Review

Wenn man sich als Regisseur in einem Bio-Pic einem der aufsehenerregensten Serienmörder des vergangenen Jahrhunderts widmet, dann erwartet das Publikum natürlich so einiges, was von analytischem Interesse bis zur geifernden Sensationslust reicht.
David Jacobson hat in seinem „Dahmer“ sich jedoch bemüht, stets zwischen den Polen zu bleiben und weder biographische Aufarbeitung, noch spekulative Analyse zuzulassen.
Stattdessen widmet er sich, wenn auch sicher mit einigen künstlerischen Freiheiten, dem kruden Innenleben des Täters und liefert bloß einige Ausschnitte oder Vignetten dessen Lebens ab, die sich zwar so abgespielt haben, die aber eben nur Fingerzeige für den Zustand Dahmers bieten.

Das ist ein interessanter Ansatz, bleibt darin jedoch stecken, was Jacobson den Vorwurf eingebracht hat, das Monster Dahmer zu vermenschlichen oder Verständnis für seine Handlung provozieren zu wollen. Aus Angehörigensicht ist das sicher verständlich, doch in erster Linie war Dahmer ein Mensch und obwohl er ein umfangreiches Geständnis abgelegt hat und viele seiner Taten ungewöhnlich gut rekonstruiert wurden, bleibt er als klinischer Soziopath ein Rätsel oder ein Geheimnis, da durch seinen gewaltsamen Tod im Gefängnis weitere Nachforschungen unmöglich wurden.

Jacobson konzentriert sich in seinem nicht chronologisch aufgebauten Film auf zwei wesentliche Handlungsabschnitte, Dahmers ersten Mord und sein letztes Opfer bzw. die Nacht mit diesem. Die mehrfach aufgesplitteten Sequenzen entwickeln sich nur langsam und hinterlassen ein Gefühl der Unruhe und der Neugier, was als Nächstes geschehen würde und tatsächlich wird Dahmer nicht als Schlächter hingestellt, wie die Medien seine Vorgehensweise gern beschrieben.
Stattdessen visualisiert Jacobson, leider kommentarlos und ohne Zusammenhang, daher auch schwer nachvollziehbar ohne Vorwissen, Dahmers sexuelle Fixierung und Fetischisierung auf statuenhafte Männeroberkörper und das Verlangen, diese ganz allein für sich in Besitz zu nehmen. Der Wunsch nach Dauerhaftigkeit provozierte die Morde, da er schlichtweg keine andere Möglichkeit sah, sich in den Besitz der sexuellen Fixpunkte zu bringen.

Was hinter der Fassade steckt, bleibt jedoch nur angedeutet, etwa in dem (größtenteils fiktiven) Gespräch mit dem jungen Rodney, den er anreißt, abschleppt, langsam unter Drogen setzt und dem er sich sogar offenbart. Schließlich flieht Rodney bei Dahmers agressiv-hilflosen Avancen (Dahmer bleibt trotz seiner Morde hier immer der unsichere, schüchterne und verklemmte Typ, der er wirklich war) und kehrt dann aus Gefühlsgründen zurück, um Dahmer für sich zu gewinnen, glaubt ihm aber sein Mordgeständnis nicht.

So bleibt der Film speziell und intim, verzichtet gar (bis auf zwei Fälle) auf das Zeigen von Morden, ist nie spekulativ und nie blutrünstig, sondern richtet den Blick auf die verkorkste sexuelle Ebene (Dahmer betäubt Schwule in einem Club und vergewaltigt sie in einem Separee, bis man ihn rausschmeißt; er liebkost die betäubten oder verwesenden Opfer).
Insofern ist Jacobson aufrichtig, doch dem Film mangelt es an Geschlossenheit, der Wille um Akzeptanz der anderen Seite Dahmers geht jegliches Gespür für die notwendige Schilderung der Komplexität – maximal die begrenzte Wahrnehmung seiner Umgebung fällt ins Auge, die Dahmer nie als Gefahr sah und ihn unverstanden ließ, insofern auch ein Nährboden für seine Soziopathie und seinen Alkoholismus.

Für Nichtkenner der Materie ist der Film jedoch kaum etwas wert, es gibt lediglich schammige Gespräche und der Umfang von Dahmers Taten bleibt komplett im Dunkeln (außer der Täterzahl). Bis auf eine Szene, in der er einem Opfer in den Kopf bohrt, bleiben Folter, Nekrophilie, das Ausweiden, Ausstopfen und Aufbewahren von Körperteilen und sein verquerer satanischer Altar aus Schädeln, die ganze Verwirrung und das bizarre Weltbild außerhalb des Fokus.
Es gibt weder Analyse noch Motivationen und das Wirrwarr aus Erzählebenen gibt auch nicht mehr her, als die Konstatierung der zerbrochenen Ehe der Eltern und einem gewissen religiösen Unterbau, jedoch ohne daraus Schlüsse zu ziehen.
Es ist gut, daß dieser Film nicht auf einer oberflächlichen Ebene nur schockieren will, doch es ist schwer, zu einer Figur wirklich Zugang zu finden, zu der man nicht einmal die notwendigen Eckdaten hat oder ein Weltbild aus der leeren Luft zu schöpfen.

Uneingeschränktes Lob übrigens für Jeremy Renner, der zunächst noch sehr eckig und zu agil wirkt, doch später die Abgründigkeit geradezu perfekt hinbekommt und der verlorenen Seele und sexuellen Qual Leben einhaucht, noch dazu Dahmer in allen Phasen seines Lebens über 14 Jahre spielt.
Wenn es darum ging, die Einsamkeit der Seele einzufangen, ist dies Jacobson gelungen, jedoch muß man schon interessierter Eingeweihter sein, um nicht ständig in der leeren Luft fischen zu müssen.
Nichts für Sensationsheischer, eher etwas für Leute, die sich auch von „Der Totmacher“ begeistern ließen. (5/10)

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