„Wenn es kein Gefängnis ist, machen wir eines draus!“
Mit „Das Versteck“ hat Regisseur Narciso Ibáñez Serrador („Ein Kind zu töten...“) im Jahre 1969 einen der interessantesten und besten Horrorbeiträge des spanischen Kinos abgeliefert. Gothic-Kulissen und -Atmosphäre in einem südfranzösischen Mädcheninternat um die Jahrhundertwende, das von Madame Fourneau (Lilli Palmer) mit eiserner Hand wie ein Gefängnis geführt wird und die auch nicht davor zurückschreckt, ihre Schutzbefohlenen zu misshandeln. Ihrem pubertierenden Sohn untersagt sie indes jeglichen Umgang mit den Mädchen, von denen aber eines nach dem anderen verschwindet...
Der Film beginnt stocksteif, selbstverständlich als bewusst eingesetztes Stilmittel, doch sobald die herrische Madame Fourneau außer Reichweite ist, kommt Leben in die Bude und die Mädchen benehmen sich endlich natürlich und altersgerecht. Hübsch anzusehen sind sie allemal, doch wer hier aufgrund der Thematik Schmuddel oder Softsex erwartet, liegt verkehrt. Die Geschlechtsorgane der Schülerinnen bleiben stets bedeckt bzw. werden z.B. während der Duschszene von der Kamera ausgespart. Das hat der Film nicht nötig und in diese Richtung will er auch gar nicht. Stattdessen kann man sich an einem prächtigen Ambiente erfreuen, das stilsicher und detailgetreu in eine längst vergangene Zeit entführt. Madame Fourneau treibt ihr herrschsüchtiges Unwesen und scheint eine perverse Lust dabei zu empfinden, eine Schülerin als Bestrafung auszupeitschen bzw. auspeitschen zu lassen. Bei alldem bekennt man sich natürlich scheinheilig zur christlichen Moral, bigotte Gebete aufzusagen gehört für die „Insassinnen“ zur Tagesordnung. Für ihren Sohn sind die Schülerinnen natürlich allesamt nicht gut genug, nur Muttern weiß, was ihr Sohn wirklich braucht. Lilli Palmer überzeugt in ihrer harten Rolle auf ganzer Linie und liefert eine beeindruckende Vorstellung ab. Eine herrliche alte Schreckschraube.
Die Morde geschehen überraschend explizit im Stil italienischer Gialli und man darf sich so seine Gedanken um das „Whodunit?“ machen, während man weiter den wenig erbaulichen Alltag der Mädels verfolgt. Trotzdem wird einen die finale Auflösung, eine ebenso geniale wie bitterböse Pointe, die alle Puzzleteile zusammenfügt, aller Wahrscheinlichkeit nach schwer überraschen und wie ein Schlag treffen – das Tüpfelchen auf dem „i“ eines herausragenden, fantastisch gealterten Films.
Serrador scheint mir mit seinen bisher drei mir bekannten Filmen als eine Art Anwalt der Kinder bzw. der Jugend aufzutreten; in „Das Versteck“ lässt er kein gutes Haar an glücklicherweise überholten Erziehungs- und Lehrmethoden und stellt die Mädchen als dem legitimierten Wahnsinn einer Internatsleiterin ausgelieferte Opfer dar, die in ihrer Persönlichkeitsentfaltung beschnitten und in Tod und Verderben geschickt werden. Zu Zeiten des faschistischen spanischen Diktators Franco einen so eindeutig autoritätskritischen Film zu machen, zeugt sicherlich von einigem Mut. Ob man deshalb die Handlung in die Vergangenheit verlagerte? Wie dem auch sei, man verstand sein Handwerk in sämtlichen Belangen und hat gewiss viele nachkommende Regisseure nachhaltig beeinflusst.
Hierzulande ist der Film viel zu unbekannt, zudem existieren nur zwei VHS-Auflagen im falschen Bildformat, das einen vollen Genuss der erhabenen Breitbild-Gothic-Optik verhindert. Die Nichtexistenz einer vernünftigen deutschen DVD ist angesichts des vielen Schrotts, der veröffentlicht wird, ein weiteres Armutszeugnis für den hiesigen Umgang mit dem unbedingt erhaltenswerten Erbe des europäischen Kinos.