Es ist langsam nicht mehr überschaubar, was da dieses Jahr an Blockbustern auf den informierten Cineasten zurollt. Von „Star Wars Episode VII" über „Mad Max: Fury Road" bis zu „Terminator: Genisys" reichen die Versuche, hinlänglich bekanntes filmisches Kulturgut monetär zu nutzen oder auszunutzen. Dabei wird das jeweilige Franchise entsprechend der Güte der dafür aufgewendeten Arbeit um ein weiteres Quäntchen filmischer Unvergänglichkeit angereichert. Oder eben nicht. Bisweilen lässt nämlich der blendende Lichtblitz lieblos gezündeter CGI-Kernspaltung beim halb erblindeten Filmfreund nur noch ein Gerippe an Kultgegenstand zurück, das nur mehr schemenhaft an einstigen Glanz erinnert. So geschehen beim Science-Fiction Meisterwerk „Matrix", das einst einen regelrechten Paradigmenwechsel im Kino einläutete. Allerdings einen, dessen man sich heute erstaunlich wenig erinnert.
Beim Superheldenkino scheinen solche Gedankenspiele ins Leere zu laufen. Seit eineinhalb Jahrzehnten schwappt eine wahre Flut an Comicverfilmungen über uns herein - so mancher würde von „Sintflut" sprechen -, die, was das Kino angeht, beinahe als Epoche machend bezeichnet werden darf. Und weit und breit kein Ende in Sicht. Ganz im Gegenteil. Bald werden sich sogar Superman und Batman balgen. Doch anders als die Konkurrenz „DC Comics" schickt Marvel schon seit geraumer Zeit eine beträchtliche Horde seiner Stammfiguren gemeinsam ins Superhelden-Gewimmel.
Da ist der Milliardär Tony Stark (Robert Downey Jr.), der als der gepanzerte „Ironman" für das Gute kämpft. Da ist der Halbgott „Thor" (Chris Hemsworth), der aus einer fernen Galaxis bei uns vorbeischaut. Da ist ferner der demnächst wohl in einem lauten Knall auseinanderplatzende „Hulk" zur Stelle, der inzwischen bis hoch in die Wolken hüpfen kann. Da gibt es einen geschniegelten „Captain America", der so herzensgut und grundanständig ist, dass man den Kerl entweder in die Fresse hauen oder knutschen möchte. Da turnt die vom Schicksal gebeutelte Black Widow (Scarlett Johansson) durchs Bild und da saust der mit seinem Flitzebogen treffsichere Hawkeye (Jeremy Renner) als einziger halbwegs normaler Zeitgenosse durchs osteuropäische Gehölz. Aber damit immer noch lange nicht genug. Eine ganze Reihe weiterer aus diversen Comics bekannter Verkleidungsfetischisten steht schon in den Startlöchern, sich der kunterbunt gemischten Latex-Truppe anzuschließen. Man kämpft ja, ein jeder für sich, bereits schon seit Jahrzehnten gegen verschrobene Familienmitglieder, fiese Deutsche, philosophierende Megalomanen oder hat sich der Abwechslung halber einfach gegenseitig beharkt. Doch damit ist jetzt Schluss. Man hat alle Unterschiede beiseitegeschoben und sich zusammengetan, um an der Kinokasse Rekordgewinne einzustreichen. Denn davon profitiert jeder. Sogar der Hulk. Auch wenn er nur rumknurrt.
Diesmal tritt man an gegen eine künstliche Intelligenz namens „Ultron" (und gegen fiese Deutsche [Thomas Kretschmann]). Ultron möchte die Menschheit auslöschen um sie zu retten und vertritt damit, was Hilfeleistung angeht, einen recht nonkonformistischen Standpunkt. Doch Grund zur Panik gibt es natürlich nicht für uns Menschen, denn die stets zu Scherzen aufgelegte Truppe widmet sich bald mit Inbrunst der Bekämpfung des roboterhaften Aggressors. Und es kommt, wie es kommen musste. Eine Computer-Schlacht quasi biblischen Ausmaßes rollt da über den Planeten hinweg, mit merkwürdig künstlich durch die Luft ruckelnden Motorrädern und wie Raketen in die Stratosphäre schießenden, kreuz und quer, hin und her surrenden Superhelden. Und wenn dann zum Finale die Androiden-Armee Ultrons aus dem Rechner hüpft, kollabiert das Bild in einem tönenden Overkill an künstlichen Reizen. Man wird förmlich von einem visuell trügerischen, inhaltlichen Nichts verschluckt. Vor allem gegen Ende klettern und turnen dann so viele Kostümierte durchs Set, dass sich eigentlich der Gedanke aufdrängt, einer wie auch immer gearteten Persiflage zu folgen. Nur ist dem natürlich nicht so. Nichts zu erahnen von augenzwinkerndem Spaß auf eigene Kosten, der bei der ersten Ironman-Verfilmung zumindest zu spüren war. Mehr ist einfach mehr. Vor allem mehr Umsatz. Und dieses auf Hochtouren rasende Geschäftsvehikel wird so lange übersteuert, bis es eines Tages nicht mehr fährt.
Dabei geht man natürlich auf Nummer Sicher. Den heimatverbundenen Amerikanern serviert man traditionelle Helden, ohne Ecken und Kanten. Den Rest der Welt versöhnt man mit einer Spur von Kritik an den Patzern der Weltpolizei, die allerdings so diplomatisch untergehoben wird, dass sie neunzig Prozent des Zielpublikums überhören werden. So bemerkt Captain America, nachdem er seinen Dackelblick aufgesetzt hat, dass die Leidtragenden bei Präventivkriegen vor allem Zivilisten sind. Anschließend sammelt man sich aber unbekümmert, um die Verteidigung der Welt hemdsärmelig in die eigenen Superhände zu nehmen und somit die Position einer globalen Schutzmacht einzunehmen. Dass man sich damit analog zur Wirklichkeit von menschlicher Gerichtsbarkeit verabschiedet, fällt hier niemandem auf. Vielleicht dem Hulk. Aber der kann sich, wie gehabt, nicht artikulieren.
Es ist doch nur eine Comicverfilmung - ohne Bezug zur Wirklichkeit. Das launetote Gemecker könnte man sich doch verkneifen. Natürlich könnte man das. Nur was bliebe dann an interessanter, diskussionswürdiger Substanz übrig? Eben nicht besonders viel. An der Hand hochbezahlter Drehbuchautoren gelingen den Avengers zwar mitunter durchaus vergnügliche Frotzeleien und nette Späßchen, doch muss man für sich selbst entscheiden, ob eine Handvoll Kalauer und das dazu abgebrannte Feuerwerk für mehr als zwei Stunden Unterhaltung bieten.
Das Ergebnis dieser sehr jugendfreundlichen, auf seine Werktreue pochenden Balgerei wird die Gemüter spalten. Echte Comicfans werden angesichts einer weiteren superteuren Visualisierung des S.H.I.E.L.D.-Universums womöglich auf ihre Kosten kommen. Zumindest, wenn sie ihre Ansprüche an üppig ausgestattetes Kino im Zaum haben. Denn, bei genauerem Blick - und das wird mancher als Sakrileg empfinden -, unterscheiden sich die „Avengers" mit ihrem Zeitalter Ultrons nur unwesentlich vom Schmuddelkind „Transformers" und deren Zeitalter des Untergangs. Zwar sind die Dialoge beim Marvel Blockbuster etwas geistreicher modelliert, doch übertünchen beide ihre absolute inhaltliche Leere mit einem Wust an leicht zu durschauenden Computeranimationen. Dabei gilt zwar nicht zu vergessen, dass Comics in den Vereinigten Staaten eine akzeptierte Kunstform sind, wohingegen man in der Alten Welt eher auf diese Gattung der Literatur herabschaut und sie gern als Argument für eine vermeintliche amerikanische Primitivkultur ins Feld führt. Doch ob man bereit ist es zuzugeben oder nicht, „Avengers - Age of Ultron" leistet mit seinem sinnlosen Treiben und künstlichem Bombast einer solchen eindimensionalen Sichtweise Schützenhilfe. Daran ändern auch die eher tollpatschigen Versuche nichts, der Story dadurch mehr Tiefgang zu verleihen, dass man ziemlich umsonst Hawkeyes Durchschnittsfamilie vorstellt oder die mangelnde Zeugungsfähigkeit der Superheldin Black Widow beklagt. Die hat sich nämlich in Doktor Banner beziehungsweise den Hulk verguckt und versucht ihn von der Möglichkeit einer gemeinsamen Zukunft zu überzeugen. Und wenn dereinst Scarlett Johanssons taffe Filmfigur ihre Unfruchtbarkeit wirklich psychisch verarbeitet hat und Bruce Banner nicht vor Erregung während des Koitus zum Hulk mutiert, könnte der Liebe der beiden sogar Glück beschieden sein. Es ist wirklich (k)ein Drama.