Review

Blue Movie gehört zu den schwierigsten Filmen, die ich jemals sah. Um ihn zu verstehen (und ich behaupte nicht, dass ich ihn völlig verstand), muss man wohl vor allem die Geschichte seines Regisseurs berücksichtigen.
Am Ende von BLUE MOVIE sieht man einen Mann, der sich in die Schläfe schoss. Der Film bedeutete nicht nur Cavallones kommerziellen Selbstmord, sondern auch den Suizid des Teils seiner Selbst, der in der Kunst sich eine Brücke erhoffte (wenn man davon ausgehen will, dass jeder Künstler insgeheim nach dieser persönlichen Brücke sucht, die ihn näher zu der Welt bringen will, der gegenüber er etwas empfindet, das Camus das Absurde nannte). Cavallone fing mit dem Filmen in den späten 60ern an und entwickelte sich immer mehr vom Mainstream weg bis er bei BLUE MOVIE landete, einem Film, der mich zutiefst erschütterte, ein Film, der einem verzweifelten Aufschrei gleichkommt, tatsächlich brüllte der Film mich fortwährend an, mit Tränen in den Augen und einem Messer in der Hand, um mir die Augen zu zerschneiden. Ich fühlte mich unwohl, ich zitterte, und ich staunte. Cavallone scheint viele Feindbilder gehabt zu haben, und dieser Film ist ein einziger Angriff auf sie.
Nur ein paar Szenen: ein Photograph erklärt, dass er lieber leere Coladosen photographiere als Models, weil er die Coladosen nur zu zertreten brauche, wenn er wolle, dass sie ihren Ausdruck ändern, sein Haus ist voller Coladosen und Marlboroschachteln, die mit Urin und Exkrementen gefüllt sind, er behandelt die Models wie Objekte, er sagt, sie seien auch nur voller Pisse und Scheiße, eins dieser Models möchte unbedingt, dass er sie zu etwas Reinem mache, zu etwas wie den Coladosen, sie möchte nicht mehr die sein, die sie ist, mit ihren lächerlichen Gefühlen und Ängsten, sie möchte bei ihm einziehen, sie bläst ihm sogar einen und fragt ihn, ob er sie liebt, er ohrfeigt sie, und sie kniet neben ihm und fleht ihn förmlich an, sie sagt: ich würde alles tun, wirklich alles, und Cavallone schneidet die berühmte Filmaufnahme eines Mönchs bei dieser Stelle in den Film, der sich in den 70ern aus Protest in Vietnam selbst anzündete und vor laufender Kamera verbrannte. Später sehen wir Aufnahmen von Massengräbern aus dem zweiten Weltkrieg. Und ein Mädchen, das sich mit seinem eigenen Kot beschmiert. Eine Badewanne voller Blut. Ein Penis, der bearbeitet wird, zu Musik von Bach, die den gesamten Film über erklingt: Bach, Offenbach, Janis Joplin. Ein Mädchen wohnt bei dem Photograph. Sie behauptet, sie habe einen Mann getötet, der sie vergewaltigen wollte und nun suchen zwei andere Männer nach ihr. Es ist eine Lüge. Der Film beginnt zwar mit einer versuchten Vergewaltigung in einer verlassenen Stadt mitten im Wald, doch ist da nur ein Mann und er wird nicht getötet. Am Ende sehen wir dann den Photographen und das Mädchen an der gleichen Stelle. Ist er der Mann, der sie vergewaltigen wollte? Oder doch nicht? Ist einer von ihnen bereits tot? Ein Schwarzer vergisst eine ominöse Tasche bei dem Photographen. In ihr: ein Totenschädel. Wie man schon an diesen Fragmenten erkennt: BLUE MOVIE ist kein Film, der einen bei der Hand nimmt und durch seine Laufzeit führt. BLUE MOVIE stößt einen in sich hinein, man ist ihm hilflos ausgeliefert. Meist weiß man nicht mal, in welchem Raum des Hauses des Photographen, wo der Großteil der Handlung stattfindet, man sich gerade aufhält. Die Zeit spielt keine Rolle. Die Form von BLUE MOVIE ist vollkommen gebrochen, verwirrend und konfus. Man wird nicht nur nicht bei der Hand genommen, sondern von dieser auch noch geohrfeigt. Gedreht wurde BLUE MOVIE innerhalb von einer Woche in privaten Wohnungen und im Wald. Cavallone scheint alles versucht zu haben, um seine Unabhängigkeit zu beweisen.Der Film ist für mich ein Schrei. Das hysterische Gebrüll eines Mannes, der sich fremd von allem fühlt und bereits erkannt hat, dass er so viele Filme drehen kann wie er will, er wird nie nach Hause kommen. Maurice Nadeau: „Es gibt keinen großen Schriftsteller, der nicht, und wenn er sich noch so sehr auf den Nachruhm vertröstete, in der Verzweiflung stirbt.“ Vielleicht gibt es auch keinen großen Regisseur, dem das passiert?
Eine Szene in einem Café: der Photograph spricht ein Mädchen an, das sagt: ich stamme aus einer Stadt, die bei einem Erdbeben zerstört wurde, ich hätte dort bleiben sollen, ich hätte mithelfen sollen, sie wieder aufzubauen, aber ich fühle mich zu schwach, und jetzt bin ich hier. Besser könnte man es nicht zusammenfassen.
Soviel noch: BLUE MOVIE ist eines der größten, radikalsten Kunstwerke, das ich jemals erleben durfte.

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