Dr. Strangelove; or How I Stopped Worrying and Love the Bomb (1964) von Stanley Kubrick
Fail-Safe (1964) von Sidney Lumet
"Dr. Strangelove; or How I Stopped Worrying and Love the Bomb" ist der erste von drei aufeinanderfolgenden Science Fiction Filmen, mit denen Kubrick nicht bloß im Genre und in seiner eigenen Karriere als Filmemacher, sondern gleich in der gesamten Filmgeschichte drei beachtliche Meilensteine hinterlassen hat. Lumets "Fail-Safe" ist dagegen nur geringfügig schwächer, allerdings - trotz hochkarätiger Besetzung - der bei weitem unbekanntere Film, der gerade wegen des überaus ähnlichen Inhalts stets im Schatten von Kubricks schwarzer Komödie stehen musste. Schuld daran sind nicht unbedingt qualitative Unterschiede zwischen beiden Filmen, sondern eher Kubricks Bemühungen, "Fail-Safe" erst nach dem eigenen Film in die Kinos gelangen zu lassen: während Peter Bryan George, der Autor der "Dr. Strangelove"-Vorlage "Red Alert" (1958), aufgrund eines Plagiatsverdachtes gegen Eugene Burdick und Harvey Wheeler, die Autoren der "Fail-Safe"-Vorlage "Fail-Safe" (1962), klagte, setzte Kubrick bei Columbia Pictures durch, seinen eigenen Film einige Monate vor dem ebenfalls von Columbia vertriebenen "Fail-Safe" zu veröffentlichen.[1] Als Folge davon ist der künstlerisch zwar durchaus erfolgreiche "Fail-Safe" beim Publikum dann jedoch hinter Kubricks Meisterwerk, das quasi wie eine Bombe eingeschlagen war, zurückgeblieben. Diesen Status des etwas untergegangenen Films hat "Fail-Safe" trotz aller Würdigungen bis heute inne; "Dr. Strangelove; or How I Stopped Worrying and Love the Bomb" erfreut sich indes nach wie vor größter Beliebtheit - womöglich auch, weil Kubrick im Gegensatz zu Lumet noch all denen ein Begriff als großer Meisterregisseur ist, die ansonsten (bis auf Hitchcock, Spielberg und Tarantino womöglich) überhaupt keine Regisseure kennen.
"Dr. Strangelove; or How I Stopped Worrying and Love the Bomb" weicht nicht nur dem Titel nach von seiner Romanvorlage "Red Alert" ab; mit deren Autor Peter Bryan George und mit Terry Southern (ihm besonders!) schrieb Kubrick ein Drehbuch, das gegen Ende mit dem (hierzulande nur im Grabbeltisch-Verlag Erich Pabel erschienenen) Roman kaum noch etwas gemeinsam hat: von einer glücklichen Fügung, die auch noch einen Wandel der Ansichten des Präsidenten bewirkt, bleibt im Film nichts mehr übrig - dort endet alles mit dem völligen Weltuntergang. Und der ernsthafte Tonfall der Vorlage gerät in Kubricks Verfilmung zur teils klamaukigen Satire. Die Besetzung mit Peters Sellers in drei (ursprünglich sogar vier) tragenden Rollen unterstreicht den humoristischen Aspekt des Films nachhaltig.
Alles beginnt damit, dass [Achtung: Spoiler!] ein wahnsinnig gewordener, die Verunreinigung seiner Körpersäfte durch die Russen fürchtender General mit dem schönen Namen Jack D. Ripper (Sterling Hayden) eine Gruppe von B-52-Bombern samt Angriffsbefehl gen Russland schickt. Seinen Irrsinn durchblickt der von ihm eingeweihte - und bald auch eingeschlossene - Captain Mandrake (Peter Sellers) zwar sehr schnell, aber es mangelt ihm mal an Mut, mal an Weitsicht, mal an Kleingeld, als dass er rechtzeitig genug effektiv eingreifen könnte. Derweil wird der etwas uninformierte und recht vergessliche Präsident Merkin Muffley (Peter Sellers) im War Room des Pentagons von General Buck Turgidson (George C. Scott) in die Vorgänge eingeweiht: die Bomber könnten nicht zurückgerufen werden, es fehle der Rückholcode. Um diesen zu erhalten, stürmt man General Rippers Luftwaffenstützpunkt Burpleson, wobei Ripper seinerseits die Angreifer als vermummte Russen hinstellt und bekämpfen lässt. Der Präsident lässt zudem den russischen Botschafter Alexi de Sadesky (Peter Bull) in den War Room kommen und telefoniert eifrig mit dem russischen, etwas begriffsstutzigen Premier Dimitri Kissov, um die Karten offen zu legen und einem Gegenschlag vorzubeugen. Durch den Botschafter muss Präsident Muffley erfahren, dass die Russen mittlerweile über eine (nicht beeinflussbare oder abschaltbare) Weltvernichtungsmaschine verfügen, die im Falle eines atomaren Angriffs selbsttätig den gesamten Erdball für Jahrzehnte radioaktiv verstrahlen und alles Leben austilgen würde. Auf dem Stützpunkt Burpleson nimmt sich Ripper schließlich das Leben, als sein Stützpunkt eingenommen wird; Mandrake hingegen findet in dessen Aufzeichnungen den Rückholcode, kann ihn aber zunächst nicht dem Präsidenten zukommen lassen - unter anderem weil ihn ein etwas debiler Colonel 'Bat' Guano (Keenan Wynn) behindert. Als das Codewort endlich seinen Weg ins Pentagon gefunden hat, ist die Freude zunächst groß. Doch ein von den Russen angeschossener Bomber, der sich im Tiefflug ihrem Radar entzieht und noch dazu seinen Kurs wechseln muss, kann nicht erreicht werden, da die Technik seit dem Treffer defekt ist. Und während ein im Rollstuhl hockender Dr. Strangelove (Peter Sellers), ein ehemaliger Nazi-Mad-Scientist, der einst Merkwurdigliebe hieß, dem Präsidenten seine Pläne für das Überleben weniger Ausgewählter in einem Bunkersystem darlegt und der russische Botschafter noch ein paar letzte Spionage-Fotos macht, steuert Bomberpilot Major T. J. Kong (Slim Pickens) sein Ausweichziel an und schmeißt die Bombe ab, auf der er - weil die Technik versagt und er den Abwurf manuell in die Wege leiten muss - während ihres Sturzflugs wie ein reitender Cowboy hockt. Dr. Strangelove redet sich noch kurz in Rage, derweil aufgrund einer Apraxie seine rechte, schwarz behandschuhte Hand immer wieder in den Hitlergruß verfällt; schließlich erhebt er sich aus seinem Rollstuhl, wankt auf den Präsidenten zu und nach den Worten "Mein Fuehrer, I can Walk!" endet der Film mit einer Reihe von Atombombenexplosionen zu den Klängen von Vera Lynns "We'll Meet Again".
Ein guter Film ist "Dr. Strangelove; or How I Stopped Worrying and Love the Bomb" allein schon wegen der hervorragenden Inszenierung, die sogar ihre Fehler und Unsauberheiten genau einplant. Solche geplanten Fehler & Unsauberheiten wären etwa: das penetrante Overacting von George C. Scott, das Kubrick aus diesem herauskitzelte und gegen seinen Willen benutzte; oder aber die bewusst krakelige Handschrift des Vorspanns, inklusive Flüchtigkeitsfehler; oder aber der schmutzige, willkürlich anmutende Stil der Kameraführung bei der Stürmung des Stützpunktes Burpleson, der freilich bloß authentisch, dokumentarisch erscheinen soll. Solche unfeinen, groben Szenen stehen neben vollkommen beherrschter film noir Ästhetik (General Rippers Arbeitszimmer während der Stürmung), neben geschickt montiertem Bild/Ton-Zusammenspiel (Vorspann und Epilog), neben eindrucksvollen Kulissen (Ken Adams James-Bond-Film-würdiger War Room) und eindrucksvollem Schauspiel (Peter Sellers komödiantisches Talent kommt voll zur Geltung). Formal hält der Film ein sehr hohes Niveau; inhaltlich besaß der Film zumindest einige Monate nach der Kuba Krise und in der Zeit des Nuclear Test Ban Treaty eine große Aktualität: den Irrsinn des Kalten Krieges, die Gefahr eines atomaren Schlagabtausches, die Nukleare Abschreckung mit den Mitteln des Klamauks, der Zote, der Satire, des galligen Humors und der subtilen Seitenhiebe als völligen Wahnwitz hinzustellen, hat seinerzeit durchaus sein provozierendes Potential voll entfalten können. Obwohl der Film ganz deutlich ein Kind seiner Zeit ist, blickt er jedoch von außen auf den Kalten Krieg: keine haltbaren, ernsthaften Meinungen zur politischen Situation werden mehr vorgeführt - stattdessen sind einfach durchweg alle Figuren vollkommen gaga... Das konnte man damals nur "destruktiv" finden, wie es etwa bei der New York Times der Fall war. (Und die U.S. Air Force bestand noch auf einer beruhigenden Schrifttafel zu Beginn des Films.)
Und destruktiv geht Kubrick besonders dann zu Werke, wenn es ihm darum geht, seine Figuren in Szene zu setzen: Jeder einzelne Charakter wird gehörig diffamiert. Dr. Strangelove, irgendwo zwischen Nazi-Mad-Scientist, Fritz Langs Rotwang und Henry Kissinger anzusiedeln, ist in dieser Hinsicht sicherlich das (titelgebende) Aushängeschild des Films; aber auch der paranoide General Ripper, dessen Name an einen der berüchtigsten Mörder denken lässt, gerät zur Zielscheibe des Spottes. Ebenso der polterige texanische Bomberpilot 'King' Kong (der ursprünglich ebenfalls von Sellers gespielt werden sollte)... oder der russische Botschafter, der noch im Angesicht des Todes als Spion tätig ist... oder ein tumber Colonel mit dem unrühmlichen Namen Bat Guano... Der glatzköpfige Präsident Merkin Muffley (merkin = Schamhaarperücke, muff = Schambehaarung), der kühl und bemüht bleibt, zugleich aber so ratlos und unwissend ist wie der russische Premier... nichts und niemand ist vor Spott und Häme sicher.
In diesem respektlosen Umgangston finden dann auch die scheinbaren Unsauberkeiten ihren Platz: die krakelige Schrift des Vorspanns, Scotts Overacting, der dreckige, ruckelig-unsaubere dokumentarische Anstrich - ein derartig respektloser Film kümmert sich nun mal nicht großartig darum, durchgängig schön zu sein... bzw. tut er so, indem er sich hin und wieder penibel darum kümmert, nicht schön zu sein.
Seine Respektlosigkeiten lässt "Dr. Strangelove; or How I Stopped Worrying and Love the Bomb" allerdings nicht willkürlich erfolgen - es gibt durchaus ein System für den wüsten Rundumschlag, welches aus dem Film eine Art Unterleibswitz werden lässt: im Namen Dr. Strangelove klingt es bereits an. Diese Merkwurdigliebe (so Strangeloves ehemaliger, deutscher Name in der Originalfassung[2]) verweist bereits darauf, dass Kampf & Krieg ein sexuelles Spektakel darstellen, ein erotisch aufgeladenes, triebgesteuertes Spiel kleiner Jungs,[3] in welchem sie ihre Begierden verfolgen und sich richtig austoben können. Konsequent wird alles und jeder sexualisiert: Vom berühmten Vorspann, der zu den Klängen von "Try a Little Tenderness" das Auftanken eines Flugzeuges durch ein anderes als Akt der Besteigung präsentiert, über die vielen - mal mehr, mal weniger - obszönen Namen (Buck Turgidson, Merkin Muffley, de Sadesky, Kissov, Strangelove), über Rippers Angst um seine wertvollen Körpersäfte, die er sogar den Frauen verweigert, über den Playboy lesenden King Kong, der am Ende mit der phallischen Bombe zwischen den Beinen auf die Erde zurast, bis hin zur ekstatischen Verzückung Strangeloves angesichts der Katastrophe und der freudigen Reaktion Turgidsons auf den geplanten Frauenüberschuss im anvisierten Rettungsbunker... Die Politik des Kalten Krieges (und nicht nur des kalten!) wird nicht nur als Wahnwitz hingestellt, sondern sogar als ekstatisches Spiel triebgesteuerter Männer, die sich in ihm ausleben können und wollen.[4] Die Respektlosigkeit bekommt dadurch mehr und mehr auch den Anstrich der Beleidigung.
In "Fail-Safe" geht Sidney Lumet dagegen ganz anders vor: Lumet schaut nicht von außen auf einen Kalten Krieg, der dann in seiner ganzen Absurdität dargelegt wird, sondern quasi von innen - jede Wendung wird ernst genommen, jede Figur (selbst all jene, die die Fassung verlieren, zusammenbrechen) wird ernsthaft und mit Würde gezeichnet. Bei Lumet herrscht überall Verständnis für Situationen und Entscheidungen, wo bei Kubrick Unverständnis herrscht.
Die Handlung setzt [Achtung: Spoiler!] am frühen Morgen ein: General Warren Black (Dan O'Herlihy) erwacht nach einem Alptraum, der ihn schon seit langem verfolgt und in welchem er als Zuschauer einem blutigen Tierkampf beiwohnt. Black verabschiedet sich bald von seiner Frau, um an einer Konferenz in der Kommandozentrale des Pentagons teilnehmen, der ein neuer Minister beiwohnen wird. Zeitgleich neigt sich eine Abendgesellschaft ihrem Ende entgegen: einer der Gäste, Prof. Groetschele (Walter Matthau), plädiert noch für einen Erstschlag der Amerikaner, um einem möglichen Atomkrieg vorzubeugen, der noch weit mehr Menschenleben fordern würde, und verlässt dann die Gesellschaft, um ebenfalls der Konferenz im Pentagon beizuwohnen. Anderswo sucht General Bogan (Frank Overton) nach Colonel Cascio (Fritz Weaver), der sich gerade bei seinen Eltern aufhält, für deren Lebensverhältnisse (verarmt und alkoholabhängig) er sich schämt; beide werden sie an der Konferenz teilnehmen. Und wieder an einem anderen Ort debattiert Colonel Grady (Edward Binns) mit einem Freund und Kollegen über die zunehmende Technisierung im Rahmen der US-Luftwaffe - um anschließend seinen letzten Flug anzutreten.
Schnell zeigt sich, dass die Technisierung jenen Punkt darstellt, um den sich alles drehen wird: Bogan erwähnte schon zuvor gegenüber Cascio, dass er statt "going up like a rocket" früher noch "going up like a balloon" gesagt hätte. Die Technik beschleunigt alles immer stärker und der Mensch legt mit seinen nicht mehr ausreichenden Reaktionszeiten jede Verantwortung in die Hände der Maschinen - General Black wird später auf der Konferenz eine entsprechend beschleunigungskritische Rede halten, wobei Prof. Groetschele hingegen als Beschleunigungsbefürworter auftritt.
Dann jedoch schlägt die Theorie in die Praxis um: im Rahmen einer relativ schlichten Routineaktion bekommt ein Bombengeschwader unglücklicherweise durch einen technischen Defekt den Befehl, einen Nuklearangriff auf Moskau zu starten. Über Funk sind sie aufgrund russischer Störsender zunächst nicht erreichbar. Der Präsident (Henry Fonda), ein alter Freund von General Warren 'Blackie' Black, erfährt von dem verhängnisvollen Missgeschick und verlangt schweren Herzens, die eigenen Bomber abschießen zu lassen, sollten sie nicht umkehren: das ist jedoch für die Jäger ein Himmelfahrtskommando, haben sie doch rein rechnerisch keine Möglichkeit, die Bomber noch einzuholen - darauf macht Colonel Cascio vergeblich aufmerksam. Der Präsident und sein Dolmetscher Buck (Larry Hagman) telefonieren nach dem gescheiterten Einsatz mit dem russischen Ministerpräsidenten, um gemeinsam mit diesem nach einer Lösung des Problems zu suchen, während Prof. Groetschele im Kontrollraum - ähnlich wie Buck Turgidson bei Kubrick - dafür plädiert, alle verfügbaren Mitteln zum Erstschlag einzusetzen. Der Präsident erklärt sich bereit, alles mögliche zu tun, um den russischen Jägern den Abschuss der amerikanischen Bomber zu erleichtern; der Ministerpräsident lehnt zunächst ab, muss aber schließlich einsehen, dass man aufgrund des amerikanischen Tarnvorhangs nur einen von sechs Bombern abschießen konnte. Obwohl seine Generäle ihm zu einem Gegenschlag raten, sucht er nun mit dem Präsidenten nach einer Lösung: der russische Störsender - von dem der Ministerpräsident nichts gewusst haben will - wird abgeschaltet, Grady jedoch reagiert gemäß seiner Richtlinien nicht mehr auf den mündlichen Befehl des Präsidenten, der nun zwar erfolgen kann, unglücklicherweise jedoch viel zu spät. Der amerikanische Präsident stellt zwar die Mittel zur Verfügung, den eigenen Tarnvorhang zu umgehen (woraufhin der vom Präsidenten enttäuschte Cascio gar mit Gewalt versucht, General Bogan vom Befolgen des Befehls abzuhalten - nicht zuletzt auch wegen seines tief sitzenden Minderwertigkeitskomplexes), die russischen Jäger jedoch können nur vier von fünf Bombern abschießen.
Letztlich ist die Katastrophe unabwendbar. Um den Gegenschlag abzuwenden, lässt der Präsident zwei 20-Megatonnen-Bomben auf New York abwerfen; sein Freund Blackie erklärt sich bereit, den (auch für ihn tödlichen) Einsatz zu fliegen, obwohl sich seine Familie gerade in New York befindet. Vor seinem Tod kommentiert er noch den eigenen Alptraum ("The Matador! The Matador! The Matador! Me!"), dann wird alles Leben in New York ausgelöscht: alltägliche Szenen frieren während schneller Zooms zu Standbildern ein, dann läuft der Abspann.
Auch Lumets Film ist formal überragend - von der kontrastreichen Traumsequenz bis zum Standbild-Schluss. Die Kulisse fällt zwar im Vergleich zu Ken Adams Entwurf für Kubrick weniger beeindruckend aus, die sterilen, nüchternen Bauten, in denen dem Menschen seine Technik zum Verhängnis wird, folgen allerdings durchaus konsequent einem Konzept. Die dramatischen Zuspitzung werden überzeugend mit Groß- und Nahaufnahmen von Henry Fondas sorgenvollem Gesicht bebildert - und die Wirkung ist wahrlich effektiv: kein galliger Gag wie bei Kubrick, sondern ein Hieb in die Magengrube lässt den Film enden.
Dramaturgisch wirkt der Film allerdings ein wenig überkonstruiert. Vieles ist - womöglich aufgrund der Romanvorlage - arg literarisch geraten: Ein Flirt Groetscheles nach der anfänglichen Abendgesellschaft charakterisiert ihn ausgesprochen dialoglastig, theatralisch und direkt, der rahmende Traum General Blacks gibt der Episode dieser Figur einen pointierten, runden Abschluss, der jedoch das Gleichgewicht des Films selbst eher durcheinanderbringt und dem Stoff insgesamt nichts hinzufügt; und auch die kurz angerissene familiäre Situation Cascios, die seinem Ausraster gegen Ende einen weiteren Kontext geben soll, wirkt im Rückblick ausgesprochen zielgerichtet und aufdringlich. Der gesamte Film ist sorgfältig konstruiert worden, die Konstruktion jedoch schimmert beständig durch. Die kammerspielartigen Debatten jedoch (mit denen Lumet bereits in "12 Angry Men" (1957) Erfahrung sammeln konnte) werden effektiv in Szene gesetzt.
Doch in seiner Aussage geht der beklemmende und hochwertig inszenierte Film weniger weit als Kubricks Konkurrenzprodukt: Lumet kritisiert keinesfalls ein Kriegstreiben an sich, sondern bloß sein quasi veloziferisches Moment. Auslöser der Katastrophe ist eine Technik, die - wenn sie mal außer Kontrolle gerät - kaum noch zu bändigen ist. Jeder Beteiligte handelt nachvollziehbar, folgt klaren Argumenten oder zumindest verständlichen Motiven. Und gerade der US-Präsident gerät - nicht zuletzt durch Fondas Image - zu einem Musterbeispiel an Verantwortungsbewusstsein und moralischem Gewissen, während er bei Kubrick allenfalls noch als Bild bemühter Inkompetenz auftrat: hier gibt sich Lumets außergewöhnlicher Film doch recht konventionell.
Verglichen mit Kubricks Version eines heiß werdenden kalten Kriegs mag Lumets Film bodenständiger sein, will jedoch nicht zu den psychologischen Ursachen des Krieges vordringen (bei Kubrick irgendwo zwischen Macht-Geilheit und Überlebens-Trieb angesiedelt), sondern ein worst-case-Szenario durchspielen, bei dem die moralische Frage (der Konflikt zwischen Groetschele und Black) und eine beschleunigungskritische These (die Technik übersteigt längst die Reaktionszeit des überwachenden Menschen, der mehr und mehr auf die Technik vertrauen muss) den Lauf der Dinge flankieren. In seiner Ablehnung atomaren Wettrüstens und Nuklearer Abschreckung geht Kubrick letztlich viel weiter als Lumet, warnt er doch nicht bloß vor Folgen, sondern attackiert er doch mit aller Macht auch noch die Motivationen - radikaler noch als in seinen drei reineren Kriegsfilmen. (Das öffnet zwar auch der billigen Annahme, dass die Mächtigen irre sein müssen, Tür und Tor, zugleich aber bietet es auch Anreize, sich mit grundsätzlichen gesellschaftlichen Problemen zu beschäftigen: denn die fanatischen antikommunistischen Strömungen waren vor allem ein gesellschaftliches Problem und nicht bloß ein Problem weniger Politiker.)
Wenn auch nicht so bedeutsam und überragend wie Lumets im gleichen Jahr entstandener "The Pawnbroker" (1964), dürfte es sich bei "Fail-Safe" wohl um einen der besten Lumets der 60er Jahre handeln. Im Vergleich mit Kubricks "Dr. Strangelove; or How I Stopped Worrying and Love the Bomb" muss er aber doch den Kürzeren ziehen. (9/10 für den Lumet, 10/10 für den Kubrick.)
1.) Wenn es um den kommerziellen Erfolg seiner Filme ging, war Kubrick nicht zimperlich: davon zeugen auch die kommerziellen Kürzungen und Straffungen, die er vielfach an seinen eigenen Filmen vornahm.
2.) Die eher unerfreuliche deutsche Fassung reduziert beide Namen auf Seltsam bzw. Merkwürdig und tilgt damit ganz nebenbei eines der Schlüsselmotive des Films: das Motiv einer verschrobenen, aus der Fassung geratenen Liebe, einer Liebe zum Krieg. Diese Liebe zum Krieg, diese Verwechslung von Liebe und Kampf, von Frieden und Krieg zieht sich auch durch das "PEACE IS OUR PROFESSION", das auf zahlreichen Schildern den Stützpunkt Burpleson schmückt - besonders während der Kampfhandlungen.
3.) Tatsächlich gibt es nur eine - auf ihre Bikini-Figur reduzierte - Frau im gesamten Film: das Frauenbild ist klassisch und das sexuell aufgeladene Kriegsspiel, die Selbstbehauptung, die Machtgeilheit, der Eroberungstrieb wird als Männersache hingestellt.
4.) Von den zeitgenössischen Artikeln zu Kubricks Film kehrt vor allem F. Anthony Macklins Aufsatz "Sex and Dr. Strangelove" (Film Comment, 01. Juni 1965) die sexuelle Aufladung des Films in den Vordergrund.