Review

Begonnen hat Franco Rosi seine Karriere beim Film am Set Luchino Viscontis, als dieser und der Neorealismus am Höhepunkt ihrer Kariere standen. Zehn Jahre später drehte er eigenständig Filme und weitere vier Jahre vergingen bis er mit seinem revolutionärem Film „Wer erschoss Salvatore G.?“ dem Realismus im italienischen Film ein neues Gesicht gab.
Üblich für den Neorealismus war der Dreh mit Leien an Originalschauplätzen und die Thematisierung der Dramen und Tragödien des Lebens der einfachen Bevölkerung. Rosis Kritischer Realismus behält die Produktionsmittel größtenteils bei, seine Themen hingegen sind von weitaus umfangreicherer weil gesellschaftlicher und politischer Relevanz.

Sujet des Films ist der Kampf von Salvatores Guerilla-Armee um die Unabhängigkeit Siziliens, das vorgehen der Politik gegen diese Bestrebungen und die Rolle der Mafia in all diesen Entwicklungen.
Der Film beginnt, als sich Journalisten um den Leichnam Giulianos scharen und springt von der Zeit nach Giulianos Tod mehrmals in die Vergangenheit zurück, um die Grausamkeit der vorangegangenen Jahre zu zeigen und zu klären, wie Giuliano ums Leben gekommen ist.
Die Rückblenden zeigen, wie Giulianos Männer bei ihren Attentaten vorgingen. Wie Verhandlungen zwischen den Verschiedenen Parteien scheiterten. Wie das sizilianische Dorf Montelepre, in dem das Hauptquartier der Bande vermutet worden ist, vom Militär und den Carabinieri terrorisiert wurde. Wie Giuliano seine Männer rekrutierte. Wie die Bande aus ca. 40 Mann mit der Mafia kollaborierte, nachdem Sizilien teilweise Unabhängigkeit zugesprochen worden ist.
Höhepunkt der Gewallt ist das Massaker bei Portella della Ginestra am 1. Mai 1947, bei dem 11 Menschen starben und dessen Hintergründe bis Heute nicht vollständig geklärt sind.
Giulianos Beerdigung löst eine Welle von Verhaftungen aus und in der zweiten Hälfte des Films sitzt seine Bande auf der Anklagebank um sich für das Massaker zu verantworten. Rückblenden führen immer wieder aus dem Gerichtssaal raus und zeigen die Bestrebungen der Mafia sich Giulianos zu entledigen, die Unterstützung, die sie dabei von Giulianos Rechter Hand Pisciotta erfahren und den tatsächlichen Ablauf von Giulianos Erschießung. Als Piscotta zusammen mit einigen ausgewählten Bandenmitgliedern Verurteilt wird, bedeutet das aber noch nicht das Ende der Gewalt. Piscotta selber stirbt nach einigen Jahren auf gewaltsame weise im Gefängnis, ein letzter Zeitsprung führt in das Jahr 1960, zu einem Mord auf offener Straße.
Aus diesem Versuch einer Zusammenfassung wird klar, dass Rosi nicht nur wegen des politischen Themas mit dem Neorealismus bricht, sondern auch mit seiner bruchstückhaften, essayistischen Aufarbeitung des Themas etwas neues und eigenständiges schafft.

Um objektiv und kritisch bleiben zu können verzichtet Rosi auf einen klaren Protagonisten innerhalb des Films, sondern schafft selber, mit seiner Stimme als Off-Erzähler und seinem Auge als dem der Kamera die Verbindung zwischen Geschehen und dem Zuschauer.
Auch wenn der Film nach ihm benannt ist, Salvatore Giuliano selber ist sehr selten zu sehen. Man sieht ihn als Leiche oder als einen von vielen Kombattanten über die Hügellandchaft Siziliens Rennen; wenn er ausnahmsweise mal Gespräche führt, steht er mit dem Rücken zum Zuschauer.
Rosi verweigert hier radikal jegliche Möglichkeit zur Mythisierung oder Glorifizierung eines Verbrechers und rückt immer wieder andere Personen in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Piscottas erhöhte Präsenz in der zweiten Hälfte des Films widerspricht dieser Objektivität nicht, denn nach der bruchstückhaften Aufarbeitung der Vergangenheit in der ersten Hälfte verfolgt der Film danach etwas Konzentrierter nur die Hintermänner des Mordes.
Wie die Erzählung bleibt auch die Kamera vorwiegend auf Distanz zum Geschehen. Totalen bis Amerikanische Einstellungen dominieren, die seltenen Nahaufnahmen zeigen die Gefühle innerhalb der wenigen wirklich emotionalen Szenen oder betonen die Wichtigkeit bestimmter Personen. Darüber hinaus distanziert sich die Kamera vom absolut realitätsgetreuem Geschehen durch die wundervoll komponierten Einstellungen Gianni Di Venanzos, der für die Kameraarbeit des Meisterwerks 8 ½ verantwortlich zeichnet und Lehrer des ebenfalls hervorragenden Vittorio Storaro war. Di Venanzo ist zwar verantwortlich für eine absolut realistische Lichtsetzung innerhalb der Szenen, aber die Winkel aus denen er diese Realität filmt sind so ausgeklügelt komponiert, dass sie diese artifiziell wirken lassen lassen.
Dieser künstlerische und poetische Eindruck wird auch durch den Schnitt verstärkt, denn indem Einstellungen oft erstaunlich lange gehalten oder mit anderen in eine spannungsvolle Beziehung gebracht werden entwickelt der Schnitt eine künstlerische Eigendynamik.

Das Thema des Films sind die Machtgefüge innerhalb von Gruppen und nationaler Politik, die Vereinnahmung geeigneter Personen für die eigenen Zwecke und die allgemeine Korrumpierbarkeit innerhalb der Gesellschaft. All das wird dem Zuschauer unverhohlen gezeigt und wirkt ohne dass eine Interpretation seitens des Filmemachers nötig wäre direkt auf ihn.
Es entsteht eine Spannung zwischen extrem objektiver, ungeschönter Realität und künstlerischer Ästhetisierung welche diesen Film zu einem einzigartigen Filmerlebnis werden lässt. Zwar überwiegt oft der kritische und deskriptive Anspruch und überfordert den Zuschauer manchmal mit der schieren Menge an Ereignissen und Beteiligten Personen, doch die stilistische Gestaltung schaft es immer wieder aufs neue die Fakten in Eine Ordnung zu bringen.
„Wer erschoss Salvatore G.?“ revolutionierte auf diese weise nicht nur den italienischen Realismus sondern vor allem auch den politisch engagiertern Film, und legte so den Grundstein für spätere Werke wie „Schlacht um Algier“ oder „J.F.K.“.

Details
Ähnliche Filme