsichtung kaum auf, da mit keiner Silbe darauf eingegangen wird, was zwischen den Ereignissen aus dem dritten Teil, vor allem aus Städten wie Bartertown oder Sydney, geworden ist – was übrigens auch ein bisschen schade ist. Auch was Max zwischenzeitlich getrieben, welche Entwicklungen er vollzogen hat, ist in keiner Weise Thema dieses Films.
Um ehrlich zu sein: Damit wäre „Mad Max: Fury Road“ auch Gefahr gelaufen, sein eigenes Konzept zu untergraben oder zumindest zu verwässern. Das Ding wirkt auf mich wieder der lange erfüllte Jugendtraum eines 70 Jahre alt gewordenen Regisseurs, der ein Budget in einer Höhe zur Verfügung gestellt bekommen hat, den ultimativen Endzeit-Action-Road-Movie zu verwirklichen, die Messlatte, die er selbst mit „Mad Max II“ gelegt hat, zu überspringen, es schneller, größer und lauter krachen zu lassen, alles an visuellen Ideen und Action einfließen zu lassen, was ihm im Laufe der Zeit zugefallen ist, wenn die postapokalyptische Muse ihn geküsst hat, ohne jeden Anflug von Altersmilde oder „Reife“ – „Mad Max: Fury Road“ ist im positiven Sinne „jung“, erinnert an die überbordende Fantasie von Kindern, die in der Sandkiste wüste Karambolagen mit ihren Spielzeugautos und Actionfiguren veranstalten. Und anstatt sich dem Multiplex-Publikum anzubiedern, gelingt es Miller und seinem Team tatsächlich, es nicht nur zu überraschen, sondern es auch kräftig durchzunehmen und letztlich vollends befriedigt zurückzulassen. Sicherlich auch inspiriert von zahlreichen modernen Filmen ist der jüngste „Mad Max“-Spross endlich einmal wieder ein Big-Budget-Straßenfeger mit hoher Oktanzahl, der so richtig rockt! Seine 3D-Effekte dürften im Lichtspielhaus das Vergnügen noch einmal gesteigert und die Scheiße so richtig zum Kochen gebracht haben. Sicherlich so etwas wie ein moderner Klassiker, der auch in Jahrzehnten als zeitlos gelten dürfte. Die lediglich marginale Handlung bin ich da zu verzeihen bereit – wer tieferschürfende, nachdenkliche Dystopien sucht, musste schon immer kurz vor Millers nach Reifen, Öl, Benzin und Feuer müffelnder Schrauberwerkstatt schräg abbiegen.