kurz angerissen*
Die Mythendekonstruktion der literarischen Figur des Sherlock Holmes bebildert Bill Condon ruhig und einfühlsam, weit entfernt von der aktiven Zeit des Meisterdetektivs, die sich umso irrealer anfühlt, je mehr der Realismus eines alten Mannes im Ruhestand betont wird – ganz gleich, ob man bislang Basil Rathbone, Peter Cushing, Robert Downey Jr. oder Benedict Cumberbatch vor dem inneren Auge hatte. Ian McKellen sorgt mit nuancierter Bedrücktheit und scharfem Zynismus dafür, dass von der ursprünglichen Ikone nurmehr die gewünschte Hülse übrig bleibt.
Entsprechend bleiben von der forensischen Vorgehensweise des Detektivs ebenso wie von seinem langjährigen Partner Watson nur Schatten der Vergangenheit übrig. Andeutungsweise zeichnet sich die Nüchternheit und gleichzeitige Ruhelosigkeit Holmes' ab, womit den Ausschmückungen zur Legendenbildung immerhin eine gewisse Beobachtungsgabe seitens des Autoren Watson zuteil wird, der laut Drehbuch die Geschichte seines Partners für die Medien aufbereitet hatte. Der eigentliche Fall ist in "Mr. Holmes" jedoch eher Nebensache in einem zwischenmenschlichen Drama um die Haushälterin und ihren Sohn, ein bruchstückhaftes Puzzle aus verblassten Erinnerungsfetzen, das in der eingerosteten Gegenwart mit schlichten Symbolen und Erklärungen der Natur und ihrer Abläufe zusammengesetzt wird.
Kein schöner Anblick für jemanden, der in Holmes etwas Unantastbares erkennt, lässt "Mr. Holmes" seine Hauptfigur auf symbolischer Ebene doch gewissermaßen ein zweites Mal sterben, nachdem Arthur Conan Doyle ihn bereits in die Reichenbachfälle stürzen ließ. Der Gewinn von Menschlichkeit wiegt den Verlust des Ikonenhaften jedoch auf.
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