„I'm so happy 'cause today I’ve found my friends. They're in my head…”
Dokumentationen über Nirvana im Allgemeinen bzw. Kurt Cobain im Speziellen wurden bereits so einige produziert. Der im Jahre 2015 erschienene Dokumentarfilm „Cobain: Montage of Heck“ ist jedoch ein ganz Besonderer, handelt es sich bei ihm doch um den einzigen von Cobains Familie autorisierten; Kurts Tochter Frances Bean trat gar als ausführende Produzentin in Erscheinung. Dokumentarfilmer Brett Morgen („Die Rolling Stones – Ein Rückblick auf 50 Jahre Bandgeschichte“) hatte man bereitwillig das private Archiv geöffnet und ihn sich durch etliche Audio- und Videoaufnahmen, Tagebücher, Skizzen und Zeichnungen arbeiten lassen.
„…I'm so ugly, that′s okay, ′cause so are you. We've broke our mirrors…”
Angereichert mit zeitgenössischen Interviews mit Kurts Ehefrau Courtney, seiner Mutter Wendy, seinem Vater Don, seiner Ex-Freundin Tracy, seiner Stiefmutter Jenny, seiner Schwester Kim und Nirvana-Bassist Krist Novoselic entstand so ein sehr intimes Porträt jenes Mannes, der für seine Band Nirvana schwere ‘70er-Riffs mit Punk und Noise kombinierte (was die Musikpresse schließlich „Grunge“ titulierte), mit dem zweiten Album „Nevermind“ zu ungeahntem Weltruhm gelangte und damit sowohl Gegen- und Sub- als auch die Populärkultur der ‘90er wie kaum ein Zweiter mitprägte, zu einer der Ikonen des sich unverstanden fühlenden Teils der Generation X avancierte und letztlich an psychischem wie physischen Problemen und seiner Drogensucht zerbrach. Am 5. April 1994 nahm Kurt Cobain sich das Leben.
„…Sunday morning is every day for all I care. And I′m not scared…”
„Cobain: Montage of Heck“ deckt den Zeitraum von Cobains Geburt im Jahre 1967 in Aberdeen bis zum seinem viel zu frühen Tod mit nur 27 Jahren in Seattle ab, montiert dafür massenweise zuvor häufig unveröffentlichtes Material aneinander und lässt neben den genannten Interview-Partnerinnen und -Partnern erstaunlich oft Kurt selbst zu Wort kommen. Dieser pflegte sich nämlich nicht nur in seiner Musik und seinen Songtexten auszudrücken, sondern auch in Tagebüchern, Notizen und sogar bildender Kunst. Viele der Materialien ließ Morgen von Stefan Nadelman und Hisko Hulsing animieren, wodurch sie zum Leben erweckt wirken und zum Teil eines Films werden, der mit zunehmender Laufzeit immer mehr Freude daran zu entwickeln scheint, im Stil punkiger Collagentechnik die chaotische Nirvana-Ära wieder lebendig zu machen.
„…Light my candles, in a daze, 'cause I′ve found God...”
Minutenlange Heimvideo-Aufnahmen Courtneys und Kurts aus der Zeit, als sie bereits Eltern geworden waren, liefern darüber hinaus unheimlich private Einblicke in das Zusammenleben der jungen Familie – dafür hätte seinerzeit manch Boulevard-Reporter einen Arm gegeben. Kurts Äußerungen und Verhalten, seine Sicht auf sich und sein Umfeld, auf Musik, Medien und Gesellschaft, mögen teils widersprüchlich erscheinen, aber er war – und das wird hier deutlich – nun einmal ein begnadeter Künstler, aber kein Superheld, und mit einer etwaigen Vorbildfunktion für Millionen von Fans verständlicherweise heillos überfordert.
Dieser Film macht Kurt, seine Kunst, seine Leidenschaft, sein Lieben und sein Leiden vielleicht ein bisschen verständlicher – sicherlich umso mehr, je weniger man darüber vor Sichtung des Films bereits wusste. Und vielleicht hilft er auch, das Trauma seines Suizids auf seinem kreativen Zenit ein weiteres Stück zu überwinden. Auf die ganz große Frage nach dem Warum hat aber auch dieser Film keine abschließende Antwort.
Was mich irritiert: Wo sind Dave Grohl und andere Nirvana-Musiker; warum ist Krist der einzige, der ein aktuelles Interview gab? Insbesondere Aussagen derjenigen, mit denen er Nirvana aus der Taufe hob, Musik machte und auf Tour ging, hätten doch Kurts künstlerisches Profil aus interessanten Perspektiven vermitteln können. Vielleicht sollte es aber schlicht nicht so sehr um Nirvana gehen.
So oder so: Schnitt und Dramaturgie beherrschen Morgen und sein Team, der je nach Schnittfassung 125- bis 145-minütige Film dürfte auch für Nicht-Nirvana-Fans kaum jemals langatmig erscheinen. Er erzählt eine eigentlich bekannte Geschichte mit vielen bisher weniger populären Details, tritt als eine Art neu aufgetauchter Augen- und Ohrenzeuge in Erscheinung und transportiert mit seiner Animations- und Montage-Technik nicht zuletzt Kurts Kunst und viel von seinem Geist in die Gegenwart.
Ich kann „Cobain: Montage of Heck” schlecht bewerten, da ich natürlich nicht das gesamte Material, auf das Morgen Zugriff hatte, kenne und somit nicht weiß, was er wegließ und aus welchen Gründen er dies tat. Eventuellen in Richtung Ausverkauf und Leichenfledderei gehenden Vorwürfen kann ich aber entgegnen, dass sich mir der Film seinen Inhalten, Themen und Personen sehr respektvoll zu begegnen scheint.
Und alles, was Kurt Cobain erschaffen hat, ist sowieso ‘ne glatte 10/10 mit Sternchen.