„Dies ist die Zukunft, dies ist das Jahr 1997.“
Das sich „RKSS“ nennende Filmemacher-Trio aus François Simard und den Geschwistern Anouk und Yoann-Karl Whissell stellte nach einigen Kurzfilmen im Jahre 2015 seinen ersten abendfüllenden Spielfilm vor: Die kanadisch-neuseeländische Koproduktion „Turbo Kid“ basiert auf einem Kurzfilm, der ursprünglich für den Buchstaben „T“ der Kurzfilmsammlung „The ABCs of Death“ gedacht war, dort jedoch keine Verwendung fand. Die retrofuturistische Mischung aus Endzeit-Splatter-Actionfilm und -Komödie ist Teil des vom schwedischen Kurzfilm „Kung Fury“ mitinitiierten ‘80er-Genrekino-Rollbacks und geht den entscheidenden Schritt weiter, bei aller Hommage auch eine Geschichte mit zumindest teilweise ernstzunehmenden Inhalten zu erzählen.
„Als wär‘s ein Museum für Coolness!“
In der Postapokalypse des Jahres 1997 ist nahezu die gesamte Menschheit ausgelöscht; nukleare Kriege und Umweltzerstörung haben ein Ödland hinterlassen, in dem fossile Kraftstoffe aufgebraucht sind und Wasser zum kostbarsten Gut geworden ist. Warlord Zeus (Michael Ironside, „Das Horror-Hospital“) und seine Schergen herrschen brutal über die Ödnis und ihre letzten Überlebenden. Ein heranwachsender Waise, genannt „The Kid“ (Munro Chambers, „Godsend“), verschanzt sich in seinem mit reichlich ‘80er-Devonotalien, vornehmlich seines favorisierten Comichelden Turbo Rider, eingerichteten Bunker, wenn er nicht gerade auf seinem BMX-Rad nach Zeug sucht, das er dem Händler Bagu (Romano Orzari, „Krieg der Götter“) andrehen kann. Als er das Mädchen Apple (Laurence Leboeuf, „Ein Wort hätte genügt“) kennenlernt, ist ihm das zunächst gar nicht geheuer. Doch als Apple von Zeus‘ Menschenfängern entführt wird und er den skelettierten echten Turbo Rider inklusive Waffe findet, zieht er dessen Rüstung über, wird zu Turbo Kid und versucht, Apple zu befreien – womit er sich nicht lange zufriedengibt. Bald soll es auch Zeus und dessen Schreckensherrschaft an den Kragen gehen!
„Mein bioelektrischer Transmitter ist beschädigt.“
Ähnlich wie manch in den 1980ern entstandene Dystopie spielt auch „Turbo Kid“ in den 1990ern – ein erstes Indiz für die Konsequenz der populärkulturellen Referenzen dieses Retrofilms. Weitere sind das fette Logo im ‘80er-Stil, The Kids „BMX-Bandits“-Erscheinungsbild, das ähnlich wie das jenes stilprägenden ‘80er-Klassikers gestaltete Intro, die zahlreichen ‘80er-Gegenstände, der poprockige Titelsong und die atmosphärische Hintergrundmusik aus Retrosynth und Synthieteppichen. Die Endzeit-Prämisse erinnert schwer an die „Mad Max“-Reihe und deren Epigonen. Michael Ironside zeigt sich von seiner eisernen Seite und gibt als Zeus einen überaus schurkischen Schurken, die Show stiehlt ihm jedoch sein Handlanger Skeletron (Edwin Wright, „Underworld: Aufstand der Lykaner“), ein krasser Fiesling mit Totenkopfmaske aus Metall und einer Säge anstelle einer Hand. Zum Straßenbild gehören mutierte Nacktratten.
„Augen, Kehle, Genitalien!“
Rückblenden in Form visualisierter Träume The Kids entführen in seine Kindheit und dröseln nach und nach seine Geschichte auf, indem sie die erste Begegnung mit dem Bösen und den Tod seiner Eltern zeigen. Apple wirkt zunächst sehr kindisch, entpuppt sich später als Android, zugleich aber auch als auf originelle Weise ungewöhnliches Love Interest The Kids. Selbstredend sind Chambers und Leboeuf eigentlich viel zu alt für ihre Rollen – auch das war in den ’80ern eher Regel denn Ausnahme. Cowboy Frederic (Aaron Jeffery, „X-Men Origins: Wolverine“) komplettiert das Trio, das sich dem Kampf gegen Zeus verschreibt, der Wasser aus zerhäckselten Menschen gewinnt. Unter dessen Herrschaft liefert man sich Gladiatorenkämpfe, die ebenso wie andere Kampfszenen Anlass für comichaft übertriebene, handgemachte Splatter-Szenen sind. Ein Gartenzwerg, ein Einhorn und ein Sonnenschirm halten dabei als Waffen mehr. Und kurioserweise bewegen sich auch die Bösewichte auf Fahrrädern fort.
„Weißt du was das ist?“ – „Ein Turbomegablaster!“ (Geil!)
Das ist zuweilen alles ganz schön überdreht und nah an der Persiflage, wobei die Rekonstruktion des ‘80er-Endzeit-Genrekinos wiederum sogar so weit geht, sich an dessen Dramaturgie und Erzähltempo zu orientieren, was den Retro-Charme zusätzlich befeuert. Die Wasserthematik indes erinnert an einen multinationalen Konzern wie Nestlé und dessen Pläne der Trinkwasserprivatisierung, stellvertretend verkörpert von Zeus. In dieser Hinsicht ist der Film dann auch nicht mehr witzig und vor derartigen Umtrieben wird uns wohl auch kein Turbo Kid oder sonstiger Superheld retten. Die oben zitierte Dialogzeile „Als wär‘s ein Museum für Coolness!“ passt perfekt zu dieser Produktion, denn im Prinzip ist „Turbo Kid“ genau das. Er lädt dazu ein, ihn mit nostalgischen Gefühlen zu genießen und dabei so zu tun, als lägen die verdammten ‘90er noch in weiter Ferne, erinnert aber auch daran, was manch ‘80er-Genrestreifen über Coolness hinaus zu vermitteln hatte. Zum Beispiel bedeutungsschwangere Sinnsprüche wie diesen: „Ein Mann weiß nie, wie stark er ist, bis stark zu sein die einzige Möglichkeit ist, die er hat!“ Wer also glaubt, Fahrräder und das Attribut turbo passten nicht zusammen, wird hier eines Besseren belehrt…