Der Testlauf für „Jurassic Park“: Ehe Michael Crichton in seinem Roman (und Steven Spielberg in dessen Verfilmung) amoklaufende Dinos auf Parkbesucher losließ verhandelte er bereits als Drehbuchautor und Regisseur ein ähnliches Thema in „Westworld“.
In der nahen Zukunft bildet das Freizeitparkressort Delos den Anlaufpunkt für gut betuchte Urlauber, wie ein Werbefilm als geschickte Exposition bemerkt: Dort gibt es drei Reiche, die dem römischen Reich, dem Mittelalter und dem Wilden Westen nachempfunden sind. Für 1.000 Dollar am Tag können Gäste das dortige Dasein nacherleben, wobei Alltägliches nicht im Vordergrund steht, sondern (ähnlich wie im Western oder Historienfilm) schauwertlastige Ausnahmesituationen: Gäste schwärmen in PR-Interviews von sexuellen Eroberungen und ermordeten Gegnern, wobei Roboter hier für das Ausleben dieser Triebe herhalten müssen.
Die Freunde Peter Martin (Richard Benjamin) und John Blane (James Brolin) haben sich für einen Ausflug nach Westworld entschieden. Für Peter ist es das erste Mal, John war bereits dort. In die anderen Reiche verschlägt es ein Ehepaar, das getrennte Wege geht: Er dampft ins Mittelalter ab, sie nach Rom. Dabei ist schnell klar, dass der Fokus auf Westworld, Peter und John liegen wird; der Mittelalter-Mann ist in einigen Einschüben zu sehen, die Rom-Abenteuer seiner Frau blendet der Film mehr oder weniger komplett aus.
Nach und nach gewöhnt sich Peter an den Urlaub in Westworld, kann er doch schnell den in schwarz gekleideten, Stunk machenden Cowboy (Yul Brynner) über den Haufen ballern und sich als toller Hecht fühlen. Dummerweise häufen sich die technischen Fehler, die vorerst nur von der Zentrale bemerkt werden, doch bald laufen die Roboter Amok…
Schon bei der Verschleierung der Fehler setzt „Westworld“ auf Muster, die in Katastrophen- und Horrorfilmen, am prominentesten in „Der weiße Hai“, später wichtig wurden: Kommerzielle Interessen gehen vor Vorsichtsmaßnahmen, weshalb man die Ausfälle lieber diskret untersucht und kleine Korrekturen vornimmt anstatt die Gäste zu warnen oder gar den Park zu evakuieren. Sanfte Kritik an der Vergnügungssucht und der Befriedigung niederer Triebe gibt es auch: Peter meckert über die hohen Kosten für ein primitives Western-Dasein, ist aber zunehmend begeistert, als er merkt, dass es eben nicht um eine authentische (historische) Wild-West-Erfahrung geht, sondern um eine Westerngeschichte mit sich selbst in der Hauptrolle. Also gibt es Banküberfälle, Saloon-Schlägereien, Duelle und natürlich auch Bordellbesuche in rascher Folge, damit der Gast auch ja nicht gelangweilt ist. Andeutungsweise sieht es in den anderen Welten kaum anders aus: Der Mittelalter-Touri sitzt bei rauschenden Banketten, bereitet sich auf das Duell mit dem schwarzen Ritter vor und gräbt das Burgfräulein an – der Seitensprung (mit Robomätresse) ist im Urlaubspreis quasi miteinbegriffen, doch die Gattin scheint ja ähnliches vorzuhaben (der Film bebildert es nur nicht).
Doch diese satirischen Spitzen sollte man nicht überbewerten, denn in erster Linie arbeitet „Westworld“ dann doch auf die Katastrophe hin, auf die der Zuschauer insgeheim seit Filmbeginn wartet und die sich mit den zunehmenden Fehlfunktionen der Roboter abzeichnet. Die Techniker sind dabei Befehlsausführer und hilfslose Rädchen im Getriebe, die später entweder in der hermetisch versiegelten Zentrale ersticken oder von den Robos abgeknallt werden, die Delos-Bosse tauchen in der zweiten Hälfte kaum noch auf. Auch die moralischen Fragen, ob es okay ist künstliche Menschen umzunieten oder für sexuelle Gefälligkeiten zu nutzen, nur weil sie kein eigenes Bewusstsein haben, und ob dunkle Triebe wirklich ausgelebt werden müssen, spielen eine zunehmend geringe Rolle. Tatsächlich behält der Film auch sein kritisches Auge nur bedingt: Einerseits mag die Exposition so sehen, dass Peter immer mehr verführt wird, andrerseits scheinen er und John ja einige launige Zeit zu verbringen. Good clean fun quasi, wie eben das Anschauen eines alten Westerns oder das kindliche Nachspielen eines solchen Films.
Wenn aus dem Spiel Ernst wird, dann mixen sich Horror-, Action- und Katastrophenelemente in den Sci-Fi-Western, wobei die große Katastrophe in erster Linie in kleinen Inserts abgehandelt wird, der Film sich aber in erster Linie auf die Abenteuer eines der beiden Protagonisten fokussiert, der aus dem inzwischen mörderischen Park entkommt. Dessen Bedrohungen werden in erster Linie auf den wiederkehrenden Gunslinger verdichtet, sodass „Westworld“ dann nicht das große Spektakel bietet, sondern eine Verfolgungsjagd zwischen dem Helden und seinen scheinbar unaufhaltsamen wie unkaputtbaren Widersacher, aber dafür eine recht spannende. In Sachen Schauwerte gibt es den Film über auch was zu sehen und bei den Shoot-Outs suppt es aus den Wunden ähnlich wie beim Spätwestern jener Ära, sodass auch für Oberflächenunterhaltung gesorgt ist, auch wenn Michael Crichton dann doch eher ein guter Handwerker ist und kein Bildermagier wie Steven Spielberg, der den ähnlich gelagerten „Jurassic Park“ mit mehr Verve und mehr Stil in Szene setzte.
In der Rolle des mechanischen Schurken muss Yul Brynner seine Mimik nicht groß anstrengen, besitzt allerdings Ausstrahlung und gibt dabei die Negativseite seiner ikonischen Rolle aus „Die glorreichen Sieben“ – der Held ist zum Schurken geworden, der menschliche Cowboy mit Köpfchen zum erst von Befehlsroutinen, später einem Systemfehler gesteuerten Roboter. Der Rest der Belegschaft betätigt sich dann in erster Linie als Stichwortgeber, mit Ausnahme von Richard Benjamin und James Brolin, die als exemplarische Parkbesucher gute Identifikationsfiguren abgeben. Sicher, auch sie sind nicht so ikonisch wie Brynner, was zeigt, dass hier Prämisse und Schauwerte vor einprägsamen Schauspielleistungen stehen, machen aber einen guten Job.
„Westworld“ ist ein (dezent) fortschrittskritischer Film, der sich mit dem Ausleben niederer Instinkte in fiktiven Umgebungen beschäftigt, vor allem aber ist er doch ein Genrewerk über die Katastrophe der amoklaufenden Roboter, das in der zweiten Hälfte das entsprechende Maß an Thrills und Schauwerten bietet. Kurz und kurzweilig, wenn auch eher handwerklich solide als visionär inszeniert – den Testlauf für „Jurassic Park“ absolvierte Michael Crichton erfolgreich.