Es wäre zu viel des Guten, „Unknown User“ als Rettung des Horrorfilms anzupreisen, aber fest steht, daß er eine Menge frischen Wind ins Genre bläst, aber leider – anders als das „Blair Witch Project“, dem wir die inzwischen wieder etwas abgeflaute Found-Footage-Welle bis heute verdanken – ziemlich untergegangen ist.
Wir, die eingefleischten Filmfans, suchen stets nach Innovationen, nach nie Dagewesenem, und bei mittlerweile rund 120 Jahren Filmgeschichte kann man durchaus den Glauben daran verlieren, etwas präsentiert zu bekommen, was man noch nicht gesehen hat. Wiederholungen sind unumgänglich, so scheint es, es kommt nur darauf an, wie man sie möglichst kreativ verpackt, damit sie so erscheinen, als wären sie wirklich originär. Für die Inszenierung von „Unknown User“ reichte letztlich eine pfiffige (wenn auch in den Weiten der Filmhistorie gewiß nicht neue) Grundidee, um den meisten Horrorproduktionen der vergangenen Jahre, möglicherweise gar Jahrzehnte den Stinkefinger zu zeigen.
Die Story an sich ist nicht neu und erinnert kräftig an eine der Geistergeschichten, die dank des japanischen „Ringu“ um die Jahrtausendwende etliche Nachzieher auf den Plan rief: Ein Mädchen begeht Selbstmord. Die Hauptursache ist ein mit dem Handy aufgenommenes Video von ihr, das bei Youtube eingestellt wurde: volltrunken in ihren eigenen Exkrementen auf dem Rasen liegend. Rechtzeitig zum Jahrestag – gewisse Klischees wollen ja erfüllt werden – trifft sich nun eine Gruppe Jugendlicher zum gemeinsamen Videochat. Dabei klinkt sich ein unbekannter Nutzer in das Gespräch mit ein, der vom Account des toten Mädchens aus Nachrichten an die Freunde schreibt und sich einfach nicht wegklicken läßt. Vermutet man zunächst einen Scherz untereinander, eine Systemstörung und später einen Troll, so müssen sie bald erkennen, daß hier so einiges nicht mit rechten Dingen zugeht und hinter dem rätselhaften Absender wohl tatsächlich die Tote selbst steckt, um sich für die erlittenen Demütigungen, die zu ihrem Freitod führten, zu rächen.
Inhaltlich ist das wie gesagt nicht die Neuerfindung des Rads, aber in der technischen Umsetzung ist der Film es sehr wohl: In seinem Minimalismus kaum zu toppen findet das gesamte Geschehen – 82 Minuten mit Abspann – auf dem Desktop einer der Chatteilnehmerinnen statt. Dabei sehen wir sie – wie ihre Freunde – lediglich durch die am Laptop angebrachte Kamera im Videochat. Parallel gleitet der Mauspfeil über die Bildschirmoberfläche und zeigt uns die Aktivitäten von Blaire Lily, wie sie die Internetfenster hin- und herschiebt, sich zugleich noch in ihrem Mail-Programm und bei Facebook tummelt oder auch mal bei Spotify ein Lied als Hintergrundberieselung einschaltet. Mit inbegriffen sind auch die typischen Bildstörungen bei der Chat-Übertragung und die Ladezeiten bei einem abgespielten Youtube-Video. Schaut man sich den Film dann noch selbst auf dem Laptop an – was in diesem Fall sehr zu empfehlen ist –, ist die Illusion perfekt, hier selbst gerade live über den Monitor einer anderen Person dabei zu sein. Dies wirkt noch umso echter, weil auf eine Namensumbenennung verzichtet wird und die dargestellten Kommunikationsplattformen Facebook und Google-Mail auch wirklich Facebook und Google-Mail heißen. Der Schreiber dieser Zeilen nutzt beides. Insofern fühlte ich mich gleich vertraut.
Somit ist „Unknown User“ letztendlich ein (kalkulierter?) Affront gegen fast alles, was man sich unter dem Begriff „Film“ vorstellt. Anstatt Menschen in Aktion zu zeigen, werden sie zu meist kleinen Fenstern innerhalb eines viel größeren (Desktop-)Fensters degradiert, ununterbrochen auf den Bildschirm starrend, ihren Internet-Tätigkeiten nachgehend und sich dabei unterhaltend, erst flachsend, später in zunehmender Panik und Hysterie. Bewegungen, die sie vom Monitor wegführen, bedeuten Gefahr und werden meist bitterlich bestraft. Im Bild passiert bis auf wenige Augenblicke quasi nichts, und wenn doch einmal mehr als die Textfelder und die auf den Bildschirm gerichteten Gesichter der Videochat-Teilnehmer gezeigt werden, geschieht das bruchstückhaft und oftmals kombiniert mit einem Schockeffekt. Hauptdarsteller sind vielmehr der Mauspfeil und die Tastatur, das geschriebene statt das gesprochene Wort, ganz im Gegensatz zu dem, was Film eigentlich ausmacht. Dialoge finden hier vielfach nicht über den Video-Chat statt, sondern über ein karges Kommentarfeld. Lesen muß der Zuschauer, nicht sehen.
Tatsächlich trägt allein dieser besondere, weil sehr ungewöhnliche Kniff den kompletten Film. An sich langweilige Chats werden aufgrund der Tatsache interessant, daß sie gefilmt werden. Manchmal beobachtet man Blaire Lily dabei, wie sie für ihren Gesprächspartner bei Facebook oder einem anderen Messenger-Dienst Satzbausteine formuliert, nach den richtigen Worten sucht, sie dann doch fallen läßt, wieder löscht, neu ansetzt und sich eine neue Formulierung überlegt. Das ist ein Verhalten, das man nur zu gut von sich selbst kennt. Dialoge sind in Filmen meistens perfekt durchdacht und ausformuliert, ohne die üblichen Versprecher innerhalb eines Satzes oder ein eingeschobenes Füllwort wie "äh" oder "äähm". Hier wird gezeigt, wie schwer es sein kann, die richtigen Worte zu finden. Emotionen über die Tastatur, ohne dabei das Gesicht zu lesen – so etwas hat man im Kino in dieser Form auch noch nicht miterleben dürfen. Dafür darf man dann durchaus einmal Respekt zollen.
Paradoxerweise verliert „Unknown User“ an Reiz, wenn sich die dramatische Situation der Gesprächsteilnehmer mehr und mehr zuspitzt, weil nun doch noch das Erwartbare geliefert wird – eben mit dem Gimmick der eingeschränkten Perspektive, die dafür sorgt, daß sich das Böse, das ihnen nach dem Leben trachtet, lediglich in Schriftform manifestiert und unsichtbar bleibt. Es ist bedauerlich, daß die sich unterhaltenden Figuren dann doch eher in den Bereich blöder Teenies eingeordnet werden müssen, die sich im letzten Drittel vor Angst gegenseitig niederkreischen und Vorwürfe über Vorwürfe machen. Das ist brachial herbeigeführte Gruppendynamik, die sehr erzwungen wirkt. Folglich nagt das am Nervenkostüm und läßt den Zuschauer dann doch immer wieder der dunklen Seite die Daumen drücken.
Generell ist keiner der Charaktere sonderlich sympathisch, was aber möglicherweise beabsichtigt ist. Auch leidet der Film unter dem typischen Syndrom von Found-Footage-Streifen, daß die Akteure selbst in den ungünstigsten Situationen mit der Kamera (oder in diesem Fall: mit dem Laptop) herumzulaufen, obwohl die Logik es gebietet, sie stehen zu lassen, dies allerdings glücklicherweise selten. Der vorhersehbare Schlußschocker muß dann auch nicht unbedingt gefallen, wäre doch das eigentliche (offene) Ende die wirkungsvollere Alternative gewesen, wenn eine der Figuren genau das Gleiche durchleben müßte wie das tote Opfer, nur eben nicht als Gemobbter, sondern als Täter.
Richtig gruselig wird „Unknown User“ übrigens kaum, aber die wenigen Szenen haben es in sich. Das erste Opfer etwa starrt über eine Minute reaktionslos in die Kamera, so daß man vermutet, dies sei ein Standbild in Folge einer abgebrochenen Verbindung, doch natürlich ahnt man, daß hier einem gleich der Schreck ins Gesicht springt – und es passiert tatsächlich, allein durch das Umkippen des Monitors. Eine nicht nur an dieser Stelle angewendete, äußerst effektive Vorgehensweise: Erwarte das Erwartete, und es trifft dich doch unvorbereitet.
Das Grauen kommt aus der Tastatur – ein über weite Strecken hervorragend funktionierendes Horror-Experiment, das aber nicht beliebig reproduzierbar sein dürfte. 7/10.