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Nach "In The Name Of The Father" und "My Left Foot" widmet sich auch Jim Sheridans letzter Film "In America" dem Thema der Familie. Der Regisseur verarbeitet hier den Verlust seines Bruders im Kindesalter, wobei dankenswerterweise keine halbautobiographische Betroffenheit, die sich als Drama tarnt, herausgekommen ist, sondern ein modernes Märchen.

Einige Szenen wie die Beischlafszene (der Begriff scheint mir hier passend) und Themen wie AIDS und Drogenabhängigkeit eignen sich eigentlich nicht für Kinderaugen, und Erwachsene sind aus dem Märchenalter bereits hinaus, deswegen gerät diese Erzählform zu einem Balanceakt zwischen Träumen und Traumata.

"In America" handelt von einer irischen Familie, die illegal in die USA einwandert. Ihre Mitglieder versuchen, sich der Trauer über den an Krebs gestorbenen kleinen Sohn zu stellen oder zu entziehen, was sie an den Rand des Scheiterns bringt.
Um diese nicht wirklich originelle Geschichte nochmals mit neuem Leben zu erfüllen, bedient sich der Film eines ebenso einfachen wie effektiven Mittels: Er erzählt vom Leben der Neuankömmlinge im New Yorker Slum inmitten von AIDSinfizierten, Junkies und anderen "Aliens" aus der Sicht der älteren der beiden Töchter, die stellenweise Aufnahmen ihrer kleinen Kamera direkt kommentiert.

Erscheinen die drogenabhängigen Nachbarn als umgängliche Zeitgenossen, so ist es allein der Familienvater Johnny, der wirklich fremd wirkt, weil er sich seiner Rolle als glücklicher Familienvater verweigert und damit zwangsläufig auch in seiner beruflichen Rolle als Theaterschauspieler versagt. Fremdheit im Sinne von "Immigranten in den USA" oder jeder Kommentar zu aktuellen Themen wird dagegen ausgeblendet. In einer desolaten Welt sind Phantasie und Hoffnung nun einmal wichtiger als politische Betroffenheit. Deswegen würde ich auch bei bei den im Film zahlreichen Verweisen auf das Theater und Sätzen wie "ich spule uns schnell vor" keine Hintergedanken vermuten: Der Film gibt beständig zu, dass er nur eine Geschichte ist, um gleichzeitig jederzeit dafür einzustehen, dass Erzählen ein geradezu magischer Akt ist. Es bedarf aber keiner falschen Tricks, um Kino zu zaubern, das bewegt - wie in der Szene, in der Johnny auf dem Jahrmarkt die gesamten Familienersparnisse riskiert, um für seine Tochter eine E.T.-Puppe zu gewinnen - oder einfach komisch ist, etwa wenn man den Unterschied zwischen einem Transvestiten und einem zu Halloween Verkleideten herausfinden muss.

Wenn bisher nur von der "Geschichte" die Rede: das herausragende an "In America" sind zweifellos die Darsteller, die natürlich und intensiv agieren, allen voran die Schwestern Ariel und Christy (Emma und Sarah Bolger). Speziell der Charme der kleinen Ariel läßt komplett vergessen, dass sie nur schauspielert, was den Film davor bewahrt, in Kitsch oder Klischee abzugleiten. Und die Gefahr dazu lauert beständig etwa in Form des schwarzen Mattheo, der sämtliche Klischees eines Schwarzen im Film verkörpert, dem touristischen Blick auf Amerika oder dem wundersamen Happyend.

"Süßes oder Saures" fordern die beiden Mädchen auf ihrer Halloween-Tour durch ihr Haus ein, und ob man an 'In America' Geschmack findet, hängt davon ab, ob man für zeitlose, schöne und traurige Weihnachtsfilme zu haben ist oder schon bei der bloßen Erwähnung von Spielbergs Faltenalien zu husten anfängt.

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