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Befremdlich. So beginnt "Dolls" - mit einem sehr traditionellen japanischen Puppenspiel. In ausufernder Tragik und starker Expressivität wird eine tragische Liebesgeschichte aus der alten Samuraizeit singend erzählt. Ein Modell, wie sich herausstellen wird, und das Grundgerüst für ein verborgen-intensives Episodendrama.
Takeshi Kitano, einer der wohl größten zeitgenössischen japanischen Künstler und Persönlichkeiten, thematisiert hier ein bisher eher am Rande behandeltes Thema: Die Liebe. Lose bis gar nicht zusammenhängende, aber inszenatorisch geschickt verwobene Episoden sinnieren über die (zerstörerische) Kraft von Liebe:

Verzweiflung-Verantwortung-Qual: Auf Verlangen seiner Eltern heiratet ein junger Mann die Tochter seines Chefs und verlässt deshalb seine große Jugendliebe, mit der er sich zuvor verlobte. Auf der erzwungenen Hochzeit erfährt der Mann, dass seine frühere Liebe daraufhin einen Selbstmord versuchte, und von nun an in einem krankhaft apathischen Zustand ihre Umwelt und auch ihre Bekannten nicht mehr erkennt. Von Schuldgefühlen geplagt, gibt der Mann sein ganzes aussichtsreiches Leben auf und startet mit ihr eine anstrengende Odyssee in der Hoffnung auf Vergebung und Heilung...

Hoffnung-Vergänglichkeit-Ewigkeit: Ein alt gewordener Yakuza, ständig auf der Hut vor einem Attentat, spürt, dass sein Tod naht. Er kehrt zurück zu dem Park, wo er vor 30 Jahren seine Freundin verließ, um woanders Geld für eine gemeinsame Zukunft zu verdienen. Sie sagte, dass sie jeden Samstag auf ihn warten würde, und tatsächlich: Auch nach so langer Zeit hat sie die Hoffnung nicht aufgegeben...

Schönheit-Aufopferung-Leidenschaft: Nach einem Autounfall ist das Gesicht eines aufstrebenden Popsternchens entstellt, sie hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Niemand soll sie so sehen. Ihr ältester und treuester Fan nimmt sich selbst das Augenlicht, damit er sie noch einmal treffen kann...

Eher schlicht gehalten wirken die Geschichten. Doch Kitano geht es nicht so sehr darum, in komplexen Zusammenhängen das Thema dramatisch zu behandeln. Die Episoden sind eigentlich nur Skizzen, Umrisse, Modelle, um tiefsinnig in einer abstrakteren Ebene über die verschiedenen Aspekte der Liebe nachzudenken. Kitano entledigt sich dabei schnell jeder Oberflächlichkeit, trotz prägnanter Erzählweise erreichen die Episoden schnell eine dramaturgische Komplexität, die ihresgleichen sucht: Die langen, starren Blicke sprechen Bände, die wenigen gesprochenen Worte wirken 'weise'. Man merkt die geistige Reife dieses faszinierenden Künstlers in jeder Einstellung - Kräftige Farben, gigantische wuchtig-malerische Landschaften und ergreifende wie mystische Bildkompositionen, verschmolzen mit der dezenten, wundervollen Musik von Joe Hisaishi.

Dabei zeigt Kitano wie schon in seinen früheren Meisterwerken (z.B. "Hana-Bi", "Sonatine" oder "Brother") eine schier undurchdringliche Fassade der inneren Ruhe und Ausgeglichenheit hinter der sich eine brodelnde Emotionalität verbirgt. Behutsam und mit dem Auge für lebendige Details schildert Kitano die Handlung in wohlig-warmen Bildern voller Lakonie und Langsamkeit, wie man sie auch nicht besser von Kaurismäki kennt. Die daraus resultierende sporadisch verteilte trockene Ironie und der seltene Humor lockern hier allerdings nicht auf, als sie vielmehr eine Note der Bitterkeit tragen (ähnlich dem Galgenhumor der vorigen Filme). Versunken in die prächtige Melancholie der Bilder, in die Sehnsucht der starren Blicke der Protagonisten, die wie ohnmächtige Puppen wirken, an unsichtbaren Stricken von einer höheren Macht gelenkt, wird man dann plötzlich von der emotionalen Wucht dieses philosophischen Märchens gepackt. In intimen kleinen Momenten bricht sie durch die Fassade der Lakonie hindurch - jede Puppe hat dann ihren ganz persönlichen großen Auftritt und entblößt all die unterdrückten Gefühle in einem intensiven Augenblick. Und selbst der Tod wirkt plötzlich wie eine Erlösung, wie eine völlig natürliche Konsequenz aus allem, wie die sehnlichst gewünschte Vollendung der letzten glücklichen Momente. Keine Trauer mehr.

Tiefsinnig in Form und Inhalt strahlt der teils sogar mystisch-surreal anmutende Film eine mythische Wucht aus. Philosophisch untersetzt, in sich geschlossen und atmosphärisch vollkommen zeugt "Dolls" von der Reife und Lebenserfahrung Takeshi Kitanos, stellt andere vergleichbare Autorenfilmer in den Schatten, und ist dabei sogar noch etwas zugänglicher als die alten Werke des faszinierenden Regisseurs. 10/10.

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