Review

"Westworld" ist einer der zahlreichen kleinen Sci-Fi-Klassiker, die in den frühen 70er Jahren zuhauf entstanden sind. Obwohl er sich über weite Strecken an Bilder und Strukturen des Western hält, verarbeitet er nicht zuletzt auch drei zentrale Themen der Science Fiction: die Ununterscheidbarkeit von Menschen und Androiden, die Bedrohung des Menschen durch seine Maschinen, die Dystopie einer Gesellschaft, in der Lust und Kommerz über die Moral triumphieren.
Die Ununterscheidbarkeit von Mensch und Maschine wurde zwar bereits in dem großen Sci-Fi-Klassiker der 20er Jahre ("Metropolis" (1927)) eingesetzt und zog sich auch durch ein paar (eher naive) Sci-Fi-Streifen der 60er Jahre, bietet hier jedoch - kurze Zeit nach dem Erscheinen von Dicks "Do Androids Dream of Electric Sheep?" (1968), Bradburys "I Sing the Body Electric!" (1969) oder Levins "The Stepford Wifes" (1972) - bereits einen recht großen Rahmen für moralische und erkenntnistheoretische Fragen, die erst mit "Blade Runner" (1982) vollkommen ausgeprägt im Sci-Fi-Film verankert worden sind.[1] Im Hinblick auf das Motiv des Androiden nimmt "Westworld" durchaus eine bedeutsame Stellung in der Filmgeschichte ein - noch in Spielbergs "A.I." (2001) werden Ideen aus Crichtons Androiden-Reißer nachhallen.
Im Hinblick auf die Bedrohung des Menschen durch die Maschine schlägt „Westworld" eine Brücke zwischen Klassikern wie "Alphaville, une étrange aventure de Lemmy Caution" (1965), "2001: A Space Odyssey" oder "Colossus: The Forbin Project" (1971), in denen logisch kalkulierende Computer sich die menschlichen Wesen unterordnen, und Klassikern wie "Blade Runner" oder "The Terminator" (1984), in denen die Maschinen als menschenähnliche Wesen ihren Willen durchsetzen wollen. Besonders Camerons Schwarzenegger-Kultfilm scheint mit seinem schier unzerstörbaren Terminator vieles dem Yul-Brynner-Androiden aus "Westworld" zu verdanken.
Mit seiner Vision einer auf Kommerz und Lusterfüllung ausgerichteten Gesellschaft, deren unmoralisches Treiben (beinahe) ihren Untergang besiegelt, nimmt Crichton zudem nicht bloß seinen (und Spielbergs) deutlich reaktionäreren "Jurassic Park" (1993) vorweg, sondern (zusammen mit Fassbinders "Welt am Draht" (1973)) gleich die gesamte Sparte jener Genrefilme, in denen futuristische Freizeitbeschäftigungen zur Katastrophe oder zum Identitätsverlust führen: etwa "eXistenZ" (1999), "A.I." oder "Minority Report" (2002). (Und selbst zum torture porn à la "Hostel" (2006) kann man über die Route des pervertierten Vergnügungsbetriebs aus "Westworld" gelangen.[2]) Da verwundert es dann auch nicht, dass das Römische Reich (Pompeji vor seinem Untergang!) zu einem der vier Milieus des Films gehört, um Dekadenz und Untergang zu veranschaulichen und mit den Maschinen auch gleich die Sklaven (und Gladiatoren?) beim Aufstand zu präsentieren.

"Westworld" handelt [Achtung: Spoiler!] vom Freizeitpark-Knüller Delos, der - mitten in der Wüste gelegenen - heiligen Vergnügungsinsel einer vergnügungssüchtigen Konsumgesellschaft, die sich von der Gesellschaft der damaligen Gegenwart im Grunde durch nichts unterscheidet: Dort können sich die Gäste in Imitationen des Römischen Reiches, des Mittelalters oder des Wilden Westens aufhalten; und so wie auf der Insel Delos in der Antike der Sklavenhandel vortrefflich blühte, gehören im modernen Delos täuschend echte Androiden zur Ausstattung, die nach Lust und Laune von den Gästen malträtiert oder als Sexpartner benutzt werden können. Die Freunde John und Peter verbringen in Delos - bzw. im Westworld-Sektor - ihren Urlaub und erfüllen sich für einen vierstelligen Tagespreis jene Phantasien, die nicht zuletzt das Kino und der Westernfilm in ihrer Kindheits- und Jugendzeit entstehen ließen: einmal die Sau rauslassen, einmal Revolverheld und Frauenschwarm sein.
Deshalb ist "Westworld" auch trotz der High Society-Protagonisten kein Film, der die perversen Gelüste der Reichen satirisch an den Pranger stellen würde. "Westworld" ist dagegen ein Film über die ganz gewöhnlichen Träume des ganz gewöhnlichen Durchschnittszuschauers[3] eines ganz gewöhnlichen Hollywoodfilms; dementsprechend erinnern der Wilde Westen, das Mittelalter und das Römische Reich auch frappierend an all die Western-, Ritter- & Sandalenfilme des klassischen Hollywoodfilms. Bisweilen - und das ist vielleicht die große Schwäche dieser kleinen Genreperle - ist "Westworld" so sehr an einem naiven Genreabenteuer orientiert, dass er vom Publikum als einfacher, spannungsgeladener Reißer goutiert worden ist: "Westworld" lässt sich ziemlich bereitwillig so oder verstehen - als spannender Genrefilm oder als satirischer Metafilm über Genreklischees und den Reiz des Kinos.
John und Peter liefern sich Schießereien mit einem künstlichen Revolvermann und haben in jeder Hinsicht Erfolg bei den künstlichen Frauen. Und auch der eine oder andere Pantoffelheld (dicklich und bereits gealtert, kurz: die typische Zielscheibe für den Hohn des Mainstreampublikums!) wächst über sich hinaus und kämpft mit Androiden um die Zuneigung einer hübschen Frau. Im Grunde geht es in ganz Delos darum, als Mann seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen um sich vor den Augen der passiven Frau (ob echt oder künstlich) als Alphamännchen zu profilieren. (Oder darum, sich als Frau nach dem Urlaub an die ganzen Männer zu erinnern.) Doch dann gerät alles aus der Kontrolle: In der Schaltzentrale beobachten ratlose Wissenschaftler seit Wochen eine ansteigende Fehlerrate und stellen Mutmaßungen über eine Art von Krankheit an, welche sich unter den Maschinen ausbreite. Dann beißt schließlich eine künstliche Schlange einem Gast in den Arm - obwohl alle Maschinen darauf programmiert sind, Menschen nicht zu verletzen. Und schließlich morden die Androiden die Menschen, während sich die Wissenschaftler - in ihrer Zentrale eingesperrt - dem Erstickungstod ausgeliefert sehen. Auch für John endet das vermeintliche Vergnügen tödlich: der grimmige Kunstmensch-Revolverheld schießt ihn über den Haufen und hetzt fortan Peter, den letzten Überlebenden, durch den Wilden Westen und das Römische Reich, um sich im Mittelalter durch eine List überrumpeln zu lassen.
Den Film als einen Film über den tödlichen Amoklauf einer Maschine zu sehen, würde bedeuten, ihn zu verfehlen. Man würde ihn aber auch verfehlen, wenn man ihn - wie "A.I." mit seinen Flesh Fairs, denen sich ein Roboterjunge mit Gefühlen ausgesetzt sieht - als Film über Androiden, die unter sadistischen Menschen leiden, verstehen würde; denn die Androiden werden hier nicht eindeutig als empfindsame Wesen mit Emotionen und Bewusstsein inszeniert: es geht schließlich bloß um einen technischen Defekt, der den unheimlichen (aber nie bestätigten) Anschein einer Rebellion der Technik erweckt - und um Androiden, die manchmal überzeugend menschlich, manchmal aber wieder beunruhigend roboterhaft erscheinen (allen voran Yul Brynner als Stereotyp des Bösewichts).[4] Und "Westworld" als Film zu sehen, in dem - wie in "Jaws" (1975) - gewissenlose Karrieremenschen die Gesundheit anderer Leute riskieren, indem sie alle Vorzeichen einer drohenden Katastrophe ignorieren, trifft ebenfalls nur einen Teil des Ganzen. "Westworld" behandelt eine Schuld, die sich nicht in Taten, sondern Bedürfnissen äußert; in Bedürfnissen, die auch ein Kinopublikum teilt, weshalb die einzelnen Milieus von Delos an die Kulissen älterer Hollywood-Schinken erinnern. John und Peter verlangen danach, die perfekte Imitation eines Menschen niederzuschießen: dass diese Imitation dafür einen Grund liefert, bleibt zweitrangig - der ursprüngliche Grund liegt im Bedürfnis des Kunden, wenigstens einmal einen legitimierten, vermeintlich gerechten Gewaltakt auszuüben... und hier kann sich dann auch das Kinopublikum, welches sich mit den Filmhelden, die den Schurken ermorden und quasi als Belohnung die schöne Frau bekommen, identifiziert, mal an die eigene Nase fassen. Bei einem Verlangen ohne entsprechende Tat handelt es sich gewiss um keine schwere Schuld: Über die Frage, inwiefern Filme und Spiele, welche den Vollzug solcher Taten imitieren, die Hemmschwelle der tatsächlichen Tat mindern, herrscht nach wie vor Uneinigkeit (auch wenn zumindest kaum noch jemand ernsthaft die Nachahmungsthese vertritt). "Westworld" spitzt die moralische Reflexion des Verlangens und der Imitation der Tat zu, indem er immer wieder Unklarheit unter den Protagonisten herrschen lässt, ob ihre 'Opfer' tatsächlich Maschinen oder womöglich doch Menschen sind: der erste Interviewpartner im Werbespot zu Beginn verkündet strahlend, dass er sechs Menschen erschossen habe, korrigiert sich dann dahingehend, dass es sich bloß um Roboter gehandelt habe - und sucht dann etwas unsicher eine Bestätigung durch den Interviewer. Und wenn John sein erstes Duell hinter sich gebracht hat, ist er ratlos, als der erfahrenere Peter - der zuvor bereits einen Urlaub in Delos verbracht hat - scherzt, womöglich habe er einen Menschen erschossen. Wenn die Illusion des Mordes perfekt ist, unterscheidet einen - im Hinblick auf das eigene Gewissen - nichts mehr von einem echten Mörder.

Neben dieser Reflexion der Schaulust & der Bedürfnisse des Kinopublikums ist "Westworld" ganz nebenbei auch noch ein Film, der aufzeigt, dass sich zumindest die oberflächlicheren Genrefilme nur an der Oberfläche ihrer Bildmotive unterscheiden, während sie im Grunde einige Gemeinsamkeiten haben: es gibt Helden und Schurken, die Helden besiegen den schwarzen Ritter, den bösen Cowboy, die schier unzerstörbare Killermaschine und sind es damit wert, am Ende die hübsche Frau zu erhalten (als wäre sie eine Art erwerbbares Gut)[5]: die hübsche Frau auf der Sci-Fi-Ebene in "Westworld" ist dann allerdings ein Hilflosigkeit und Schwäche simulierender Roboter im Burgverlies (offenbar waren weibliche Androiden in Delos nicht darauf programmiert, Konflikte heraufzubeschwören), der funkensprühend einen heftigen Defekt erleidet, als Peter ihm Wasser einflößen will - ein letzter ironischer Scherz von Crichton, der nochmals leise andeutet, dass unter der Oberfläche von "Westworld" durchaus etwas mehr steckt.

"Westworld" ist Genrereflexion und Reflexion über Kino & Illusion/Imitation, lässt sich aber zugleich auch als spannender Katastrophenfilm im Sci-Fi-Bereich genießen; das lässt seine Reflexionen zwar etwas verlogen wirken, raubt ihnen aber nicht ihre Gültigkeit. Die einprägsame Leistung Brynners und der innovative Umgang mit dem Kunstmenschen im Sci-Fi-Film haben "Westworld" längst den Status eines kleinen Genreklassikers verliehen: dass es bloß ein eher kleiner Klassiker geworden ist, verdankt sich neben der Unausgewogenheit von Aussage und Spannungsdramaturgie noch der weitestgehend konventionellen Inszenierung und den doch eher spärlichen Schauwerten.
7/10


1.) Klassiker wie "2001: A Space Odyssey" (1968) oder "Solyaris" (1972) haben ähnliche Fragen bereits außerhalb des Androiden-Motivs verhandelt und dürften ebenfalls Einfluss auf "Westworld" ausgeübt haben. Wieder stärker dem Androiden- oder Cyborg-Motiv zugewandt sind "Tobor the Great" (1954) und "Cyborg 2087" (1966), die zwar nicht ganz so intelligent aufgebaut worden sind, unter den Kunstmenschen-Filmen ihrer Zeit aber dennoch den Status kleiner Perlen besitzen.
2.) Crichtons "Coma" (1978) wäre da im Grunde ein Bindeglied: nicht die kommerziell ausgerichtete Befriedigung der Lust auf Kosten von Imitationen des Menschen, sondern die kommerziell ausgerichtete Befriedigung der Gesundheit auf Kosten künstlich ins Koma versetzter Menschen.
3.) Tatsächlich spielt die Durchschnittszuschauerin kaum eine Rolle. Unter den vier Interviewpartnern eines Delos-Werbespots zu Beginn befindet sich dann auch bloß eine Frau, der vom Römischen Reich vor allem die Männer in Erinnerung geblieben sind.
4.) Es gibt einen Einblick in das 'Innenleben' des Yul-Brynner-Androiden, der ihn nochmals verstärkt von einem Menschen abhebt: in einer eindeutigen POV-Einstellung sieht das Publikum durch seine Augen die Umgebung in Form grober Pixel. Ironie am Rande: In diesem Film, der wie seine interessante Fortsetzung "Futureworld" (1976) eine beunruhigende Vision der Ununterscheidbarkeit von Menschen und Maschinen entwirft, bildeten die ersten digitalen Bildbearbeitungen in der Geschichte des Spielfilms noch die Bearbeitung der Abbildung ab. Heutzutage lassen sich zwar noch Menschen und Maschinen unterscheiden - aber die digitale Bildbearbeitung gibt sich längst als Abbildung selbst aus.
5.) Wie zutreffend diese Sichtweise ist, bewies am Ende des Jahrzehnts einer der oberflächlichsten Klassiker des Genres: "Star Wars" (1978) kombinierte unbekümmert Elemente des Sci-Fi-, Fantasy-, Abenteuer-, Kriegs- und Westernfilms mit Anleihen bei Kurosawa zu einer stimmigen Melange aus Zitaten und Genres, die bei allen interessanten Botschaften dennoch eine Geschichte darstellt, die sich vor allem an den einfachsten Strukturen entlanghangelt, an denen sich die verschiedensten Genre-Versatzstücke anbringen ließen.

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