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Zum Ende jeder Phase des Marvel-Universums ein neuer „Avengers“-Film: Nachdem Iron Man, Thor und Captain America einzeln neue Abenteuer erlebten, stürzen sie sich zusammen mit dem Rest des Superheldenteams in „Avengers: Age of Ultron“ erneut ins Gefecht.
Das kann man im Bezug auf die Eingangssequenz durchaus wörtlich nehmen: Steve Rogers (Chris Evans) alias Captain America, Tony Stark (Robert Downey Jr.) alias Iron Man, Thor (Chris Hemsworth), Natasha Romanoff (Scarlett Johansson) alias Black Widow, Clint Barton (Jeremy Renner) alias Hawkeye sowie Bruce Banner (Mark Ruffalo), besser bekannt als Hulk, stürmen in einem großen Gefecht die Festung von Baron Wolfgang von Strucker (Thomas Kretschmann), der sich Hydra-Truppen in Osteuropa verschanzt hat und bei seinen Experimenten aus den Zwillingen Wanda (Elizabeth Olsen) und Pietro Maximoff (Aaron Taylor-Johnson) zwei ebenbürtige Gegner für die Avengers geschaffen hat. Nach einer langen Schlacht, oft in Plansequenzen gefilmt, können die Avengers von Strucker jedoch gefangen nehmen, doch nicht, bevor Wanda Tony eine Vision vom Ende der Rächertruppe ins Gehirn gezaubert hat.
Während man sich auf die Siegesfeier vorbereitet, werkelt Tony an einer globalen Schutzmaßnahme, die das Wahrwerden der Vision verhindern soll. Dafür entschlüsselt er die Geheimnisse des Orbs in Lokis Zepter, das in von Struckers Besitz war, und baut mit Hilfe des darin enthaltenen Codes eine künstliche Intelligenz namens Ultron. Während Banner ihm widerwillig hilft, so hält er sein Wirken vor dem Rest der Avengers, vor allem Steve, geheim. Das ist nicht nur eine Vorbereitung für einschneidende Veränderungen im Marvel-Universum, sondern legt auch den Grundstein für einen tiefergehenden Subtext des Films, der in ähnlicher Form bereits in „Captain America: The Winter Soldier“ anklang: Wie viel von seiner Freiheit darf man zur eigenen Sicherheit aufgeben, wie groß sind die Risiken davon? Man kennt die berühmte Antwort Benjamin Franklins auf diese Frage.

Tatsächlich entwickeln sich die Dinge im Sinne Franklins, denn Schutz bietet Ultron nicht, im Gegenteil: Während der Siegesfeier erwacht die künstliche Intelligenz zum Leben, baut sich aus Teilen von Tonys Anzügen einen Roboterkörper und verkündet seinen Plan: Zur Wahrung des Weltfriedens müssen die kriegerischen Avengers beseitigt werden. Doch das ist noch nicht alles…
War „The Avengers“ noch in erster Linie ein großer Fun-Actionfilm, so war Joss Whedon in seiner Doppelfunktion als Regisseur und Drehbuchautor klar, dass eine Fortsetzung nicht mehr allein auf den Reiz des Superheldenklassentreffens setzen kann. So ist „Avengers: Age of Ultron“ merklich düsterer als der Erstling geraten, zeichnet ein apokalyptisches Szenario und beschäftigt sich mit tiefergehenden Fragen zur Funktion der Avengers: Sind Beratungen Zeitverschwendung, wie Tony denkt, oder das beste Mittel zur Konsensfindung, so wie es Steve formuliert? Ist die Schaffung Ultrons ein unschöner Fehler bei der Verfolgung eines edlen Ziels oder die Kreation eines Monsters im Geiste der Frankenstein-Saga? Und was ist die Bedeutung der Avengers? Kann jeder von ihnen das Kämpfen sein lassen, einfach nach Hause gehen? Die Tatsache, dass verschiedene Rächer verschiedene Antworten auf die Fragen finden, spielt nicht nur theoretische Standpunkte durch, sondern vertieft auch die einzelnen Charaktere, teilweise auch mit interessanten Resultaten, etwa wenn ausgerechnet der Boy Scout der Truppe, Captain America, zur Selbsterkenntnis gelangt, dass er kaum noch etwas hat außer in den Kampf zu ziehen, so nobel seine Motive auch sein mögen.
Whedon vernachlässigt auch das Menschliche und das Persönliche nicht. Zwischen Natasha und Bruce zeigen sich amouröse Spannungen, Thor und Tony liefern sich ein amüsantes Wortgefecht, welche ihrer beiden abwesenden Herzdamen denn nun die bessere sei, und Clint, dem man gerne vorwarf der blasseste Rächer zu sein, überrascht im weiteren Filmverlauf mit Enthüllungen über sein Privatleben. Dabei besitzt der Film den gewohnt humorvollen Ton, sei es nun ein Running Gag über Captain Americas Besorgnis auf seine Sprache zu achten, Tonys gewohnte Süffisanz oder geschickt platzierte Gags wie die Versuche der anderen Avengers Thors Hammer zu heben, welche die Superheldencharakterstudien nicht zu trockenen Analysen werden lassen. Whedon weiß seine Figuren zu balancieren, jedem Charaktere emotionale wie humorvolle Momente zu schenken und mit plastischen, stellenweise auch ambivalenten Helden aufzuwarten.

Auch die Hintergrundgeschichte erlaubt sich differenzierte Betrachtungen: An der Schaffung von Scarlet Witch und Quicksilver, so die Alias-Namen der Maximoff-Zwillinge, ist Tony Starks Vergangenheit als Waffenfabrikant nicht unschuldig, während die Figur des Ultron das klassische Paradigma durchspielt, dass die größte Bedrohung der Erde und der Menschheit immer noch der Mensch ist, den es einzuschränken oder auszumerzen gilt. Diesen abstrakten Gegenspieler, der sich im Internet einnistet, sich immer neue Körper baut, die er als Armee kontrolliert, muss „Avengers: Age of Ultron“ visualisieren und findet dafür ein durchaus interessantes Ventil: Ein Roboter, der aber gleichzeitig dandyhaft auftritt und spricht, nicht wie der kalte Maschinenmensch anderer Robotikvisionen, sondern so als hätte er Teile von Tonys Persönlichkeit abbekommen. Das mag der Komplexität eines solchen Schurken immer noch nicht ganz gerecht werden (welche filmisch allerdings auch schwer darzustellen ist), zeigt aber wie bedacht Whedon mit all seinen Figuren, Subtexten und Handlungsfäden jongliert.
Allerdings hält „Avengers: Age of Ultron“ diese Balance nicht immer. Baron von Strucker wird leider verschenkt und hat kaum Bedeutung für die Handlung, nachdem man ihn in „Captain America 2“ und „Agents of S.H.I.E.L.D.“ groß anteaserte, der Waffenhändler Ulysses Klaw (Andy Serkis) bleibt auch nur eine Randnotiz und manchmal fehlt bei den Versuchen wirklich jeden Themenkomplex würdig zu behandeln ein wenig der Drive. Andrerseits muss man Whedon hoch anrechnen, dass sein Film trotzdem nicht überladen wirkt und er auch als Einzelwerk stehen kann: Die Kenntnis der Vorgängerfilme verbessert das Verständnis von „Avengers: Age of Ultron“ ungemein, die von angeschlossenen Medienprodukten wie „Agents of S.H.I.E.L.D.“ bringt zusätzliche In-Jokes, doch der Film kann eben auch ohne sie bestehen, mit höchstens kleinen Abstrichen.

Wenn „Avengers: Age of Ultron“ ein kleines Problem hat, dann ist es eher das Finale. Zwar variiert Whedon das im Blockbusterkino allgemein und im Superheldengenre speziell beliebte Motiv des Kampfes in einer Stadt, in der diverse Sachschäden zu beklagen sind, leicht (die Stadt bleibt, aber sie schwebt und es krachen keine großformatigen Flugobjekte nieder), doch die angreifenden Ultron-Roboter, die sich mit den Helden überall in den Stadt bekriegen, sind doch nur eine gesichtslose Prügelmasse, die sich wenig von den Robotern aus „Transformers 4“ oder Zods Truppen aus „Man of Steel“ unterscheiden, die Mischung aus Rettungsaktionen und Kämpfen hat man zuletzt etwas häufig gesehen. Immerhin visualisiert Whedon diese Finalschlacht ansprechend, zeigt auch hier längere Plansequenzen, in denen man die Helden alle in einer Kamerafahrt im Gefecht sieht, so wie auch die anderen Actionszenen, von denen es insgesamt vier große und mehrere kleinere zu nennen gibt. Bei den ausladenden Gefechten gibt es neben dem Auftakt und dem Finale eine Schlacht in einem auf dem Trockenen liegenden Schiff in Afrika plus anschließendem Hulk-Amoklauf in einer nahen Stadt und eine Hatz durch eine koreanische Großstadt zu bewundern. Leidet die Afrikaszene etwas darunter, dass die Inszenierung manchmal zu schnell geschnitten für das 3D ist, so punktet die Korea-Action damit, dass sie, ähnlich wie die meisten Actionszenen in „Captain America 2“, bodenständiger daherkommt, wesentlich mehr Stuntwork als Computertricks zeigt, womit sie neben dem Auftakt die memorabelste Actionszene des Films ist. Manche Szene ist zudem vielleicht auch ein wenig übertrieben, etwa Captain Americas Motorradwurf, Comicvorlage hin oder her. Angesichts der glänzend inszenierten, nie ermüdenden Krawallszenen ist die Kritik an der Action von „Avengers: Age of Ultron“ Meckern auf durchaus hohem Niveau, doch sie zeigen auch, dass das Genre den einen oder anderen frischen Impuls, gerade was Showdowns angeht, benötigen könnte.
Wie schon der Vorgänger, so lebt auch „Avengers: Age of Ultron“ von seinem Cast: Robert Downey Jr., Chris Evans, Chris Hemsworth, Scarlett Johansson und Jeremy Renner trumpfen eh in Paraderollen auf, Mark Ruffalo hält das hohe Niveau seiner ersten Hulk-Performance, auch wenn die Überraschung nun weg ist. James Spader als Sprecher Ultrons überzeugt mit seinem Stimmauftritt, während Elizabeth Olsen und Aaron Taylor-Johnson etwas hinter dem bekannten Hauptcast zurückbleiben, sich aber ebenfalls sehr gut schlagen. Thomas Kretschmann und Andy Serkis bleiben drehbuchbedingt hinter ihren Möglichkeiten zurück, während Linda Cardellini in einer kleinen, aber prägnanten Nebenrolle richtig auftrumpfen kann. Dazu kommen Wiedersehen mit unzähligen Bekannten aus dem Marvel-Universum: Samuel L. Jackson, Cobie Smulders, Anthony Mackie, Don Cheadle, Haley Atwell, Idris Elba und Stellan Skarsgard sind in ihren gewohnten Rollen zu sehen, während der obligatorische Gastauftritt von Stan Lee natürlich auch nicht fehlen darf.

„Avengers: Age of Ultron“ ist ein guter bis sehr guter Superheldenfilm, er erweitert die Geschichte, vertieft die Charaktere und schneidet tiefergehende Fragestellungen, ist aber leider nicht ganz so homogen wie der famose Vorgänger, der einfach noch mehr denkwürdige Szenen hatte. Die Chemie stimmt auch hier, das Auftaktgefecht gegen Hydra sowie die Koreahatz sind fantastische Action und Whedon hält meist die Balance zwischen Charakterbeleuchtung, tiefergehenden Ansätzen und knalliger Action, auch wenn das Finale leicht enttäuscht – das hatten „Captain America 2“ und „Guardians of the Galaxy“ besser hinbekommen, doch das ist immer noch Meckern auf hohem Niveau. 7,5 Punkte meinerseits.

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