Review

„Ihr versaut mir meine Ferien!“

Das Coming-of-Age-Drama „Meine Schwester“ aus dem Jahre 2001 ist mein zweiter Versuch einer Annäherung an das Schaffen der französischen Filmemacherin Catherine Breillat („Romance“), die mit ihrem Debüt „Ein Mädchen“ meines Erachtens in fast schon aggressiver Weise ihre Hauptfigur und -darstellerin der Lächerlichkeit preisgab. Von besonderem Interesse war also, ob ihr mit „Meine Schwester“ ein nachvollziehbarerer Film über die Wirren der Pubertät, des sexuellen Erwachens und der Entfremdung vom eigenen Umfeld gelang – immerhin ein Themenkomplex, den abseits von Verklärung oder Komödie zu bearbeiten offenbar für viele Filmschaffende eine größere Herausforderung darstellt.

Die dreizehnjährige Anaïs (Anaïs Reboux, „Les rencontres de Joëlle“) und die fünfzehnjährige Elena (Roxane Mesquida, „Sennentuntschi“) sind Geschwister, die sich mit ihren Eltern (Arsinée Khanjian, „Familienbilder“ und Romain Goupil, „Schöne Venus“) in den Ferien am Meer befinden. Während die pummelige Anaïs sich gern ungesundes Essen in zu großen Portionen oral zuführt, lernt ihre attraktive Schwester den italienischen Jura-Studenten und Freizeitgigolo Fernando (Libero De Rienzo, „Rote Karte für die Liebe“) kennen, der sie nachts im Ferienbungalow dazu überredet, sich von ihm entjungfern zu lassen. Da Anaïs im selben Zimmer schläft, wird sie Zeugin des für sie irritierenden Vorgangs. Als später Fernandos Mutter (Laura Betti, „Tödliche Schlagzeilen“) bei der Familie aufkreuzt und ihren Ring zurückhaben möchte, den Fernando Elena als Verlobungsring überlassen hatte, bricht die Mutter der Geschwister den Urlaub empört ab und fährt mit ihren Töchtern überstürzt davon…

Die Geschwister tauschen Gemeinheiten aus, wie es Pubertierende nun einmal tun. Leider beschränkt sich die familieninterne Kommunikation jedoch weitestgehend hierauf, ein echter Austausch findet nicht statt. Die nach außen hin klassische Familie erscheint dysfunktional, als seien ihre Mitglieder einander fremd. Elena scheint sich ihrer Außenwirkung bewusst zu sein und gibt sich aufreizend und schließlich dem Abenteuer des ersten Mals hin, ohne dabei auf Anaïs Rücksicht zu nehmen. Dem vorausgegangen waren langwierige Überredungskünste Fernandos, der auf beschämende Weise sämtliche Register zog, um zu seinem Stich zu kommen. Anaïs‘ Position und frühpubertärer Lebensentwurf scheint die des Trotzes gegen die äußerliche Makellosigkeit ihrer Schwester und der sich für sie verändernden Umwelt zu sein. Essen, statt in Konkurrenz zu ihrer Schwester zu gehen, statt dem Körperkult zu verfallen, statt Gefahr zu laufen, in diesem Spiel mitmachen zu müssen.

Dies lässt sich recht gut aus den Bildern und (Inter-)Aktionen der Figuren herauslesen. Auch Hilflosigkeit, Desinteresse und Fremdheit der Eltern zeigen sich deutlich, insbesondere in der unpädagogischen, regelrecht asozialen Reaktion der Mutter auf die Ereignisse. Zuvor steht bereits die Tristesse, als die Anaïs ihre Ferien empfinden muss, im ungewöhnlichen Kontrast zum sonnigen Strandurlaub, Melancholie entwickelt sich daraus aber keine. Auf ein Weiterspinnen dieser Handlung, eine weitere Entwicklung oder gar Ansätze von Problemlösungen verspürte Breillat anscheinend wenig Lust, weshalb sie in einer Nachtszene auf einem Rastplatz eine ultrabrutale Zäsur setzt, die aus dem Nichts kommend der Familie und dem Film ein abruptes Ende setzt. Das hat fast schon exploitative Qualitäten, lässt sich womöglich auch als Allegorie auf Anaïs‘ Wut auf ihre Familie auslegen. Als Pointe eines Films über ein ungleiches pubertierendes Geschwisterpaar, das mit furchtbar empathielosen Eltern gestraft ist, mutet es jedoch nicht nur unkonventionell, sondern auch fragwürdig an. Die körperliche Freizügigkeit der Jungdarstellerinnen wiederum ist zwar ebenso wenig selbstverständlich und dürfte mitunter kontrovers aufgefasst worden sein, Breillats Umgang damit wirkt aber relativ respektvoll und unaufgeregt, schlicht wenig prüde. Unterm Strich werde ich aber auch nach meinem zweiten Versuch aus dieser Filmemacherin noch nicht ganz schlau und vergebe unter Vorbehalt 5,5 von 10 Verlobungsringen…

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