Review

Wenn man an Woody Allen denkt, hat man Alvy Singer vor Augen, dem Protagonisten aus "Der Stadtneurotiker". Mit diesem Film verabschiedete sich Allen vollends von seinen Slapstickversuchen früherer Tage ("Bananas" oder "Woody, der Unglücksrabe" wären hier zu nennen), und punktet mit Wortwitz. Mit Sarkasmus und bissiger Ironie statt mit dem Versagen seiner Körperfunktionen. "Der Stadtneurotiker" war image- und stilprägend für den Künstler Allen und seine Filme.

Allen erzählt die Geschichte einer gescheiterten Romanze. Nach zwei kaputten Ehen trifft Alvy Singer auf Annie Hall (Diane Keaton). Alvys eigene Unzufriedenheit und Macken lassen Annie zu einem nachdenklicheren Menschen werden. So nachdenklich, dass sie schließlich beschließt, sich von ihm abzuwenden. So grob kann man die Geschichte aus "Der Stadtneurotiker" wiedergeben. Und so simpel ist der wesentliche Kernplot tatsächlich. Das Interessante und Revolutionäre daran, ist die Art, wie Allen uns seine Geschichte nahebringt.

Der Film beginnt mit einer Closeup-Aufnahme von Allen vor einem bräunlichen Hintergrund. Unaufhörlicher Redeschwall kennzeichnen die ersten selbstoffenbarischen Momente des Films. Während nur noch Allens Stimme aus diesen ersten Aufnahmen übrigbleibt - er wird den gesamten Film über aus dem Off gewitzt kommentieren - sehen wir Bilder aus seiner Vergangenheit. Wobei uns Allen nie die objektive Wahrheit zeigt, sondern, wie er selber zugibt, eine überspitzte, durch überschwengliche Fantasie verfremdete, subjektive Sicht der Dinge auf die Leinwand bringt. Und so gestaltet sich der gesamte Film. Sprunghaft, spontan, überdreht. Aufgrund des extrem subjektiven Standpunktes des Alvy Singers und des dazugehörigen Offkommentars gleicht der Film eher einem inneren Monolog, als einer offen erzählten Story.

Die Komik, der er sich hier bedient, ist stets beobachtend, wenn nicht sogar intellektuell. Er sieht sich selbst als Spaßmacher mit Hirn, der immer dann, wenn er über seine Besorgnis über die Welt philosophiert, oder seine depressive Weltanschauung zum Ausdruck bringt, die meisten Lacher einheimst. Allen bereitet seine tragische Heldenfigur so auf, wie man ihn kennt: liebenswert, misstrauisch, intelligent, jüdisch, kulturbewusst. Wenn er sich mit seiner Freundin zum Kino verabredet, dann geht er mit ihr in einen Bergman-Film. Und wenn der schon angefangen hat, dann weicht man eben auf die vierstündige Nazichronik "Zorn und Mitleid" aus. Alvy Singer ist also nicht unbedingt derjenige, der Freude daran hat, Freude zu haben - aber sich durchaus daran erfreuen kann, andere zu erfreuen. "Ich hab Angst vor Spaß" sagt Alvy einmal im Film. Eine "Geben und Nehmen"-Tradition, die er auch gern und oft im Bett mit seiner Partnerin auslebt.

Auch wenn sich das nun alles sehr metaphorisch und bedrückend-pessimistisch anhört, so ist "Der Stadtneurotiker" immer noch eine Komödie - wenn auch eine sehr tragische. Sätze wie "Ich möchte nie einem Club angehören, der Leute wie mich als Mitglied aufnimmt" oder "Sag nichts gegen Mastrubation. Das ist Sex mit jemanden, den ich liebe!" sind legendär in dem Woody Allen-Kontext. Der Schauspieler/Autor/Regisseur nutzt nahezu jede Plattform, um seine Gags höchst wirksam zu kommunizieren. Er benutzt klassische "Stand up"-Comedy-Variationen ebenso wie ganz ausgefallene Ideen. So springt der Film einmal zum Beispiel in eine Zeichentricksequenz über, in der Allen seine sexuellen Gelüste über der "bösen Königin" aus dem Schneewittchen-Märchen zu beschreiben. In anderen Szenen bespricht er die Szenen oder die Beziehung zu Annie mit Passanten auf der Straße. Einige weitere Male tritt Allen komplett aus der Spielszene heraus, und richtet seine Worte wieder erzählerisch an das Publikum.

Wieviel Woody Allen in Alvy Singer steckt, ist unklar. Der Film scheint autobiographisch zu sein, und würde relativ passig zu Allens öffentlichem Auftreten sein. Der neurotische Liebhaber, belesen und bewandert in allen Kunstformen. Fast abhängig von der Stadt New York und ihrer Lebenskultur. Als Alvy Singer in Beverly Hills ankommt, macht ihm die kulturelle Oberflächlichkeit buchstäblich krank - sicher auch eine natürlich völlig ins Fantastische hochgetriebene Eigenschaft Allens. Auch seine jüdische Vergangenheit, sein Hass zu seinen Lehrern. All das lässt vermuten, dass "Der Stadtneurotiker" autobiographischer sei, als Allen es selber zugibt. Trotzdem sollte man nicht alles für Voll nehmen, was uns Allen hier auftischen möchte.

Ebenfalls erwähnenswert ist der hohe Gehalt an unvergesslichen Schauspielern. Neben Woody Allen und Diane Keaton haben wir es mit Shelley Duvall, Colleen Dewhurst, Janet Margolin, Christopher Walken, Jeff Goldblum, Beverly D'Angelo und Sigourney Weaver zu tun. Der großartige Trueman Capote, der nach seiner einzigen wirklichen Filmrolle in "Eine Leiche zum Dessert" rar auf der Leinwand machte, tritt als köstlicher Cameo auf. Er stellt den Mann dar, den Alvy Singer als solchen identifiziert, der am ehesten einen Trueman Capote-Look-a-like-Wettbewerb gewinnen würde.

"Der Stadtneurotiker" ist ein wunderbarer Film. Völlig zu Recht gewann die Tragikomödie im Jahre 1978 vier Oscars aus fünf Nominierungen. Auch Woody Allen wurde durch den Academy Award für "Best Director" geehrt. Der Filmemacher holte den Award allerdings nicht - da die Oscars zu der Zeit stattfanden, als er wie gewohnt in New York in einem Jazzclub musizierte. Und das ist so typisch für Allen. Wenn man die Person Woody Allen mag, wird man auch diese herrlich nervöse, köstliche, ironische Komödie lieben!

Details
Ähnliche Filme