„Wer ist denn dein Lieblingskomponist?“ – „Slayer!“
2013 debütierte der Hamburgische Nachwuchsregisseur Julian Schöneich mit dem grob an „Die durch die Hölle gehen“ und „Hostel“ angelehnten Thriller „Roulette“ – einem Lowest-Budget-Projekt, das in Hamburg angesiedelt wurde.
Die Waise Sina (Lena Steisslinger) hat ihre Familie einst bei einem Autounfall verloren; seitdem ist ihr Leben außer Kontrolle geraten und sie lebt auf der Straße, hält sich mehr schlecht als recht über Wasser. Als sie durch Zufall ihre ehemalige Mitschülerin Michelle (Aimée Goepfert) wiedertrifft, unterbreitet ihr diese ein fragwürdiges Angebot: Russisch Roulette in einem konspirativen Club vor den Augen reicher Klientel auf der Suche nach dem nächsten Kick, Einsatz: das eigene Leben. Überlebt sie, winkt eine Stange Geld. Und was hat Sina schon noch zu verlieren? Doch damit begibt sie sich in die Fänge des brutalen russischen Mafioso Vlad (Matthias Unruh, „Nemez“). Kann der diesen üblen Machenschaften auf die Schliche kommende Journalist helfen?
Trotz seiner o.g. Einflüsse ist „Roulette“ kein simpler Abklatsch, allein schon aufgrund seines starken Hamburger Lokalkolorits – vor allem aber ist Schöneichs Film meilenweit entfernt vom Amateur-Geschmodder talentloser Gore-Bauern. Wer also glaubt, mit „Roulette“ erwarte ihn so etwas wie eine Bethmann’sche, Schnaas’sche oder Rose’sche Pervertierung von „Hostel“ & Co. und somit ein lachhafter Torture Porn, liegt – glücklicherweise – völlig daneben. Schöneichs Film wirkt wesentlich teurer, als er war, die dynamische Kameraarbeit ist virtuos und genügt professionellen Ansprüchen und die Schauspieler empfehlen sich ausnahmslos, wobei die Damen auch sehr zeigefreudig agieren. „Roulette“ sieht klasse aus, legt Wert auf einen natürlichen Look und zeichnet die norddeutsche Metropole als gefühlskalten, gesellschaftlich zerrissenen und lebensfeindlichen Moloch, unter dessen Oberfläche mafiöse Strukturen den Ton angeben und Geld und Reichtum alles bedeuten, ein persönlich Schicksal hingegen nicht viel und ein Menschenleben schon mal gar nichts.
Inhaltlich ist Roulette bitter und ultrahart, was visuelle Entsprechung in vereinzelten, wohldosierten Splatterszenen findet – die mehr wie die unausweichliche logische Konsequenz wirken und weniger nach Effekthascherei und Selbstzweck müffeln. Schöneich hat nach eigener Aussage seinen Film als satirische Überzeichnung bestehender Verhältnisse angelegt und möchte sicherlich auch das Klischee des bösen, skrupellosen Russen karikierend verstanden wissen, sein Anspruch droht jedoch mitunter unter diesem starken, gängige Ressentiments bedienenden Bild etwas unterzugehen – wenngleich es sich natürlich anbietet, ja, regelrecht aufdrängt. Bei seiner kurzen Laufzeit von nur 77 Minuten finden dramaturgische Längen dafür erst gar keinen Platz, im Gegensatz zu meiner Lieblings-Iron-Maiden-LP „Seventh Son of a Seventh Son“, die es in einer Szene dekorativ-prominent ins Bild geschafft hat – wozu ich dem Ausstatter nur gratulieren kann. Im Soundtrack dominierend passende, musikalisch harte, krasse Klänge.
Als ich der Aufführung im Hamburger „Menschenzoo“ ohne jegliches Vorwissen gänzlich unbedarft beigewohnt habe, hat mich „Roulette“ gefesselt, schockiert und begeistert, also höchst positiv überrascht. Was für eine Handvoll Euro doch so alles möglich ist… Geheimtipp! Ansehen! Und sich den Namen Julian Schöneich merken!